Erlösung durch Glauben


Oder es wird die Erlösung an den Glauben geknüpft. Sofern dieser Begriff nicht identisch gesetzt wird mit der Unterwerfung unter praktische Normen, setzt er stets irgendein Fürwahrhalten irgendwelcher metaphysischer Tatsachen, also irgendeine Entwicklung von »Dogmen« voraus, deren Annahme als wesentliches Merkmal der Zugehörigkeit gilt. Wie wir sahen, ist aber das Maß der Dogmenentwicklung innerhalb der einzelnen Religionen ein sehr verschiedenes. Aber irgendein Maß von »Lehre« ist Unterscheidungsmerkmal der Prophetie und Priesterreligiosität gegenüber der reinen Magie. Natürlich beansprucht schon jede Magie den Glauben an die magische Macht des Zauberers. Zunächst seinen eigenen Glauben an sich selbst und sein Können. Das gilt für jede, auch die frühchristliche Religiosität. Weil die Jünger an ihrer eigenen Macht zweifelten, konnten sie, so belehrt sie Jesus, einen Besessenen nicht heilen. Wer dagegen vollkommen von seiner Fähigkeit überzeugt ist, ein Wunder zu tun, dessen Glaube kann Berge versetzen. Auf der anderen Seite aber benötigt auch die Magie – noch heute – den Glauben derjenigen, welche das magische Wunder verlangen. In seiner Heimat und gelegentlich in anderen Städten vermag Jesus kein Wunder zu tun und »wundert sich ihres Unglaubens«. Weil Besessene und Krüppel an ihn und seine Macht glauben, heilt er sie, wie er wiederholt erklärt. Dies wird nun einerseits nach der ethischen Seite sublimiert. Weil die Ehebrecherin an seine Macht zur Sündenvergebung glaubt, kann er ihr die Sünden vergeben. Andererseits aber – und darum handelt es sich hier zunächst – entwickelt sich der Glaube zum Fürwahrhalten intellektuell verstandener Lehrsätze, die ihrerseits Produkt intellektueller Überlegung sind. Der Konfuzianismus, der von Dogmen gar nichts weiß, ist eben deshalb auch keine Erlösungsethik. Der alte Islâm und das alte Judentum stellen keine eigentlich dogmatischen Ansprüche, sondern verlangen nur, wie die urwüchsige Religion überall, den Glauben an die Macht (und also: Existenz) des eigenen, jetzt als »einzig« angesehenen Gottes und die Mission seiner Propheten. Da sie aber Buchreligionen sind, so müssen immerhin die heiligen Bücher für inspiriert, im Islâm sogar als gottgeschaffen, und also auch ihr Inhalt für wahr gehalten werden. Allein außer kosmogonischen, mythologischen und geschichtlichen Erzählungen enthalten Gesetz und Propheten und der Korân wesentlich praktische Gebote und verlangen an sich keine intellektuelle Einsicht bestimmter Art. Den Glauben als bloßes heiliges Wissen kennen nur die unprophetischen Religionen. Bei ihnen ist die Priesterschaft noch, wie die Zauberer, Hüterin des mythologischen und kosmogonischen Wissens und, als heilige Sänger, zugleich der Heldensage. Die vedische und die konfuzianische Ethik knüpfen die ethische Vollqualifikation an die schulmäßig überlieferte literarische Bildung, die in weitestem Umfang mit bloßem gedächtnismäßigen Wissen identisch ist. Das intellektuelle »Verstehen« als Anforderung führt bereits zur philosophischen oder gnostischen Erlösungsform hinüber. Damit ist aber eine ungeheure Kluft zwischen den intellektuell voll Qualifizierten und den Massen geschaffen. Eine eigentlich offizielle »Dogmatik« gibt es damit aber noch nicht; nur mehr oder minder als orthodox geltende Philosophenmeinungen, wie den orthodoxen Vedânta, das heterodoxe Sâmkhya im Hinduismus. Dagegen haben die christlichen Kirchen mit zunehmendem Eindringen des Intellektualismus