I. [Die Länge der teleologischen Reihen]
Zunächst ist folgender Zusammenhang klar. Wenn ein Zweck D erreicht und dazu eine Kette mechanischer Vorgänge A B C produziert werden soll, derart, daß B durch A, C durch B und D erst durch C veranlaßt wird, so ist diese in ihrem Inhalt und ihrer Richtung durch D bestimmte Reihe von der Erkenntnis des Kausalzusammenhanges zwischen ihren Gliedern abhängig. Wenn ich nicht schon wüßte, daß C imstande ist, D hervorzurufen, B ebenso C usw., so würde ich mit meinem Verlangen nach D ganz hilflos dastehen. Niemals kann also eine teleologische Kette erwachsen, ohne daß die umgekehrt gerichteten, kausalen Verbindungen ihrer Glieder bekannt wären. Der Zweck vergilt dies, indem er gewöhnlich seinerseits die psychologische Anregung gibt, überhaupt nach kausalen Zusammen hängen zu forschen. Die teleologische Kette findet also ihre inhaltliche, logische Möglichkeit in der kausalen, diese aber ihr Interesse, d.h. ihre regelmäßige psychologische Möglichkeit in dem Wollen eines Zwecks. Die so bezeichnete Wechselwirkung, die, ganz allgemein gesprochen, das Verhältnis von Theorie und Praxis bedeutet, hat ersichtlich zur folge, daß die Vertiefung des kausalen Bewußtseins mit der des teleologischen Hand in Hand geht. Die Länge der Zweckreihen hängt von der Länge der Kausalreihen ab; und andrerseits, der Besitz der Mittel erzeugt unzählige Male nicht nur die Verwirklichung, sondern erst den Gedanken des Zwecks.
Um diese Verwebung des natürlichen und des geistigen Seins in ihrer Bedeutung einzusehen, muß man sich das scheinbar Selbstverständliche vor Augen halten, daß wir mit vielgliedrigen Reihen von Mitteln mehr und wesentlichere Zwecke erreichen können als mit kurzen. Der primitive Mensch, dessen Kenntnis der natürlichen Ursächlichkeiten sehr beschränkt ist, ist dadurch in seinen Zwecksetzungen ebenso beschränkt. Die Zweckkurve wird bei ihm als Mittelglieder kaum mehr als das eigene physische Tun und die unmittelbare Einwirkung auf je ein Objekt enthalten; wenn nun von diesem nicht die erhoffte Rückwirkung auf ihn erfolgt, so wird die Einschiebung einer magischen Instanz, von der er durch irgendein Beeinflussen die Bewirkung des gewünschten Erfolges erhofft, doch weniger als Verlängerung der teleologischen Reihe, denn als Beweis für die Untunlichkeit derselben erscheinen. Wo jene kurze Reihe also nicht ausreicht, wird er entweder auf den Wunsch verzichten, oder, unendlich häufiger, ihn überhaupt nicht ausbilden. Die Verlängerung der Reihe bedeutet, daß das Subjekt die Kräfte der Objekte in steigendem Maße für sich arbeiten läßt. Je mehr die primitiven Bedürfnisse schon befriedigt sind, desto mehr Glieder pflegt die teleologische Reihe zu fordern, und erst einer sehr verfeinerten Kausalerkenntnis gelingt dann manchmal die Reduktion der Gliederzahl, indem sie unmittelbarere Zusammenhänge, kürzere Wege innerhalb der natürlichen Ordnung der Dinge entdeckt. Dies kann sich bis zu einer Umkehrung des natürlichen Verhältnisses steigern: in relativ primitiven Zeiten werden die einfachen Lebensbedürfnisse noch durch einfache Zweckreihen beschafft, während es für die höheren und differenzierten vielgliedriger Umwege bedarf; die vorgeschrittene technische Kultur dagegen pflegt gerade für die letzteren relativ einfachere, direktere Herstellungsarten zu besitzen, wogegen die Gewinnung der fundamentalen Erfordernisse des Lebens auf immer größere Schwierigkeiten stößt, die durch immer kompliziertere Mittel überwunden werden müssen. Die Kulturentwicklung geht, mit einem Wort, auf Verlängerung der teleologischen Reihen für das sachlich Naheliegende und Verkürzung derselben für das sachlich Fern liegende. Und hier tritt der äußerst wichtige Begriff des Werkzeugs in unsere Erwägung des Zweckhandelns ein. Die primäre Form jener teleologischen Kurve ist doch die, daß unser Tun ein äußeres Objekt zu Reaktionen veranlaßt, die, gemäß der eigenen Natur desselben verlaufend, an den Punkt der