Spannung zwischen religiös-ethischer und ökonomischer Rationalisierung des Lebens
Der eigentlich religiöse Grund der Antipathie gegen den Zins lag tiefer und hing mit der Stellung der religiösen Ethik zu der Gesetzlichkeit des rationalen geschäftlichen Erwerbs als solchem zusammen. Jeder rein geschäftliche Erwerb wird in urwüchsigen Religionen, gerade solchen, welche den Besitz von Reichtum an sich sehr stark positiv werten, fast durchweg sehr ungünstig beurteilt. Und zwar ebenfalls nicht nur unter vorherrschender Naturalwirtschaft und dem Einfluß des Kriegsadels. Sondern gerade unter relativ entwickeltem Geschäftsverkehr und in bewußtem Protest dagegen. Zunächst führt jede ökonomische Rationalisierung des Tauscherwerbs zur Erschütterung der Tradition, auf welcher die Autorität des heiligen Rechts überhaupt beruht. Schon deshalb ist der Trieb nach Geld als Typus rationalen Erwerbsstrebens religiös bedenklich. Wenn möglich, hat daher die Priesterschaft (so anscheinend in Ägypten) die Erhaltung der Naturalwirtschaft begünstigt, wo nicht etwa die eigenen ökonomischen Interessen der Tempel als sakral geschützter Depositen- und Darlehenskassen dem allzusehr entgegenstanden. Vor allem aber ist es der unpersönliche, ökonomisch rationale, eben deshalb aber ethisch irrationale, Charakter rein geschäftlicher Beziehungen als solcher, der auf ein niemals ganz klar ausgesprochenes, aber um so sicherer gefühltes Mißtrauen gerade bei ethischen Religionen stößt. Jede rein persönliche Beziehung von Mensch zu Mensch, wie immer sie sei, einschließlich der völligsten Versklavung, kann ethisch reglementiert, an sie können ethische Postulate gestellt werden, da ihre Gestaltung von dem individuellen Willen der Beteiligten abhängt, also der Entfaltung karitativer Tugend Raum gibt. Nicht so aber geschäftlich rationale Beziehungen, und zwar je rational differenzierter sie sind, desto weniger. Die Beziehungen eines Pfandbriefbesitzers zu dem Hypothekenschuldner einer Hypothekenbank, eines Staatsschuldscheininhabers zum Staatssteuerzahler, eines Aktionärs zum Arbeiter der Fabrik, eines Tabakimporteurs zum fremden Plantagenarbeiter, eines industriellen Rohstoffverbrauchers zum Bergarbeiter sind nicht nur faktisch, sondern prinzipiell nicht karitativ reglementierbar. Die Versachlichung der Wirtschaft auf der Basis der Marktvergesellschaftung folgt durchweg ihren eigenen sachlichen Gesetzlichkeiten, deren Nichtbeachtung die Folge des ökonomischen Mißerfolgs, auf die Dauer des ökonomischen Untergangs nach sich zieht.
Rationale ökonomische Vergesellschaftung ist immer Versachlichung in diesem Sinn, und einen Kosmos sachlich rationalen Gesellschaftshandelns kann man nicht durch karitative Anforderungen an konkrete Personen beherrschen. Der versachlichte Kosmos des Kapitalismus vollends bietet dafür gar keine Stätte. An ihm scheitern die Anforderungen der religiösen Karitas nicht nur, wie überall im einzelnen, an der Widerspenstigkeit und Unzulänglichkeit der konkreten Personen, sondern sie verlieren ihren Sinn überhaupt. Es tritt der religiösen Ethik eine Welt interpersonaler Beziehungen entgegen, die sich ihren urwüchsigen Normen grundsätzlich gar nicht fügen kann. In eigentümlicher Doppelseitigkeit hat daher die Priesterschaft immer wieder, auch im Interesse des Traditionalismus, den Patriarchalismus gegenüber den unpersönlichen Abhängigkeitsbeziehungen gestützt, obwohl andererseits die Prophetie die patriarchalen Verbände sprengt. Je prinzipieller aber eine Religiosität ihren Gegensatz gegen den ökonomischen Rationalismus als solchen empfindet, desto näher liegt dem religiösen Virtuosentum als Konsequenz die antiökonomische Weltablehnung.
In der Welt der Tatsachen hat dabei die religiöse Ethik, infolge der unvermeidlichen Kompromisse, verschiedene Schicksale gehabt. Von jeher ist sie ganz direkt für rationale ökonomische Zwecke, insbesondere auch der Gläubiger, benutzt worden.