und zunehmender Auseinandersetzung mit ihm ein sonst unerreichtes Maß offizieller bindender rationaler Dogmen, einen Theologenglauben, entwickelt. Die Forderung universellen Wissens, Verstehens und Glaubens dieser Dogmen ist praktisch undurchführbar. Es fällt uns heute sogar schwer, uns vorzustellen, daß selbst nur der komplizierte Inhalt etwa des Römerbriefs von einer (vorwiegenden) Kleinbürgergemeinde wirklich intellektuell voll angeeignet worden sei, wie es doch anscheinend der Fall gewesen sein muß. Immerhin wird hier noch mit soteriologischen Vorstellungen gearbeitet, welche innerhalb einer an das Grübeln über die Bedingungen der Erlösung gewöhnten städtischen, dabei mit jüdischer oder hellenischer Kasuistik irgendwie vertrauten Proselytenschicht gangbar waren, und es ist andererseits bekannt, daß auch im 16. und 17. Jahrhundert breite Kleinbürgerkreise die Dogmen der Dordrechter und der Westminstersynode und die vielen komplizierten Kompromißformeln der Reformationskirchen sich intellektuell angeeignet haben. Allein unter normalen Verhältnissen ist eine solche Anforderung in Gemeindereligionen undurchführbar ohne die Konsequenz, entweder des Ausschlusses aller nicht zu den philosophisch Wissenden (Gnostikern) Gehörigen (der »Hyliker« und der mystisch unerleuchteten »Psychiker«) vom Heil, oder doch der Beschränkung auf eine Seligkeit geringeren Grades für die unintellektuellen Frommen (Pistiker), wie sie in der Gnosis und ähnlich auch bei indischen Intellektuellenreligionen vorkommt. Im alten Christentum geht denn auch durch die ersten Jahrhunderte der Streit darüber: ob theologische »Gnosis« oder schlichter Glaube: »Pistis«, die das höhere oder das einzige Heil verbürgende Qualität sei, ausdrücklich oder latent hindurch, im Islâm sind die Mu'taziliten die Vertreter der Theorie, daß das im gewöhnlichen Sinn »gläubige«, nicht dogmatisch geschulte Volk gar nicht zur eigentlichen Gemeinschaft der Gläubigen gehöre, und überall haben die Beziehungen zwischen theologischem Intellektuellentum, dem intellektuellen Virtuosentum der religiösen Erkenntnis und der Frömmigkeit der Unintellektuellen, vor allem aber der Virtuosenreligiosität der Askese und Kontemplation, die beide »totes Wissen« gleich wenig zur Erlösung qualifizierend finden mußten, die Eigenart einer Religiosität jeweils bestimmend geprägt.

Schon in den Evangelien selbst wird die Gleichnisform der Verkündigung Jesu als absichtliche Esoterik hingestellt. Soll diese Konsequenz einer Intellektuellenaristokratie nicht gezogen werden, dann muß der Glaube etwas anderes sein als ein wirkliches Verstehen und Fürwahrhalten eines theologischen Dogmensystems. Und tatsächlich ist er dies in allen prophetischen Religionen entweder von Anfang an gewesen oder mit Ausbildung der Dogmatik namentlich dann geworden, wenn sie Gemeindereligion wurde. Die Annahme der Dogmen ist, außer in den Augen der asketischen oder – und namentlich – der mystischen Virtuosen, zwar nirgends irrelevant. Aber die ausdrückliche persönliche Anerkennung von Dogmen, im Christentum technisch »fides explicita« genannt, pflegt lediglich für bestimmte, im Gegensatz zu anderen Dogmen als absolut wesentlich angesehene »Glaubensartikel« gefordert zu werden. Verschieden weit für andere Dogmen. Die Ansprüche, welche in dieser Hinsicht der Protestantismus, auf Grund der »Rechtfertigung durch den Glauben«, stellte, waren besonders hohe, und zwar namentlich (wenn auch nicht nur) der asketische Protestantismus, für