Form der Atome
Doch jetzt höre von mir, wie die Grundelemente der Dinge
Alle sich mannigfaltig in ihren Gestalten erweisen.
Nicht als ob gar viele zu wenig sich ähneln im Aussehn:
Nein, in der Regel ist alles von allem in allem verschieden.
Dies darf Wunder nicht nehmen. Die Fülle der Urelemente
Ist ja so groß, wie gesagt, daß sie zahllos scheint und unendlich;
Denn nicht sämtlich dürfen sie sämtlichen ähnlich gezwirnt sein,
Noch auch selbstverständlich in ähnlichen Formen erscheinen.
* * *
Sieh auch das Menschengeschlecht und die schwimmenden,
schuppigen, stummen
Tiere des Meers und das Wild und die fröhlichen Rinder der Herde,
Ferner das bunte Gevögel, das bald die erfrischenden Küsten
Um die Buchten des Meeres, bald Quellen und Seen bevölkert,
Oder die einsamen Haine in dichtem Geschwader durchflieget:
Nimm dir nach Gattungen einzeln sie vor, stets wirst du erkennen,
Daß sie in ihrer Gestalt doch sehr voneinander sich scheiden.
Anders könnten ja auch die Kinder die Mutter nicht kennen,
Oder die Mutter die Kinder. Das können sie aber bekanntlich.
Denn so gut wie die Menschen erkennen einander die Tiere.
Vor dem Tempel der Götter, dem festlich geschmückten, wird oftmals
Wohl ein Kälbchen geschlachtet, am weihrauchduftenden Altar,
Wo aus röchelnder Brust sich ergießt sein glühender Blutstrom,
Aber die Mutter durchwandert verwaist die ergrünenden Täler,
Sie erkennt auf dem Boden die Spur der gespaltenen Füße
Und durchsucht ringsum das Gefild, ob sie irgendwo könnte
Ihr verlorenes Junge erblicken. Sie füllt mit Gejammer
Ständig den grünenden Hain und kehrt dann wieder und wieder
Zu dem Stalle zurück, von der Liebe zum Kinde getrieben;
Weder die Schossen der Weide, noch taufrisch lockender Rasen,
Noch der vertraute Strom, der in ragenden Ufern dahinfließt,
Können das Herz ihr erfreun und den nagenden Kummer ihr bannen;
Auch die heiteren Sprünge der übrigen Kälber im Grase
Können den Sinn ihr nicht wenden, nicht ihre Bekümmernis heben:
So sehr sehnt sich das Tier nach etwas Bekanntem und Eignem.
Auch die Böckchen erkennen die hörnertragenden Mütter
Jung schon mit zitternden Stimmen, nicht minder die stößigen Lämmer
Ihre blökenden Mütter. So eilt denn ein jedes der Jungen,
Wie die Natur es verlangt, zu der Mutter milchenden Eutern.
Endlich wirst du wohl nie bei der Feldfrucht jegliches Körnchen
Untereinander so ähnlich erblicken in jeglicher Gattung,
Daß sich nicht Unterschiede der Formen dazwischen ergäben.
Auch das Muschelgeschlecht malt so mit bunten Gestalten
Unseren Erdenschoß, wo das Meer mit dem weichen Gewoge
An dem gewundenen Strande den gierig schlürfenden Sand schlägt.
Deshalb müssen genauso (ich sag' es dir wieder und wieder)
Alle die Urelemente gewisse Verschiedenheit zeigen
Untereinander in ihrer Gestalt, da sie Werk der Natur sind,
Nicht nach einer Schablone von Menschenhänden gebildet.