Namentlich da, wo die Schuld rechtlich noch streng an der Person des Schuldners haftete. Dann wurde die Ahnenpietät der Erben ausgenutzt. Die Pfändung der Mumie des Toten in Ägypten oder die in manchen asiatischen Religiositäten verbreitete Vorstellung, daß wer ein Versprechen, also auch ein Schuldversprechen, namentlich ein eidliches, nicht halte, im Jenseits gequält werde und daher seinerseits die Ruhe der Nachfahren durch bösen Zauber stören könne, gehören dahin. Im Mittelalter ist, worauf Schulte hinwies, der Bischof besonders kreditwürdig, weil im Fall des Bruchs der Zusage, zumal der eidlichen, die Exkommunikation seine ganze Existenz vernichtete (darin ähnlich der spezifischen Kreditwürdigkeit deutscher Leutnants und Couleurstudenten). In eigentümlicher Paradoxie gerät vor allen Dingen, wie schon mehrfach erwähnt, die Askese immer wieder in den Widerstreit, daß ihr rationaler Charakter zur Vermögensakkumulation führt. Namentlich die Unterbietung, welche die billige Arbeit asketischer Zölibatäre gegenüber dem, mit dem Existenzminimum einer Familie belasteten, bürgerlichen Erwerb bedeutet, führt zur Expansion des eigenen Erwerbs, im Spätmittelalter, wo die Reaktion des Bürgertums gegen die Klöster eben auf deren gewerblicher »Kulikonkurrenz« beruht, wie bei der Unterbietung der weltlichen verheirateten Lehrer durch die Klostererziehung. Sehr oft erklären sich Stellungnahmen der Religiosität aus ökonomischen Erwerbsgründen. Die byzantinischen Mönche waren an den Bilderdienst ökonomisch gekettet wie die chinesischen es an die Produkte ihrer Buchdruckereien und Werkstätten sind, und die moderne Fabrikation von Schnaps in Klöstern – ein Hohn auf die religiöse Alkoholbekämpfung – ist nur ein extremes Beispiel in ähnlichem Sinne. Derartige Momente wirken jeder prinzipiellen antiökonomischen Weltablehnung entgegen. Jede Organisation, insbesondere jede Anstaltsreligiosität bedarf auch der ökonomischen Machtmittel, und kaum eine Lehre ist mit so fürchterlichen päpstlichen Flüchen bedacht worden, namentlich durch den größten Finanzorganisator der Kirche, Johann XXII., wie die konsequente Vertretung der biblisch beglaubigten Wahrheit: daß Christus seinen echten Jüngern Besitzlosigkeit geboten habe, durch die Franziskanerobservanten. Schon von Arnold von Brescia angefangen zieht sich die Zahl der Märtyrer dieser Lehre durch die Jahrhunderte.
Die praktische Wirkung der christlichen Wucherverbote und des für den geschäftlichen, speziell den kaufmännischen Erwerb, geltenden Satzes: »Deo placere non potest«, ist generell schwer abzuschätzen. Das Wucherverbot zeitigte juristische Umgehungsformen aller Art. So gut wie unverhüllten Zins mußte schließlich die Kirche selbst nach hartem Kampf in den karitativen Anstalten der Montes pietatis (endgültig seit Leo X.) für Pfandleihegeschäfte zugunsten der Armen zulassen. Für den nur gegen festen Zins zu deckenden Notkreditbedarf des Mittelstandes sorgte das Judenprivileg. Im übrigen aber ist zu bedenken, daß im Mittelalter der feste Zins zunächst gerade bei den damals sehr stark risikobelasteten, namentlich den für überseeische Geschäfte geschlossenen, Erwerbskreditverträgen (wie sie z.B. auch für Mündelgelder in Italien universell benutzt wurden) ohnehin die seltene Ausnahme war gegenüber einer verschieden begrenzten und zuweilen (im Pisaner Constitutum Usus) tarifierten Teilnahme an Risiko und Gewinn des Geschäfts (commenda dare ad proficuum de mari). Die großen Händlergilden jedoch schützten sich gegen die Einrede der usuraria pravitas teils durch Ausschluß aus der Gilde, Boykott und schwarze Listen (wie etwa gegen den Differenzeinwand unserer Börsengesetzgebungen), die Mitglieder aber für ihr persönliches Seelenheil durch von der Zunft beschaffte Generalablässe (so in der Arte di Calimala) und massenhafte testamentarische Gewissensgelder oder Stiftungen. Der tiefe Zwiespalt zwischen den geschäftlichen Unvermeidlichkeiten und dem christlichen Lebensideal wurde