Organ des Gedächtnisses
Ich habe mir redliche Mühe gegeben, zu überdenken, was das ist, was wir bald Gedächtnis, bald Sprache zu nennen pflegen, was durch sein Wesen wie durch seinen wesentlichen Fehler erst das menschliche Denken ermöglicht, wie es, dasselbe Gedächtnis, auf einer anderen Stufe der Organismen erst das Leben ermöglicht. Ich habe, nachdem dieses große Kapitel nur allzu kurz abgehandelt war, noch auf die Aufmerksamkeit und ihr Verhältnis zum Gedächtnisse hingewiesen, endlich ganz flüchtig den Wahnsinn berührt, der sich uns immer als eine Krankheit des Gedächtnisses und fast immer als eine Krankheit der Sprache darstellt. Bevor ich nun daran gehe, auch das Bewußtsein oder das Ich als eine Spiegelung des Gedächtnisses oder der Sprache zu betrachten, möchte ich noch ein letztes Wort wagen über die naturwissenschaftliche Unterlage all dieser Begriffe und ihrer Verbindungen, über das Organ des Gedächtnisses. Wenn das Gedächtnis (nach Herings von uns cum beneficio inventarii angenommener Ausdrucksweise) eine Funktion der organisierten Materie ist, so haben wir bei den Pflanzen keine rechte Vorstellung von dem physiologischen Korrelat dieser Funktion; im Tierreich ist aber die Funktion des Gedächtnisses ganz gewiß an die Nervenmasse gebunden, beim Menschen gewiß an das Gehirn, entweder an das ganze Gehirn oder an Gehirnteile.