den die Bibel eine Kodifikation göttlichen Rechts war. Die Einrichtung universeller Volksschulen nach jüdischer Art, die intensive Schulung namentlich des Sektennachwuchses, ist sehr wesentlich dieser religiösen Anforderung zu danken, die »Bibelfestigkeit« der Holländer etwa, ebenso der angelsächsischen Pietisten und Methodisten (im Gegensatz zu den sonstigen englischen Volksschulzuständen), erregte noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts das Staunen der Reisenden. Hier war eben die Überzeugung von der dogmatischen Eindeutigkeit der Bibel die Grundlage des weitgehenden Verlangens eigener Kenntnis des Glaubens. Der Masse der Dogmen gegenüber kann in einer dogmenreichen Kirche dagegen nur die fides implicita, die allgemeine Bereitschaft der Unterstellung aller eigenen Überzeugung unter die im Einzelfall maßgebende Glaubensautorität verlangt werden, wie dies die katholische Kirche in weitestem Umfang tat und tut. Eine fides implicita aber ist tatsächlich eben kein persönliches Fürwahrhalten von Dogmen mehr, sondern eine Erklärung des Vertrauens und der Hingabe an einen Propheten oder an eine anstaltsmäßig geordnete Autorität. Damit verliert der religiöse Glaube aber seinen intellektualistischen Charakter. Sobald die Religiosität vorwiegend ethisch rational wird, besitzt er diesen ohnehin nur in nebensächlichem Maße. Denn das bloße Fürwahrhalten von Erkenntnissen genügt einer »Gesinnungsethik« höchstens als unterste Stufe des Glaubens, wie dies u.a. Augustin betont. Auch der Glaube muß eine Gesinnungsqualität werden. Die persönliche Anhänglichkeit an einen Sondergott ist mehr als »Wissen« und wird eben deshalb als »Glaube« bezeichnet. So im Alten wie Neuen Testament. Der »Glaube«, welcher Abraham »zur Gerechtigkeit gerechnet« wird, ist kein intellektuelles Fürwahrhalten von Dogmen, sondern Vertrauen auf die Verheißungen Gottes. Genau das gleiche bedeutet der Glaube seinem zentralen Sinne nach bei Jesus und Paulus. Das Wissen und die Dogmenkenntnis treten weit zurück. Bei einer anstaltsmäßig organisierten Kirche pflegt, mindestens in der Praxis, die Zumutung der fides explicita auf den dogmatisch geschulten Priester, Prediger, Theologen beschränkt zu werden. Jede systematisch theologisierte Religiosität läßt diese Aristokratie der dogmatisch Gebildeten und Wissenden in ihrer Mitte entstehen, welche nun, in verschiedenem Grade und mit verschiedenem Erfolge, den Anspruch erheben, deren eigentliche Träger zu sein. Die noch heute vielfach populäre Vorstellung der Laien, daß der Pfarrer mehr zu verstehen und zu glauben sich imstande zeigen müsse, als der gewöhnliche Menschenverstand fasse – eine namentlich bei den Bauern verbreitete Konzeption –, ist nur eine der Formen, in welchen die »ständische« Qualifikation durch »Bildung«, die in der staatlichen, militärischen, kirchlichen und auch jeder Privatbürokratie sich äußert, hervortritt. Das Urwüchsigere ist demgegenüber die erwähnte, auch neutestamentliche Vorstellung von dem Glauben als einem spezifischen Charisma eines außeralltäglichen Vertrauens auf Gottes ganz persönliche Providenz, welches die Seelenhirten oder Glaubenshelden haben sollen. Kraft dieses Charisma eines über die gewöhnliche Menschenkraft hinausgehenden Vertrauens auf Gottes Beistand kann der Vertrauensmann der Gemeinde, als Glaubensvirtuose, praktisch anders handeln und praktisch andere Dinge vollbringen als der Laie vermag. Der Glaube gibt hier eine Art von Surrogat magischer Fähigkeiten.

