Erlösung durch Prädestinationsgnade
Die Erlösung kann endlich ganz freies grundloses Gnadengeschenk eines in seinen Ratschlüssen unerforschlichen, kraft seiner Allwissenheit notwendig unwandelbaren, durch menschliches Verhalten überhaupt nicht zu beeinflussenden Gottes sein: Prädestinationsgnade. Sie setzt den überweltlichen Schöpfergott am unbedingtesten voraus und fehlt daher aller antiken und asiatischen Religiosität. Sie scheidet sich von der in kriegerischen Heldenreligionen sich findenden Vorstellung eines übergöttlichen Verhängnisses durch ihren Charakter als Vorsehung, d.h. als eine zwar vom Menschen aus gesehen irrationale, dagegen von Gott aus gesehen rationale Ordnung, als ein Weltregiment. Dagegen schaltet sie die Güte Gottes aus. Er wird zu einem harten, majestätischen König. Sie selbst teilt mit dem Verhängnisglauben die Konsequenz, [zu] Vornehmheit und Härte zu erziehen, obwohl oder vielmehr gerade weil diesem Gott gegenüber die völlige Entwertung aller eigenen Kraft des Einzelnen die Voraussetzung der Errettung allein aus freier Gnade ist. Leidenschaftslose, ernst sittliche Naturen wie Pelagius konnten an die Zulänglichkeit der eigenen Werke glauben. Die Prädestination ist unter den Propheten der Glaube von Menschen, die entweder, wie Calvin und Muhammed, ein rationaler religiöser Machttrieb übermächtig beseelt: die Sicherheit der eigenen, weniger aus persönlicher Fleckenlosigkeit als aus der Situation der Welt und aus Gottes Willen folgenden Mission, oder die, wie Augustinus und ebenfalls wieder Muhammed, ungeheure Leidenschaften zu bändigen hatten und in dem Gefühl lebten, daß dies, soweit überhaupt, nur durch eine außer ihnen und über ihnen waltende Macht gelungen sei. In der gewaltig erregten Zeit nach seinen schweren Sündenkämpfen kannte sie daher auch Luther, um sie später mit zunehmender Weltanpassung zurücktreten zu lassen.
Die Prädestination gewährt dem Begnadeten das Höchstmaß von Heilsgewißheit, wenn er einmal sicher ist, zu der Heilsaristokratie der Wenigen zu gehören, die auserwählt sind. Ob aber der Einzelne dies unvergleichlich wichtige Charisma besitzt, dafür muß es – da die absolute Ungewißheit dauernd nicht ertragen wird – Symptome geben. Da nun Gott sich herbeigelassen hat, immerhin einige positive Gebote für das ihm wohlgefällige Handeln zu offenbaren, so können jene Symptome nur in der hier, wie für jedes religiös aktive Charisma, ausschlaggebenden Bewährung der Fähigkeit liegen, als Gottes Werkzeug an ihrer Erfüllung mitzuwirken, und zwar kontinuierlich und methodisch, da man die Gnade entweder immer hat oder nie. Nicht einzelne Verstöße – die dem Prädestinierten als Kreatur wie allen Sündern widerfahren –, sondern das Wissen, daß nicht diese Verstöße, sondern das gottgewollte Handeln aus der eigentlichen, durch die geheimnisvolle Gnadenbeziehung gestifteten inneren Beziehung zu Gott fließen, die zentrale und konstante Qualität der Persönlichkeit also, gibt Gewißheit des Heils und der Gnadenperseveranz. Anstatt der scheinbaren »logischen« Konsequenz des Fatalismus hat daher der Prädestinationsglaube gerade bei seinen konsequentesten Anhängern die denkbar stärksten Motive gottgewollten Handelns anerzogen. Naturgemäß je nach dem primären Inhalt der Prophetie verschieden geartet. Die rücksichtslose Selbstvergessenheit der unter dem religiösen Gebot des Glaubenskrieges zur Welteroberung stehenden, islâmitischen Glaubenskämpfer der ersten Generationen, ebenso wie der ethische Rigorismus, die Legalität und rationale Lebensmethodik der unter dem christlichen Sittengesetz stehenden Puritaner, folgten beide aus dem Einfluß jenes Glaubens. Disziplin im Glaubenskriege war die Quelle der Unüberwindlichkeit der islâmischen ebenso wie der Cromwellschen Kavallerie, innerweltliche Askese und disziplinierte Heilssuche im gottgewollten Beruf die Quelle der Erwerbsvirtuosität bei den Puritanern. Die radikale und wirklich endgültige Entwertung aller magischen, sakramentalen und anstaltsmäßigen Gnadenspende gegenüber Gottes souveränem Willen ist die unvermeidliche Folge jeder konsequent durchgeführten Prädestinationsgnade und ist auch, wo immer sie in voller Reinheit bestand und erhalten blieb, eingetreten. Die weitaus stärkste Wirkung hatte sie in dieser Hinsicht im Puritanismus. Die islâmische Prädestination kannte einerseits das doppelte Dekret nicht: die Prädestination zur Hölle wagte man Allah nicht zuzuschreiben, sondern nur die Entziehung seiner Gnade und damit die »Zulassung« des – bei der Unzulänglichkeit des Menschen – unvermeidlichen Irrens. Und sie hatte, dem Charakter der Kriegerreligion entsprechend, insofern die Färbung der hellenischen »moira«, als einerseits die spezifisch rationalen Elemente des »Weltregiments« und andererseits die Determination des religiösen Jenseitsschicksals des Einzelnen dabei weit schwächer entwickelt waren. Die Vorstellung waltete vor, daß nicht das jenseitige, sondern gerade das diesseitige außeralltägliche