Religiöse Verwerfung des Zinsnehmens
In fast allen ethischen Lebensreglementierungen kehrt nun auf ökonomischem Gebiet als Ausfluß dieser zentralen Gesinnung die Verwerfung des Zinses wieder. Gänzlich fehlt sie in der religiösen Ethik außerhalb des Protestantismus nur da, wo, wie im Konfuzianismus, diese eine reine Weltanpassung geworden ist oder, wie in der altbabylonischen Ethik und in den antiken Mittelmeerethiken, das Stadtbürgertum, insbesondere der stadtsässige und am Handel interessierte Adel die Entwicklung einer durchgreifenden karitativen Ethik überhaupt verhindert. In den indischen religiösen Rechtsbüchern gilt wenigstens für die beiden höchsten Kasten das Zinsnehmen als verpönt. Bei den Juden unter Volksgenossen, im Islâm und im alten Christentum zunächst unter Glaubensbrüdern, dann unbedingt. Im Christentum ist das Zinsverbot als solches vielleicht nicht ursprünglich. Gott wird nicht vergelten, wo man ohne Risiko leiht, – so wird bei Jesus die Vorschrift: auch den Unbemittelten zu leihen, motiviert. Aus dieser Stelle hat dann ein Leseund Übersetzungsfehler das Verbot des Zinses gemacht (µ.de`. statt µ.d..a a’ pe.p....te., daraus die Vulgata: »nihil inde sperantes«). Der ursprüngliche Grund der Zinsperhorreszierung liegt durchweg in dem Bittleistungscharakter des primitiven Notdarlehns, welcher den Zins »unter Brüdern« als Verstoß gegen die Nothilfepflicht erscheinen lassen mußte. Für die steigende Einschärfung des Verbots im Christentum unter ganz anderen Bedingungen aber waren teilweise andere Motive maßgebend. Nicht etwa das Fehlen des Kapitalzinses infolge der allgemeinen Bedingungen der Naturalwirtschaft, deren »Widerspiegelung« angeblich das Verbot (nach geschichts- materialistischer Schablone) sein sollte. Denn wir sehen gerade im Gegenteil, daß die christliche Kirche und ihre Diener, einschließlich des Papstes, selbst im frühen Mittelalter, also gerade im Zeitalter der Naturalwirtschaft, ganz unbedenklich Zins genommen und erst recht ihn geduldet haben, und daß vielmehr fast genau parallel mit dem Beginn der Entwicklung wirklich kapitalistischer Verkehrsformen und speziell des Erwerbskapitals im Überseehandel die kirchliche Verfolgung des Darlehnszinses entstand und immer schärfer einsetzte. Es handelt sich also um einen prinzipiellen Kampf der ethischen mit der ökonomischen Rationalisierung der Wirtschaft. Erst im 19. Jahrhundert mußte die Kirche, wie wir sahen, den nunmehr unabänderlichen Tatsachen gegenüber das Verbot in der früher erwähnten Art beseitigen.