Religiöses Virtuosentum


Gleichviel aber nun, mit welchem Ziel und wie sie durchgeführt wird, so ist dabei die Grunderfahrung aller und jeder auf einer systematischen Heilsmethodik ruhenden Religiosität die Verschiedenheit der religiösen Qualifikation der Menschen. Wie nicht jeder das Charisma besaß, die Zustände, welche die Wiedergeburt zum magischen Zauberer herbeiführten, in sich hervorzurufen, so auch nicht jeder das Charisma, jenen spezifisch religiösen Habitus im Alltag kontinuierlich festzuhalten, welcher die dauernde Gnadengewißheit verbürgte. Die Wiedergeburt schien also nur einer Aristokratie der religiös Qualifizierten zugänglich. Ebenso wie die magisch qualifizierten Zauberer, so bildeten daher die ihre Erlösung methodisch erarbeitenden religiösen Virtuosen überall einen besonderen religiösen »Stand« innerhalb der Gemeinschaft der Gläubigen, dem oft auch das spezifische jeden Standes, eine besondere soziale Ehre, innerhalb ihres Kreises zukam. In Indien befassen sich in diesem Sinne alle heiligen Rechte mit den Asketen, die indischen Erlösungsreligionen sind Mönchsreligionen, im frühen Christentum werden sie in den Quellen als eine Sonderkategorie unter den Gemeindegenossen aufgeführt und bilden später die Mönchsorden, im Protestantismus die asketischen Sekten oder die pietistischen ecclesiae, unter den Juden bilden die Peruschîm (Pharisaíoi) eine Heilsaristokratie gegenüber den Amhaarez, im Islâm die Derwîsche und innerhalb ihrer wieder deren Virtuosen, die eigentlichen S. ûfî's, im Skopzentum die esoterische Gemeinde der Kastraten. Wir werden uns mit diesen wichtigen soziologischen Konsequenzen noch zu befassen haben.

In ihrer gesinnungsethischen Interpretation bedeutet die Heilsmethodik praktisch stets: Überwindung bestimmter Begehrungen oder Affekte der religiös nicht bearbeiteten rohen Menschennatur. Ob mehr die Affekte der Feigheit oder die der Brutalität und Selbstsucht oder die der sexuellen Sinnlichkeit oder welche sonst das vornehmlich zu Bekämpfende, weil am meisten vom charismatischen Habitus Ablenkende ist, bleibt Frage des speziellen Einzelfalls und gehört zu den wichtigsten inhaltlichen Charakteristiken jeder Einzelreligion. Stets aber ist eine in diesem Sinn methodische religiöse Heilslehre eine Virtuosenethik. Stets verlangt sie, wie das magische Charisma, die Bewährung des Virtuosentums. Ob der religiöse Virtuose ein welterobernder Ordensbruder, wie der Moslem in der Zeit Omars, oder ein Virtuose der weltablehnenden Askese, wie meist der christliche und, in geringerer Konsequenz, der jainistische, oder ein solcher der weltablehnenden Kontemplation, wie der buddhistische Mönch, ein Virtuose des passiven Märtyrertums, wie der antike Christ, oder ein Virtuose der innerweltlichen Berufstugend, wie der asketische Protestant, der formalen Gesetzlichkeit wie der pharisäische Jude oder der akosmistischen Güte wie der heilige Franz ist, in jedem Fall hat er – wie wir schon feststellten – die echte Heilsgewißheit nur dann, wenn sich seine Virtuosengesinnung unter Anfechtungen ihm selbst stets erneut bewährt. Diese Bewährung der Gnadengewißheit sieht nun aber verschieden aus je nach dem Charakter, den das religiöse Heil selbst hat. Immer schließt sie die Behauptung des religiösen und ethischen Standard, also die Vermeidung wenigstens ganz grober Sünden ein, für den buddhistischen Arhat ebenso wie für den Urchristen. Ein religiös Qualifizierter, im Urchristentum also: ein Getaufter, kann, und folglich: darf nicht mehr in eine Todsünde fallen. »Todsünden« sind diejenigen Sünden, welche die religiöse Qualifikation aufheben, deshalb unvergebbar oder doch nur durch einen charismatisch Qualifizierten, auf dem Wege ganz neuer Begnadung mit dem religiösen Charisma, dessen Verlust sie dokumentieren, absolvierbar sind. Als diese Virtuosenlehre innerhalb der altchristlichen Massengemeinden praktisch unhaltbar wurde, hielt die Virtuosenreligiosität des Montanismus konsequent die eine Forderung fest: daß zum mindesten die Feigheitssünde unvergebbar bleiben müsse, – ganz ebenso wie die islâmische kriegerische Heldenreligion die Apostasie ausnahmslos mit dem Tode bestrafte, – und trennte sich von der Massenkirche der Alltagschristen, als innerhalb dieser die dezianische und diokletianische Verfolgung auch diese Forderung vom Standpunkt der Interessen des Priesters an der quantitativen Erhaltung des Gemeindebestandes undurchführbar machte. Im übrigen aber ist der positive Charakter der Heilsbewährung und also auch des praktischen Verhaltens, wie schon mehrfach angedeutet, grundsätzlich verschieden vor allem je nach dem Charakter jenes Heilsguts, dessen Haben die Seligkeit verbürgt.


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