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Lüge

Lüge. Die Lüge ist unbedingt verwerflich, auch die „Notlüge“. Die Lüge, auch wo sie unschädlich ist, ist nie unschuldig, sondern „eine schwere Verletzung der Pflicht gegen sich selbst, und zwar einer solchen, die ganz unerläßlich ist, weil ihre Übertretung die Würde der Menschheit in unserer eigenen Person herabsetzt und die Denkungsart in ihrer Wurzel angreift, denn Betrug macht alles zweifelhaft und verdächtig und benimmt selbst der Tugend alles Vertrauen, wenn man sie nach ihrem Äußeren beurteilen soll“, An Maria von Herbert, Frühjahr 1792. Ich kann die Lüge als ein allgemeines Gesetz nicht wollen, „denn nach einem solchen würde es eigentlich gar kein Versprechen geben“, GMS 1. Abs. (III 21 f.). Der Mensch muß in allem, was er sagt, wahrhaft sein, d. h. er soll nicht täuschen, äußerlich wie innerlich. „Die Übertretung dieser Pflicht der Wahrhaftigkeit heißt die Lüge; weshalb es äußere, aber auch eine innere Lüge geben kann.“ „Eine Lüge aber, sie mag innerlich oder äußerlich sein, ist zwiefacher Art: 1. Wenn man das für wahr ausgibt, dessen man sich doch als unwahr bewußt ist, 2. wenn man etwas für gewiß ausgibt, wovon man sich doch bewußt ist, subjektiv ungewiß zu sein.“ „Die Lüge (’vom Vater der Lügen, durch den alles Böse in die Welt gekommen ist’) ist der eigentliche faule Fleck in der menschlichen Natur“, Fried, i. d. Phil. 2. Abs. (V 4, 39 f.). „Die größte Verletzung der Pflicht des Menschen gegen sich selbst, bloß als moralisches Wesen betrachtet (die Menschheit in seiner Person), ist das Widerspiel der Wahrhaftigkeit: die Lüge.“ „Die Lüge ist Wegwerfung und gleichsam Vernichtung seiner Menschenwürde“, MST § 9 (III 277 ff.). Es gibt kein „Recht, aus Menschenliebe zu lügen“ (gegen B. Constant u. a.). Der Mensch hat nur „ein Recht auf seine eigene Wahrhaftigkeit“. Wahrhaftigkeit ist „formale Pflicht des Menschen“ gegen jedermann, mag daraus für wen immer ein noch so großer Nachteil erwachsen. Indem ich lüge, mache ich, „daß Aussagen (Deklarationen) überhaupt keinen Glauben finden“, füge also der „Menschheit überhaupt“ ein Unrecht zu. Die Lüge schadet immer, da sie „die Rechtsquellen unbrauchbar macht“. Auch kann eine (gutmütige) Lüge durch Zufall strafbar werden, indem sie gerade das herbeiführt, was vermieden werden sollte (z. B. ein Mord), und der Lügner dafür verantwortlich gemacht werden kann. „Es ist also ein heiliges, unbedingt gebietendes, durch keine Konvenienzen einzuschränkendes Vernunftgebot: in allen Erklärungen wahrhaft (ehrlich) zu sein“, Über e. vermeintl. Recht, aus Menschenliebe zu lügen (VI 201 ff.). Die Lügenhaftigkeit ist (als „Falschheit“, „selbst ohne alle Absicht zu schaden“) „an sich böse“. Die Lüge ist „zu nichts gut“, in welcher Absicht immer; sie ist „an sich selbst böse und verwerflich“. Lügenhaftigkeit ist „Nichtswürdigkeit, wodurch dem Menschen aller Charakter abgesprochen wird“, Theodiz. (VI 152 f.). „Das Lügen macht den Menschen zum Gegenstande der allgemeinen Verachtung und ist ein Mittel, ihm bei sich selbst die Achtung und Glaubwürdigkeit zu rauben, die jeder für sich haben sollte“, über Pädagogik (VIII 241). Die Lüge muß man unmittelbar häßlich schildern und sie „keiner anderen Regel der Moralität, z. B. der Pflicht gegen andere unterordnen“, Bruchstücke aus d. Nachlaß (VIII 265). Vgl. Wahrhaftigkeit, Gewissenhaftigkeit.