Anatole-France-Dämmerung?
Peter Panter schreibt uns aus Paris:
Wenn einer augenblicklich in einem literarischen Salon von Paris sagt: »Anatole France … ein großer Dichter!« – so wird er da nicht alt werden. Die letzten Hammerschläge auf einem Sarg sind noch nicht verhallt, und schon hat sich herausgestellt, dass diese Beerdigung nur noch eine Formalität gewesen sei. Die Herren Aragon, Breton, Delteil, Drieu la Rochelle, Elmard und Soupault nennen ihr Pamphlet »Le Cadavre«; es sind junge Leute der rechten Seite des Hauses, Drieu la Rochelle trägt schon das dunkelweiße Hemd der Faschisten. Auf der Linken das gleiche: Bernier, Fucier, die der Clarté nahestanden, singen das gleiche Lied, aber etwas sanfter.
Ein Revisionist. Ein Epigone. Ein Lauer. Ein guter alter Herr. Ein gewählter Schriftsteller. Ein Ausweicher. Ein Kompromißler. Man kann schon etwas zu hören bekommen.
Ich denke, das alles ist kein Grund zur Aufregung. Das hat es immer gegeben. Es hat Zola-Baissen und Zola-Haussen gegeben; nach Zolas Tode wurde der Naturalismus totgeschlagen, begraben, verbrannt, ausgelacht, fast vergessen. Wie sagt der Weise? »Große Wahrheiten haben das tragische Schicksal, erst als Ketzereien verschrien und dann als Banalitäten ausgelacht zu werden.« Hat Frankreich so viel Unbedingte, Originale, Heiße, kräftige junge Herren Kämpfer … dass es sich diesen Luxus erlauben könnte? Ein Alter ist doch nur dann eine Gefahr, wenn er die Jungen hindert, aufzusteigen – und das hat France niemals getan. Man mag das sterbliche und das unsterbliche Teil des Mannes sondern (wers vermag, wers heute schon vermag) – eine »France-Schule«, die hat es niemals gegeben. Es ist jedem unbenommen, seinerseits aufzusteigen.
Also gar so schlimm ist das nicht. Die Aufregung wird sich wieder legen, die Achseln werden nicht mehr zucken, das Geschrei auf dem Urnenhain wird aufhören … Und wenn alle die da oben tot sind, wird einer noch leben: der Vater von Crainquebille.
Peter Panter
Vossische Zeitung, 24.01.1925, Nr. 21, S. 2.