P. L. M.
Auf diesen drei Buchstaben sitzt der Franzose oft, während es der kräftige Deutsche auf vier, ja manchmal auch auf fünf besorgt. »P. L. M.« heißt – wer wüßte es nicht! – »Paris – Lyon – Méditerranée« und bezeichnet jene Bahnstrecke und die sie verwaltende Gesellschaft, die den Verkehr zwischen Paris und Marseille besorgt. (Auf den Nebenstrecken liegt Grenoble und unten die Riviera.)
»P. L. M.« heißt auch eine kleine Eisenbahnoperette von Rip, die in den Bouffes-Parisiennes gespielt wird. Es ist die übliche Firma Drum & Dran, die da ihr Wesen treibt – nur, dass dieses Mal das Spiel in einem Zug und neben einem Zug vor sich geht. Das ist mit viel technischer Akkuratesse gemacht, so dass man P. L. M. auch mit »Plaignez les machinistes!« übersetzen könnte. Dampf zischt, Räder rattern, Achsen springen über Weichen, und um einen fahrenden Zug anzudeuten, wird hinter der Szene als Gipfel der Illusion ein Teppich geklopft – es ist sehr schön. Da hätten wir den alten Dranem, ein historisches Inventarstück des pariser Theaters, rund hundertundzweiunddreißig Jahre alt, mit einer merkwürdigen Nase, recht komisch, angenehm, diskret, ganz leise. Neben ihm, ein Jahr jünger, Frau Marguerite Deval, rasch, frech, sieht aus wie eine Schlachtermamsell, ist aber gar keine, wenn sie singt. Es sind die uralten Diseusenmanieren, die bei uns längst, entartet und vergröbert, ins Tingeltangel heruntergerutscht sind: die Dame steht enggeschnürt, herausgestreckten Popos an der Rampe und verteilt mit spitzigen Ellenbogen malende Gesten ins Publikum. Aber diese altmodische Tour ist hier sublimiert, durchblitzt von Geist, niemals mit beiden Beinen zugleich auf der Erde, niemals unappetitlich, immer appetitanregend. Im übrigen gehen also alle die neckischen Scherze vor sich, die in einem Bühnencoupé mit verliebten Pärchen vor sich zu gehen haben. Was tut man schließlich in der Eisenbahn? Man wiegt sich im Rhythmus.
Aber im letzten Akt hatte die Tochter des Weichenstellers den Zug durch ein falsches Signal zum Halten gebracht, nur, um einmal richtigliegende Kokotten zu sehen und Toiletten aus Paris! Die Unschuld vom Lande war schlampig gekleidet, mit herausguckenden Unterröckchen, losem Haar mit Schleife – wie es so ist. Und sie war so herrlich dumm, so butterblumengelbdumm, so orientexpresszügeaufhaltenddumm – die »Göttin der Dummheit« in Arnold Zweigs »Ritualmord in Ungarn« war eine Pallas Athene neben ihr. Erst glaubte ich, die junge Dame sei eine gewaltige Schauspielerin – und beobachtete sie genau, auch in ihren Sprechpausen. Aber sie wedelte Dummheit mit den Hüften, hauchte Dummheit aus, war mit ihr gesalbt, hatte sicherlich ein dummes Parfum … »Dumm liebt zweimal!« sagt der Volksmund. Diese viermal.
Und als der Vorhang zum Schluß noch einmal aufgezogen wurde, weil Dranem und Frau Deval sich verbeugen wollten und auch ein Recht dazu hatten, stand jene da, verlegen an ihrem Weichenstellerkleidchen nestelnd, schämig, dämlich, geziert und so hinreißend dumm, dass man mit Bocksprung über den Kapellmeister, auf die Pauke tretend, die Bühne hätte erklettern sollen, ihr einen Kuß aufzudrücken. Sicherlich hätte sie aufgesehen und gedehnt gesagt: »Sans blague –!« Sie heißt Fräulein Suffel und sollte, wie jener Dilettant es einmal ausgedrückt hat: »sie sollte mir durch die Gemächer schreiten«. Aber so dumm ist sie wieder nicht.
Peter Panter
Die Weltbühne, 16.06.1925, Nr. 29, S. 904.