Elend der Toren
O wie arm ist der Menschen Verstand, wie blind ihr Verlangen!
In welch finsterer Nacht und in wieviel schlimmen Gefahren
Fließt dies Leben, das bißchen, dahin! Erkennt man denn gar nicht,
Daß die Natur nichts andres erheischt, als daß sich der Körper
Wenigstens frei von Schmerzen erhält und der Geist sich beständig
Heiteren Sinnes erfreut und Sorgen und Ängsten entrückt ist?
Weniges ist's demnach, was im ganzen für unseres Körpers
Wesen erforderlich scheint: Fernhalten jeglichen Schmerzes!
Mag man auch manche Genüsse bisweilen genehmer uns bieten
Können: allein die Natur hat selber doch nicht das Bedürfnis,
Daß in dem weiten Palast rings goldene Statuen stehen,
Jünglinge, die mit der Hand lichtspendende Fackeln erheben,
Um für das nächtliche Mahl hinreichendes Licht zu gewähren,
Oder daß alles von Silber und Gold in den Sälen erglänzet,
Oder daß Zithermusik von dem goldnen Getäfel zurückschallt,
Während wir ebensogut mit bescheidenen Mitteln uns laben,
Wenn wir an Bächleins Rand in dem Schatten ragender Bäume
Uns zueinander gesellen auf schwellendem Rasen gelagert,
Wenn zumal auch das Wetter uns lacht und der liebliche Frühling
Grünende Wiesengefilde mit farbigen Blumen bemalet;
Auch die hitzigen Fieber verlassen nicht rascher den Körper,
Wenn auf gesticktem Brokat du dich wälzest und purpurnem Polster,
Als wenn du strecken dich mußt auf die Proletarierdecke.
Darum, weil nun einmal der Reichtum unserem Körper
Gar nichts nützt und der Adel und herrschender Stellung Gepränge,
Darf man im übrigen auch bei dem Geiste dasselbe vermuten.
Oder vermeinst du im Ernst, wenn du deine Legionen im Marsfeld
Wimmeln und aufziehn siehst zu kriegnachahmendem Schauspiel
Und als Deckung der Bündner gewaltige Reitergeschwader,
Alles in starker Bewaffnung, beseelt von der gleichen Begeistrung,
Oder der Schiffe Gewimmel erblickst, die die Meere beherrschen,
Meinst du, daß hierdurch dir aus der Seele die Ängste verschwinden
Grauslicher Religion? daß dann auch die Schrecken des Todes
Dir dein Herz nicht bedrücken und du von den Sorgen befreit wirst?
Wenn wir nun sehen, wie lächerlich dies, wie kindisch das Spiel ist,
Wie doch in Wahrheit die Ängste der Menschen und quälenden Sorgen
Nicht vor dem Waffengetümmel entfliehn und den grimmen Geschossen,
Sondern sogar mit den Königen dreist und den Herrschern des Staates
Umgang pflegen, und weder vor Gold sich in Ehrfurcht beugen
Noch vor der glänzenden Pracht der erhabenen Purpurgewänder:
Zweifelst du noch, daß dagegen allein die Vernunft uns die Macht gibt?
Müht sich doch stets in der Finsternis ab dies menschliche Leben!
Denn wie in dunkeler Nacht die Kindlein zittern und beben
Und vor allem sich graulen, so ängstigen wir uns bisweilen
Selbst am Tage vor Dingen, die wahrlich nicht mehr sind zu fürchten,
Als was im Dunkel die Kinder befürchten und künftig erwarten.
Jene Gemütsangst nun und die lastende Geistesverfinstrung
Kann nicht der Sonnenstrahl und des Tages leuchtende Helle
Scheuchen, sondern allein der Natur grundtiefe Betrachtung.