erwünschten Einwirkung auf uns gelangen. Das Werkzeug bedeutet nun die Einschiebung einer Instanz zwischen dem Subjekt und diesem Objekt, die nicht nur zeitlich-räumlich, sondern auch inhaltlich eine Mittelstellung zwischen ihnen einnimmt. Denn es ist einerseits zwar ein äußeres Objekt von bloß mechanischer Wirksamkeit, andrerseits aber auch eins, auf das nicht nur, sondern mit dem - wie mit der Hand - gewirkt wird. Das Werkzeug ist das potenzierte Mittel, denn seine Form und sein Dasein ist schon durch den Zweck bestimmt, während bei dem primären teleologischen Prozeß die natürlichen Existenzen erst nachträglich in den Dienst des Zweckes gestellt werden. Wer einen Samen in die Erde steckt, um später die Frucht des Gewächses zu genießen, statt sich mit der wild wachsenden zu begnügen, handelt teleologisch, aber die Erscheinung des Zweckes mündet an der Grenze seiner Hand; wenn aber bei dieser Gelegenheit Hacke und Spaten verwendet werden, so ist der Punkt, von dem an die natürlichen Prozesse sich selbst überlassen sind, weiter hinausgeschoben, das subjektiv bestimmte Moment ist dem objektiven gegenüber verlängert. Mit dem Werkzeug fügen wir der Zweckreihe allerdings ein neues Glied freiwillig zu, damit aber nur beweisend, daß keineswegs jeder Weg in dem Maße der kürzere ist, in dem er der gerade ist. Das Werkzeug ist der Typus dessen, was man in der Außenwelt unser Geschöpf nennen könnte, indem es, gleichsam an dem einen Ende, ganz von unseren Kräften geformt wird und am anderen ganz in unsere Zwecke eingeht; gerade dadurch, daß es selbst nicht Zweck ist, fehlt ihm jene relative Selbständigkeit, die der Zweck besitzt, sei es, daß er uns als absoluter Wert an sich selbst gelte, sei es, daß wir von ihm eine Wirkung auf uns erwarten: es ist das absolute Mittel. Das Werkzeug-Prinzip ist nun keineswegs nur an Physischem wirksam. Vielmehr dort, wo das Interesse nicht unmittelbar der materiellen Produktion gilt, sondern geistige Bedingungen und Seiten derselben oder überhaupt immaterielle Geschehnisse in Frage stehen, gewinnt das Werkzeug eigentlich eine noch reinere Form, insofern es nun wirklich ganz das Geschöpf unseres Willens ist und sich nicht mit der Besonderheit und inneren Zweckfremdheit einer Materie abzufinden hat. Den ausgeprägtesten Typus bilden hier vielleicht die sozialen Institutionen, durch deren Benutzung der Einzelne Zwecke erreichen kann, zu denen sein bloß persönliches Können niemals zureichen würde. Ganz abgesehen von dem Allerallgemeinsten: daß das Teilhaben am Staat durch den äußeren Schutz, den er gewährt, überhaupt die Bedingung für die Mehrzahl individueller Zweckhandlungen ist - so verschaffen etwa die besonderen Einrichtungen des Zivilrechts dem Wollen des Einzelnen Realisierungsmöglichkeiten, die ihm sonst völlig versagt blieben. Indem sein Wille den Umweg über die Rechtsform des Vertrags, des Testaments, der Adoption usw. einschlägt, benutzt er ein von der Allgemeinheit hergestelltes Werkzeug, das seine eigene Kraft vervielfältigt, ihre Wirkungslinien verlängert, ihre Resultate sichert. Aus den Wechselwirkungen der vielen entstehen, indem das Zufällige sich gegenseitig abschleift und die Gleichmäßigkeit der Interessen eine Summierung der Beiträge gestattet, objektive Einrichtungen, die gleichsam die Zentralstation für unzählige teleologische Kurven der Individuen bilden und diesen ein völlig zweckmäßiges Werkzeug für die Erstreckung derselben auf sonst Unerreichbares bieten. So verhält es sich auch mit dem kirchlichen Kultus: er ist ein von der Gesamtheit der Kirche bereitetes, die für dieselbe typischen Empfindungen objektivierendes Werkzeug - gewiß ein Umweg für die innen und oben gelegenen Endziele der Religiosität, aber der Umweg über ein Werkzeug, das, im Unterschiede von allen materiellen Werkzeugen, sein ganzes Wesen darin hat, bloß Werkzeug zu jenen Zielen zu sein, die das Individuum für sich allein, d.h. auf direktem Wege, nicht glaubt gewinnen zu können.