Diese spezifisch antirationale innere Haltung aber einer Religiosität des schrankenlosen Gottvertrauens, welche zuweilen bis zu akosmistischer Indifferenz gegen verstandesmäßig praktische Erwägungen, sehr oft zu jenem bedingungslosen Zutrauen auf Gottes Vorsehung führt, welches die Folgen des eigenen, als gottgewollt empfundenen Tuns grundsätzlich ihm allein anheimstellt, steht sowohl im Christentum wie im Islâm und überall im schroffen Gegensatz zum »Wissen«, gerade zum theologischen Wissen. Sie kann stolze Glaubensvirtuosität sein oder umgekehrt, wo sie diese Gefahr kreaturvergötternden Dünkels meidet, eine Haltung unbedingter religiöser Hingabe und gottinniger Demut, welche vor allem anderen die Abtötung des intellektuellen Hochmuts verlangt. Sie spielt besonders im alten Christentum bei Jesus und Paulus, weiterhin im Kampf gegen die hellenische Philosophie, dann in der Theologenfeindschaft der mystisch-pneumatischen Sekten des 17. Jahrhunderts in Westeuropa, des 18. und 19. in Osteuropa eine beherrschende Rolle. Jede, wie immer geartete, genuin religiöse Glaubensfrömmigkeit schließt direkt oder indirekt an irgendeinem Punkte das »Opfer des Intellekts« ein, zugunsten jener überintellektuellen spezifischen Gesinnungsqualität der absoluten Hingabe und des vertrauensvollen: credo non quod, sed quia absurdum est. Hier wie überall betont die Erlösungsreligiosität der Religionen mit überweltlichem Gott die Unzulänglichkeit der eigenen intellektuellen Kraft gegenüber der Erhabenheit Gottes und ist daher etwas spezifisch gänzlich anderes als der buddhistische Verzicht auf das Wissen vom Jenseits – weil es der allein erlösenden Kontemplation nicht frommt – oder [als] der allen Intellektuellenschichten aller Zeiten, den hellenistischen Grabinschriften so gut wie den höchsten Renaissanceprodukten (etwa Shakespeare), wie der europäischen, chinesischen, indischen Philosophie, wie dem modernen Intellektualismus gemeinsame, skeptische Verzicht auf die Kenntnis eines »Sinns« der Welt, den sie vielmehr schroff bekämpfen muß. Der Glaube an das »Absurde«, der schon in den Reden Jesu hervortretende Triumph darüber, daß es die Kinder und Unmündigen, nicht die Wissenden, sind, denen dies Charisma des Glaubens von Gott gegeben ist, deutet die ungeheure Spannung dieser [Art der] Religiosität gegen den Intellektualismus an, den sie doch zugleich immer wieder für ihre eigenen Zwecke zu verwenden trachtet. Sie fördert [ihn] kraft ihrer zunehmenden Durchtränkung mit hellenischen Denkformen schon im Altertum, dann erneut und weit stärker noch im Mittelalter [durch] Schaffung der Universitäten eigens als Stätten der Pflege der Dialektik, die sie, unter dem Eindruck der Leistungen der romanistischen Juristen für die konkurrierende Macht des Kaisertums, ins Leben rief. Glaubensreligiosität setzt jedenfalls stets einen persönlichen Gott, Mittler, Propheten voraus, zu dessen Gunsten an irgendeinem Punkt auf Selbstgerechtigkeit und eigenes Wissen verzichtet wird. Sie ist daher den asiatischen Religiositäten in dieser Form spezifisch fremd.

Der »Glaube« kann, sahen wir, je nach seiner spezifischen Wendung verschiedene Formen annehmen. Nicht dem urwüchsigen, noch in der Jahvereligion und im alten Islâm vorwaltenden, Vertrauen des Kriegers auf die gewaltige Macht des eigenen Gottes, wohl aber der »Erlösung« suchenden Glaubensreligiosität befriedeter Schichten ist eine gewisse, freilich sehr verschieden starke Verwandtschaft mit der kontemplativen Mystik gemeinsam. Denn stets hat ein solches als »Erlösung« erstrebtes Heilsgut wenigstens die Tendenz, zu einer vorwiegend »zuständlichen« Beziehung zum Göttlichen, einer unio mystica, zu werden. Und gerade je systematischer dann der praktische Gesinnungscharakter des Glaubens herauspräpariert wird, desto leichter können, ganz wie bei aller Mystik, direkt anomistische Konsequenzen auftreten. Schon