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Wo isst man in Paris?

»Nos diners!.., La porte de la cuisine s'est ouverte, comme une écluse, laissant couler un fleuve de parfums où les remous onctueux du beurre fondu charrient la triomphale senteur de la dinde truffée.«

>Henri Béraud, »Le Martyre de l'Obèse«

Es gibt Narren, die glauben, Paris gepachtet zu haben, weil sie die Adressen einiger guter Restaurants ihr eigen nennen. Und weil solche Reisenden glauben, eine fremde Stadt habe auf sie gewartet, um entdeckt zu werden, so haben sie auch noch diese Restaurants entdeckt, in die Mode gebracht … ja, es ist ein Wunder, dass sie da auch nicht selbst zu kochen behaupten. Denen wird ein Magenführer durch Paris ebensoviel von der falschen Gloriole nehmen, wie er den andern Vergnügen und Belehrung bieten wird. »Le Guide du Gourmand à Paris« von Robert-Robert (bei Grasset, Paris).

Mit den Restaurants in Paris ist das so eine Sache. Damit, dass man hingeht und sich für mehr oder minder teures Geld gutes Essen und einen noch bessern Wein kauft, ist die Sache nicht getan. Man muß auch nicht in der stets enttäuschten Erwartung hingehen, eine »fabelhafte Aufmachung« und Gäste aus dem Kino zu sehen: japanische Attachés, emigrierte russische Großfürsten, nichts wie Großfürsten, das ganze Lokal voll – und Weiber! Dekolletiert bis da, blitzenden Auges, blau untermalt, rosig gefärbt, Donnerwetter! Also das nicht.

Mit Ausnahme der mehr repräsentativen Restaurants ist das gute pariser Lokal schlicht, einfach, ohne »chichi«. Was uns zunächst auffällt, sind die riesigen Spiegel, die Wände bestehen scheinbar nur aus Spiegeln, so das Lokal vergrößernd, die Menschen und die Lichter widerspiegelnd. Die meisten Lokale sind für unsere Begriffe klein, nirgends pompös, kein Marmor donnert ins Filet. Aber gemütlich sind sie nicht – man muß von einem Apfelbaum keine Rüben verlangen und von einem pariser Restaurant nicht die Atmosphäre von Ehmcke in Hamburg. Man muß überhaupt nicht vergleichen und noch weniger Zensuren austeilen – sondern in sich aufnehmen. Und hier besonders.

Der gute und empfehlenswerte Führer gibt also zunächst die großen »vedettes«, »les as de la cuisine«: Larue und Voisin und Paillard und Foyot und La Tour d'Argent. Als ersten: Montagné. Montagné, den früheren Juristen, der heute noch bebrillt und freundlich an seiner blitzenden kleinen Kupferküche steht und die wenigen Leute, die seine paar Tische bevölkern können, lächelnd empfängt. Sie bekommen etwas für ihr Geld. Auch etwas für Paris Ungewöhnliches zu sehen: Kochbücher an den Wänden, auf kleinen Borden, die Tischanordnung nicht an den Wänden entlang, sondern modernisiert – und dann gibt es nichts mehr zu sehen, sondern nur noch ausgesucht gut zu essen.

Folgen die »Restaurants de Luxe« wie Laperouse und schließlich etwas, das der Führer bescheiden »Restaurants moyens« nennt, eine Kette guter und besserer Lokalitäten, die fast alle zu empfehlen sind. Zum Schluß die kleineren Leute.

So ein Führer kann niemals vollständig sein – jeder, der Paris kennt, kann leicht aus eigener Kenntnis noch diesen oder jenen Laden einfügen; so vermisse ich meinen Freund, den dicken Emile, darin, der auf dem linken Ufer, am Jardin du Luxembourg, ein ganz kleines Restaurant unterhält und der mit der hohen weißen Mütze, pausbäckig anzuschauen, eine wandelnde Reklame für sich selbst ist. Auch wohnt dort ein alter Kognak, der Otto Bellmann heißt.

Wie ernst es das Buch nimmt, geht daraus hervor, dass hinten kleine Zettel eingefügt sind, die man abtrennen kann und auf denen ein Schema für eine Art »Eß-Gericht«, eine Restaurant-Feme vorgedruckt ist. Wo haben Sie gegessen? Wann? Was gab es? Weine? Preise? Und dann, zum Schluß: Boules Blanches, Boules Noires – und so kann jeder Teilnehmer seine negative oder positive Meinung kundtun. Das sieht alles sehr anständig und ehrlich aus.

Es fehlen auch nicht Restaurants für solche, die in »quartiers excentriques« essen wollen, wobei immerhin zu bemerken ist, dass es einem echten »Parigot« schon exzentrisch erscheint, in Passy essen zu wollen – und nur in diesem Kapitel ist mir ein kleiner Fehler aufgefallen. Da hätten wir:

»Place des Tertres. Ein kleiner Dorfplatz. Hier ersterben alle Geräusche der Welt. Unten brodelt die große Stadt. Hier genießen einige kluge Leute, ein paar Künstler, hübsche Frauen den Reiz der Stunde, an ihren kleinen Tischchen, bei leichtem Lampenlicht. Die ganze Poesie des Montmartre zittert noch darüber hin … « Ach, du lieber Gott! Das war vielleicht einmal.

Man muß die Place des Tertres, die Feininger so meisterhaft gemalt hat, heute sehen, diesen Jahrmarkt der Fremden, das Geschrei, das mäßige Essen, den Krach der Händler, der als Mongmachta-Maler verkleideten Schnell-Zeichner, Feuerfresser, Liederbrüller und Akrobaten … Das einzige, das da noch vibriert, ist das Trinkgeld … Apage.

Das Büchelchen aber sei denen, die Paris lieben, angelegentlichst empfohlen. Wers ganz genau wissen will, kaufe sich die pariser Küchenzeitschrift Culina, die Rezepte und allerlei interessante Hinweise gibt. Für den schmausenden Laien genügt Robert-Roberts »Gourmand«.

Er ist für den, der die Stätten nicht kennt, ein wirklich zuverlässiger Führer, mit brauchbaren Preisangaben. Und für den, der sie kennt, ein Labsal der Erinnerung und ein Aufruf zu neuen Taten.

Peter Panter
Vossische Zeitung, 07.08.1925.