Gemeindereligiosität


Die Beziehungen zwischen politischer Gewalt und religiöser Gemeinde, aus welcher der Begriff der »Konfession« entsteht, gehören in die Analyse der »Herrschaft«. Hier ist nur festzustellen: »Gemeindereligiosität« ist eine verschieden eindeutig ausgeprägte und labile Erscheinung. Wir wollen nur da von ihrem Bestand reden, wo die Laien 1. zu einem dauernden Gemeinschaftshandeln vergesellschaftet sind, auf dessen Ablauf sie 2. irgendwie auch aktiv einwirken. Ein bloßer Verwaltungssprengel, der die Kompetenzen der Priester abgrenzt, ist eine Parochie, aber noch keine Gemeinde. Aber selbst der Parochiebegriff fehlt, als etwas von der weltlichen, politischen oder ökonomischen, Gemeinde Gesondertes, der chinesischen, altindischen und im allgemeinen auch der hinduistischen Religiosität. Die hellenischen und sonstigen antiken Phratrien und ähnliche Kultgemeinschaften sind keine Parochien, sondern politische oder sonstige Verbände, deren Gemeinschaftshandeln der Fürsorge eines Gottes untersteht. Die altbuddhistische Parochie ferner ist nur ein Bezirk, innerhalb dessen die wandernden Mönche, die sich jeweils gerade darin aufhalten, an den Halbmonatsversammlungen teilzunehmen verbunden sind. Die mittelalterliche okzidentale, anglikanische, lutherische, orientalische, christliche und islâmische Parochie ist im wesentlichen ein passiver kirchlicher Lastenverband und Kompetenzbezirk des Pfarrers. In diesen Religionen hatte im allgemeinen auch die Gesamtheit aller Laien überhaupt keinerlei Gemeindecharakter. Kleine Reste von Gemeinderechten sind in einigen orientalischen christlichen Kirchen erhalten und fanden sich auch im katholischen Okzident und im Luthertum. Dagegen waren sowohl das altbuddhistische Mönchtum, wie die altislâmische Kriegerschaft, wie das Judentum, wie die alte Christenheit Gemeinden mit freilich sehr verschieden straffer, hier im einzelnen noch nicht zu erörternder Art der Vergesellschaftung. Übrigens ist ein gewisser faktischer Einfluß der Laien – der im Islâm namentlich bei den Schî'iten relativ groß, wenn auch rechtlich nicht verbürgt ist: der Schah pflegt keinen Priester zu bestellen, ohne der Zustimmung der örtlichen Laienschaft sicher zu sein – mit dem Fehlen einer fest geregelten örtlichen Gemeindeorganisation vereinbar. Dagegen bildet es die später zu besprechende Eigenart jeder »Sekte«, im eigentlich technischen Wortsinn, daß sie auf der geschlossenen Vergesellschaftung der einzelnen örtlichen Gemeinden geradezu als auf ihrer Grundlage beruht. Von diesem Prinzip, welches innerhalb des Protestantismus die Täufer und »Independenten«, dann die »Kongregationalisten« vertraten, führen gleitende Übergänge bis zur typischen Organisation der reformierten Kirche, welche auch da, wo sie tatsächlich universelle Organisation ist, doch die Zugehörigkeit von dem vertragsmäßigen Eintritt in die einzelne Gemeinde abhängig macht. Auf die Problematik, welche sich aus diesen Verschiedenheiten ergibt, kommen wir zurück. Hier interessiert uns von den Konsequenzen der folgenschweren Entwicklung einer eigentlichen Gemeindereligiosität vor allem die eine: daß nun innerhalb der Gemeinde die Beziehung zwischen Priestern und Laien für die praktische Wirkung der Religiosität maßgebende Bedeutung gewinnt. Der großen Machtstellung der Priester steht, je mehr die Organisation spezifischen Gemeindecharakter trägt, desto mehr die Notwendigkeit gegenüber, im Interesse der Erhaltung und Propagierung der Anhängerschaft den Bedürfnissen der Laien Rechnung zu tragen. In gewissem Umfang ist freilich jede Art von Priesterschaft in ähnlicher Lage. Um ihre Machtstellung zu behaupten, muß sie oft in weitgehendem Maße den Laienbedürfnissen entgegenkommen. Die drei im Kreise der Laien wirksamen Mächte aber, mit welchen das Priestertum sich auseinanderzusetzen hat, sind 1. die Prophetie, – 2. der Laientraditionalismus, – 3. Der Laienintellektualismus. Diesen Mächten gegenüber wirken sich die Notwendigkeiten und Tendenzen des priesterlichen Betriebs rein als solchen als eine ebenfalls wesentlich mitbestimmende Macht aus. Wir sprechen zunächst von diesem letzteren Faktor in Verbindung mit dem zuerst genannten.


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