die Paulusbriefe zeigen, ebenso wie gewisse Widersprüche in den überlieferten Äußerungen von Jesus, die große Schwierigkeit, eine auf »Glauben« in diesem Sinn einer Vertrauensbeziehung ruhende, eigentliche »Erlösungs«-Religiosität mit bestimmten ethischen Anforderungen in eindeutige Beziehung zu setzen. Mit den naheliegenden Konsequenzen seiner eigenen Anschauung hat denn auch Paulus fortwährend in sehr komplizierten Deduktionen zu kämpfen. Die konsequente Durchführung der paulinischen Glaubenserlösung im Marcionitismus vollends zeigte die anomistischen Folgerungen. Normalerweise wirkt die Glaubenserlösung, je mehr der Nachdruck auf sie fällt, innerhalb einer Alltagsreligion nicht leicht in der Richtung ethisch aktiver Rationalisierung der Lebensführung, wie dies beim Propheten persönlich naturgemäß sehr wohl der Fall sein kann. Unter Umständen wirkt sie direkt im antirationalen Sinn, im einzelnen sowohl wie im Prinzip. Wie im kleinen manchen gläubigen Lutheranern der Abschluß von Versicherungsverträgen als Bekundung ungläubigen Mißtrauens in Gottes Vorsehung erschien, so erscheint im großen jede rationale Heilsmethodik, jede Art von Werkgerechtigkeit, vor allem jede Überbietung der normalen Sittlichkeit durch asketische Leistungen der Glaubensreligiosität als frevelhaftes Pochen auf Menschenkraft. Wo sie konsequent entwikkelt ist, lehnt sie – wie der alte Islâm – jedenfalls die überweltliche Askese, insbesondere das Mönchtum, ab. Sie kann dadurch, wie es der lutherische Protestantismus getan hat, der religiösen Wertung der innerweltlichen Berufsarbeit direkt zugute kommen und deren Antriebe namentlich dann stärken, wenn sie auch die priesterliche Buß- und Sakramentsgnade zugunsten der alleinigen Wichtigkeit der persönlichen Glaubensbeziehung zu Gott entwertet. Dies hat das Luthertum prinzipiell von Anfang an, noch verstärkt in seiner späteren Entwicklung nach völliger Beseitigung der Beichte und speziell in den Formen des von Spener und Francke her asketisch, durch quäkerische und andere ihnen selbst wenig bewußte Kanäle, beeinflußten Pietismus getan. Aus der lutherischen Bibelübersetzung zuerst stammt überhaupt das deutsche Wort »Beruf«, und die Wertung der innerweltlichen Berufstugend als einziger Form gottwohlgefälligen Lebens ist dem Luthertum von Anfang an durchaus wesentlich. Da aber die »Werke« weder als Realgrund der Seelenrettung, wie im Katholizismus, noch als Erkenntnisgrund der Wiedergeburt, wie im asketischen Protestantismus, in Betracht kamen, und da überhaupt der Gefühlshabitus des Sichgeborgenwissens in Gottes Güte und Gnade die vorwaltende Form der Heilsgewißheit blieb, so blieb auch die Stellung zur Welt ein geduldiges »Sich-Schicken« in deren Ordnungen, im ausgeprägten Gegensatz gegen alle jene Formen des Protestantismus, die zur Heilsgewißheit eine Bewährung (bei den Pietisten fides efficax, bei den islâmischen Châridschiten »'amal«) in guten Werken oder einer spezifisch methodischen Lebensführung forderten, und vollends zu der Virtuosenreligion der asketischen Sekten. Es fehlen dem Luthertum jegliche Antriebe zu sozial oder politisch revolutionärer oder auch nur rational-reformerischer Haltung. Es gilt, in der Welt und gegen sie das Heilsgut des Glaubens zu bewahren, nicht sie rational ethisch umzugestalten. Wo nur das Wort rein und lauter verkündet wird, findet sich alles für den Christen Wesentliche von selbst, und es ist die Gestaltung der äußeren Ordnung der Welt, selbst der Kirche, ein Adiáphoron. Dieser fügsame, relativ weltindifferente, im Gegensatz zur Askese »weltoffene« Gefühlscharakter des Glaubens ist allerdings erst Entwicklungsprodukt. Die spezifische Glaubensreligiosität kann nicht leicht antitraditionalistisch rationale Züge der Lebensführung erzeugen, und es fehlt ihr aus sich heraus jeder Antrieb zu einer rationalen Beherrschung und Umgestaltung der Welt.

