Willensfreiheit
Endlich, wenn immer sich schließt die Kette der ganzen Bewegung
Und an den früheren Ring sich der neue unweigerlich anreiht,
Wenn die Atome nicht weichen vom Lote und dadurch bewirken
Jener Bewegung Beginn, die des Schicksals Bande zertrümmert,
Das sonst lückenlos schließt die unendliche Ursachenkette:
Woher, frag ich dich, stammt die Freiheit der Willensbestimmung,
Die uns lebenden Wesen auf Erden hier überall zusteht,
Und die jedem zu gehen gestattet, wohin er nur Lust hat,
Die uns Bewegungsänderung erlaubt und weder dem Orte
Noch auch der Zeit nach beschränkt ist, vielmehr dem Verstand es
anheimstellt?
Denn unzweifelhaft bietet zu diesen Dingen den Anstoß
Jedem sein eigener Wille, ihm folgt die Bewegung der Glieder.
Siehst du nicht auch, daß, sobald sich die Schranken gesenkt in der
Rennbahn,
Nicht sofort im Moment der gewaltige Eifer der Rosse
Vorwärts zu stürmen vermag so schnell, wie sie selber wohl möchten?
Denn erst muß die Erregung die Masse des Stoffes erfassen
In dem Ganzen des Körpers, damit die erregten Gelenke
Sämtlich dem Drange des Geistes mithelfend zu folgen vermögen.
Daraus kannst du ersehn, daß vom Herzen aus gehe der Anstoß,
Daß aus dem Willen des Geistes zuerst er entspringe und dann erst
Weiter und weiter sich leite durch sämtliche Glieder des Leibes.
Ganz verschieden davon ist der Anstoß, den wir zum Gehen
Durch die Übergewalt und den Machtzwang andrer erleiden.
Denn hier wird offenbar die vereinigte Masse des Körpers
Unserem Willen entgegen zum Fortgehn weiter gerissen,
Bis sie dann wieder dem Willen gehorcht, der die Glieder zurücklenkt.
Siehst du nunmehr, daß, ob viele sich auch durch äußeren Einfluß
Treiben und nötigen lassen zu unfreiwilligem Fortgehn
Und zu haltlosem Stürzen, doch immer in unserem Busen
Etwas bleibt, was dagegen sich sträubt und das Fremde zurückweist?
Seinem entscheidenden Willen gelingt's, die Massen des Stoffes
Jeweils dazu zu zwingen, die Glieder des Leibes zu beugen,
Ihrem Sturze zu steuern und rückwärts Ruhe zu finden.
Ebenso mußt du daher auch bei den Atomen gestehen,
Daß noch ein anderer Grund zur Bewegung, außer den Stößen
Und dem Gewichte, besteht, woraus die uns eigene Kraft stammt.
Denn aus Nichts kann nie (dies sehen wir) Etwas entstehen.
Nämlich die Schwere verhindert, daß alles durch Stöße bewirkt wird
Gleichsam durch äußre Gewalt; doch daß den Geist in uns selber
Nicht ein innerer Zwang bei allen Geschäften behindert,
Und er als Opferlamm nicht zum Dulden und Leiden verdammt ist,
Dies ist der Lotabweichung der Urelemente zu danken,
Die, so klein sie auch ist, durch den Ort und die Zeit nicht beschränkt wird.