Schicksal, die Frage z.B. (und namentlich): ob der Glaubenskämpfer in der Schlacht falle oder nicht, durch Prädestination bestimmt sei. Das jenseitige Schicksal des Einzelnen war dagegen schon durch seinen bloßen Glauben an Allah und den Propheten hinlänglich gesichert und bedurfte daher – nach der älteren Vorstellung wenigstens – keiner Bewährung in der Lebensführung: ein rationales System der Alltagsaskese war dieser Kriegerreligion ursprünglich fremd. Daher entfaltete die Prädestination im Islâm ihre Macht zwar stets erneut in den Glaubenskämpfen, wie noch in denen des Mahdî, büßte sie dagegen mit jeder »Verbürgerlichung« des Islâm ein, weil sie keine inneralltägliche Lebensmethodik stiftete wie im Puritanismus, wo die Prädestination gerade das Jenseitsschicksal betraf und also die »certitudo salutis« gerade an der inneralltäglichen Tugendbewährung hing, daher allein mit der Verbürgerlichung der Religiosität Calvins ihre Bedeutung gegenüber dessen eigenen ursprünglichen Anschauungen stieg. Höchst charakteristischerweise ist – während der puritanische Prädestinationsglaube den Autoritäten überall als staatsgefährlich und autoritätsfeindlich, weil jeder weltlichen Legitimität und Autorität gegenüber skeptisch, galt – das als spezifisch »weltlich« verschrieene Omajjadengeschlecht Anhänger des Prädestinationsglaubens gewesen, weil es seine eigene, illegitim erworbene Herrschaft durch den prädestinierenden Willen Allahs legitimiert zu sehen erwartete: man sieht, wie die Wendung zur Determination konkreter Weltvorgänge, statt [der Gerichtetheit] auf das Jenseitsschicksal, sofort den ethisch rationalen Charakter der Prädestination schwinden läßt. Und soweit sie asketisch wirkte – was bei den alten schlichten Glaubenskämpfern immerhin auch der Fall war –, wurde diese Wirkung im Islâm, der an die Sittlichkeit überdies vornehmlich äußere und im übrigen rituelle Anforderungen stellte, im Alltag zurückgedrängt und nahm ihres weniger rationalen Charakters halber in der Volksreligiosität leicht fatalistische Züge (Kismet) an, verdrängte auch eben deshalb die Magie aus der Volksreligion nicht. Dem Charakter der konfuzianischen Ethik der chinesischen Patrimonialbürokratie endlich entspricht es, daß dort das Wissen um ein »Verhängnis« einerseits als das gilt, was die vornehme Gesinnung garantiert, andererseits dies Verhängnis im magischen Massenglauben zuweilen fatalistische Züge, im Glauben der Gebildeten aber eine gewisse Mittelstellung zwischen Vorsehung und »moira« annimmt. Wie die moira und der Trotz, sie zu bestehen, den kriegerischen Heldenstolz, so speist die Prädestination den (»pharisäischen«) Stolz heroistischer bürgerlicher Askese. Nirgends aber ist der Stolz der prädestinierten Heilsaristokratie so eng mit dem Berufsmenschentum und mit der Idee: daß der Erfolg rationalen Handelns Gottes Segen erweise, verknüpft, nirgends daher die Wirkung der asketischen Motive auf die Wirtschaftsgesinnung so intensiv wie im Geltungsbereich der puritanischen Prädestinationsgnade. Auch die Prädestinationsgnade ist der Glaube religiösen Virtuosentums, welches allein den Gedanken des »doppelten Dekrets« von Ewigkeit her erträgt. Mit zunehmendem Einströmen in den Alltag und in die Massenreligiosität wird der düstere Ernst der Lehre immer weniger ertragen, und als caput mortuum blieb schließlich im okzidentalen asketischen Protestantismus jener Beitrag zurück, den speziell auch diese Gnadenlehre in der rational kapitalistischen Gesinnung: dem Gedanken der methodischen Berufsbewährung im Erwerbsleben, als Einschlag zurückgelassen hat. Der Kuypersche Neocalvinismus wagt die reine Lehre nicht mehr voll zu vertreten. Aber wirklich ausgerottet ist der Glaube als solcher nicht. Er wechselt nur die Form. Denn unter allen Umständen war der Prädestinationsdeterminismus ein Mittel der denkbar intensivsten systematischen Zentralisierung der »Gesinnungsethik«. Die »Gesamtpersönlichkeit«, wie wir heute sagen würden, ist durch »göttliche Wahl« mit dem Ewigkeitswertakzent versehen, nicht irgendeine einzelne Handlung. Das religionslose, auf diesseitig gewendetem Determinismus ruhende Pendant dieser religiösen Glaubenswertung ist jene spezifische Art von »Scham« und – sozusagen – gottlosem Sündengefühl, welche dem modernen Menschen ebenfalls kraft einer, einerlei wie metaphysisch unterbauten, ethischen Systematisierung zur Gesinnungsethik eignen. Nicht daß er dies getan hat, sondern daß er, ohne sein Zutun, kraft seiner unabänderlichen Geartetheit so »ist «, daß er es tun konnte, ist die geheime Qual, die er trägt, und ebenso das, was der deterministisch gewendete »Pharisäismus« der Anderen in ihrer Ablehnung ihm zum Ausdruck bringt, – ebenso menschlichkeitsfremd, weil ebenso ohne die sinnvolle Möglichkeit einer »Vergebung« und »Reue« oder eines »Wiedergutmachens«, in ganz der gleichen Art wie der religiöse Prädestinationsglaube selbst es war, der immerhin irgendeine geheime, göttliche ratio vorstellen konnte.