Der »Glaube« in der Form, wie ihn die Kriegerreligionen des alten Islam und auch der älteren Jahvereligion kennen, trägt das Gepräge der einfachen Gefolgschaftstreue gegen den Gott oder Propheten, ganz wie sie allen Beziehungen zu anthropomorphen Göttern urwüchsig eigen ist. Für die Gefolgschaftstreue lohnt der Gott, Untreue straft er. Andere Qualitäten gewinnt diese persönliche Beziehung zu Gott erst, wo befriedete Gemeinden und speziell Anhänger aus bürgerlichen Schichten Träger einer Erlösungsreligiosität sind. Dann erst kann der Glaube als Erlösungsmittel seinen gefühlsmäßigen Charakter gewinnen und dabei die Züge der Gottes- oder Heilandsliebe annehmen, wie sie schon in der exilischen und nachexilischen Religiosität des Judentums und verstärkt im frühen Christentum, vor allem bei Jesus und Johannes, auftreten. Gott erscheint als gnädiger Dienstherr oder als Hausvater. Zwar ist es ein gröblicher Unfug, wenn man in der Vaterqualität des Gottes, den Jesus verkündet, einen Einschlag unsemitischer Religiosität hat finden wollen, weil die Götter der (meist semitischen) Wüstenvölker die Menschen »schaffen«, die hellenischen sie »zeugen«. Denn der christliche Gott hat niemals daran gedacht, Menschen zu zeugen (gennethenta ou poiethenta, gezeugt und nicht geschaffen, ist gerade das auszeichnende Prädikat des trinitarisch vergotteten Christus im Gegensatz zum Menschen), und er ist, obwohl er die Menschen mit übermenschlicher Liebe umfängt, ganz und gar kein zärtlicher moderner Papa, sondern vorwiegend ein wohlwollender, aber auch zorniger und strenger königlicher Patriarch wie schon der jüdische Gott. Aber allerdings kann nun das Stimmungsmäßige der Glaubensreligiosität durch das Gotteskindschaftsbewußtsein (statt der asketischen Gotteswerkzeugvorstellung) weiter gesteigert, die Einheit der Lebensführung dadurch noch mehr im gefühlsmäßigen Stimmungsgehalt und Gottvertrauen, statt im ethischen Bewährungsbewußtsein gesucht und so ihr praktisch rationaler Charakter noch weiter abgeschwächt werden. Schon der mit der »Sprache Kanaans« seit der Renaissance des Pietismus eingerissene, winselnde Tonfall typischer lutherischer Kanzelreden in Deutschland deutet jene Gefühlsforderung an, die kraftvolle Männer so oft aus der Kirche gescheucht hat.

Vollends antirational wirkt auf die Lebensführung die Glaubensreligiosität normalerweise da, wo die Beziehung zu Gott oder Heiland den Charakter der leidenschaftlichen Devotion, der Glaube also einen latent oder offen erotischen Einschlag zeigt. So in den verschiedenen Spielarten der s.ûfîtischen Gottesliebe und der bernhardinischen Hohe-Lied-Mystik, im Marien- und Herz-Jesu-Kult und anderen hierher gehörigen Devotionsformen und auch in einzelnen gefühlsschwelgerischen Entfaltungen des spezifisch lutherischen Pietismus (Zinzendorf). Vor allem aber in der spezifisch hinduistischen, die stolze und vornehme Intellektuellenreligiosität des Buddhismus seit dem 5./6. Jahrhundert radikal verdrängenden Bhakti-(Liebes-)Frömmigkeit, der dort populären Form der Massenerlösungsreligion, insbesondere der soteriologischen Formen des Vishnuismus. Die Devotion zu dem aus dem Mahâbhârata durch Apotheose zum Heiland erhobenen Krishna, namentlich zum Krishnakinde, wird hier durch die vier Stufen der Kontemplation: Dienerschafts-, Freundschafts-, Kindes-(oder Eltern-)Liebe bis zur höchsten Stufe der ausdrücklich erotisch, nach Art der Gopîsliebe (der Liebe von Krishnas Maitressen zu ihm), gefärbten Devotion gesteigert. Diese Religiosität, welche überdies schon infolge ihrer alltagsfeindlichen Form der Heilsgewinnung stets irgendwelchen Grad sakramental- priesterlicher Gnadenvermittlung durch die Gurus und Gosâins voraussetzt, ist, auf ihre praktische Wirkung hin angesehen, ein sublimierteres Seitenstück der in den untersten Schichten populären hinduistischen Saktireligiosität, einer Devotion für die Götterweiber, welche nicht selten erotischen Orgienkult einschloß, immer aber der Orgien-religiosität nahesteht. Sie steht namentlich den christlichen Formen der reinen Glaubensreligiosität: dem kontinuierlichen unerschütterlichen Zutrauen in Gottes Vorsehung, in jeder Hinsicht fern. Die erotisch gefärbte Heilandsbeziehung wird wesentlich technisch, durch Devotionsübung, erzeugt. Der christliche Vorsehungsglaube dagegen ist ein willensmäßig festzuhaltendes Charisma.


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