indessen oft sehr tief gefühlt und hielt jedenfalls gerade die frömmsten und ethisch rationalsten Elemente dem Geschäftsleben fern, wirkte vor allem immer wieder in der Richtung einer ethischen Deklassierung und Hemmung des rationalen Geschäftsgeistes. Die Auskunft der mittelalterlichen Anstaltskirche: die Pflichten ständisch abzustufen je nach religiösem Charisma und ethischem Beruf, und daneben die Ablaßpraxis ließen jedoch eine geschlossene ethische Lebensmethodik auf ökonomischem Gebiete überhaupt nicht entstehen. (Der Ablaßdispens und die äußerst laxen Prinzipien der jesuitischen probabilistischen Ethik nach der Gegenreformation änderten daran nichts, daß eben ethisch lax denkende, nicht aber ethisch rigoristische Menschen dem Erwerb als solchem sich zuwenden konnten.) Die Schaffung einer kapitalistischen Ethik leistete – durchaus nicht der Absicht nach – erst die innerweltliche Askese des Protestantismus, welche gerade den frömmsten und ethisch rigorosesten Elementen den Weg in das Geschäftsleben [öffnete] und [ihnen] vor allem den Erfolg im Geschäftsleben als Frucht rationaler Lebensführung zuwendete. Das Zinsverbot selbst wurde vom Protestantismus, speziell vom asketischen Protestantismus, auf Fälle konkreter Lieblosigkeit beschränkt. Der Zins wurde jetzt gerade da, wo ihn die Kirche selbst in den Montes pietatis faktisch geduldet hatte: bei Kredit an die Armen, als liebloser Wucher perhorresziert, – die Juden sowohl wie die christliche Geschäftswelt empfanden seit langem deren Konkurrenz als lästig, – dagegen wurde er als eine Form der Teilnahme des Kapitalgebers an dem mit geliehenem Gelde gemachten Geschäftsprofit und überhaupt für den Kredit an die Mächtigen und Reichen (politischer Kredit an Fürsten) legitimiert. Theoretisch ist dies die Leistung des Salmasius. Vor allem vernichtete aber ganz allgemein der Calvinismus die überkommenen Formen der Karitas. Das planlose Almosen war das erste, was er beseitigte. Allerdings war schon seit der Einführung fester Normen für die Verteilung der Gelder des Bischofs in der späteren Kirche und dann durch die Einrichtung des mittelalterlichen Spitals der Weg zur Systematisierung der Karitas betreten, wie im Islam die Armensteuer eine rationale Zentralisation bedeutet hatte. Aber seine Bedeutung als gutes Werk hatte das planlose Almosen behauptet. Die zahllosen karitativen Stiftungen aller ethischen Religionen haben der Sache nach ebenfalls entweder zu einer direkten Züchtung des Bettels geführt und überdies, wie etwa in der fixierten Zahl der täglichen Armensuppen in byzantinischen Klosterstiftungen und in dem chinesischen offiziellen Suppentage, die Karitas zu einer rein rituellen Geste werden lassen. Der Calvinismus machte dem allen ein Ende. Vor allem der freundlichen Beurteilung der Bettler. Für ihn hat der unerforschliche Gott seine guten Gründe, wenn er die Glücksgüter ungleich verteilt, und bewährt sich der Mensch ausschließlich in der Berufsarbeit. Der Bettel wird direkt als eine Verletzung der Nächstenliebe gegen den Angebettelten bezeichnet, und vor allem gehen alle puritanischen Prediger von der Auffassung aus, daß Arbeitslosigkeit Arbeitsfähiger einfür allemal selbstverschuldet sei. Für Arbeitsunfähige aber, für Krüppel und Waisen, ist die Karitas rational zu organisieren zu Gottes Ehre, nach Art etwa der noch jetzt in einer eigentümlich auffallenden, an Narrentrachten erinnernden Kleidung, möglichst ostensibel durch die Straßen Amsterdams zum Gottesdienst geführten Waisenhausinsassen. Die Armenpflege wird unter den Gesichtspunkt der Abschreckung von Arbeitsscheuen gestellt, wofür etwa die englische puritanische Armenpflege im Gegensatz zu den von H. Levy sehr gut geschilderten anglikanischen Sozialprinzipien den Typus abgibt. Jedenfalls wird Karitas selbst nun ein rationaler »Betrieb«, und ihre religiöse Bedeutung ist damit entweder ausgeschaltet oder direkt in ihr Gegenteil verkehrt. So die konsequente asketisch-rationale Religiosität.