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Das unvermeidliche Buch

»Das unvermeidliche Buch eines Weltreisenden«, so heißt der Untertitel zu »Tut Kung Bluff« von Martin Hürlimann (bei Grethlein u. Co., Zürich und Leipzig). Hürlimann ist nicht etwa, wie der Name zu denken gäbe, von Gottfried Keller erfunden, sondern es gibt ihn wirklich. Es gibt ihn sogar in vielen Exemplaren, aber in durchaus erfreulichen.

Europäische Weltreisebücher spiegeln ja eigentlich seit langem nicht mehr die Welt, sondern immer nur den Reisenden, und wenn gesagt wird, Herr von Keyserling habe das »Reisetagebuch eines Philosophen« vor seiner Reise geschrieben, so ist das eigentlich ein Kompliment. Diese Reisenden zerfallen in drei Abteilungen: in die sachlichen, in die lyrischen und in die Amateure, die sich Ihren gesunden Menschenverstand bewahren. Hürlimann gehört in die dritte Abteilung und fühlt sich durchaus wohl darin. Wir uns bei ihm auch. Das macht vor allem: er ist kein Snob.

Es ist geradezu wohltuend, einmal bei einem Europäer zu lesen: »Ich selber vermochte die Teezeremonie allerdings mit Bewunderung, aber nur als Fremder zu betrachten. Gerade solche tiefsinnigen Sitten sind so eng mit der Gemeinschaft verbunden, aus der sie herausgewachsen sind, dass man sie zur reinen Modesache erniedrigen würde, wollte man sie unvermittelt für sich selber annehmen. Sie müssen langsam werden, um echt zu sein.« Denn ganz abgesehen von den Buddhisten in Frohnau: es ist ja schon gar nicht mehr zu ertragen, was die Leute anrichten, wenn sie ins Ausland kommen. Schon nach den vierzehn Tagen duzen sie Poiret, die Meisterruderer von Oxford und Mussolini – damit man nur ja sieht, wie vertraut sie mit den fremden Männern sind; und für den Ton, mit dem sie einen fremdländischen Ausdruck hinlegen, müßte man sie stundenlang mit dem Rohrstock verwalken. Dieser Hürlimann ist viel gescheiter: er multipliziert alles mit dem Relativitätsfaktor, sieht durchaus seine europäische Beschränktheit ein und macht nicht den entgegengesetzten Fehler, in den der Zivilisationscommis verfällt, der die Pyramiden mit seinen Gilletteklingen erledigt; er sinkt nicht in ostasiatische Verzückungen, sondern will durchaus bleiben, was er ist, ein Europäer.

Daher auch seine sehr reizvolle Ablehnung Amerikas. Der Verfasser hat nicht die profunden Kenntnisse Alice Salomons oder die von Julius Hirsch, die das Land zutiefst abgeklopft haben. Er lehnt es ab, weil er es nicht mag – und das ist menschlich anständig. Er sagt auch gleich, er sei mit einem Vorurteil dorthin gekommen; er sagt, dass er die Amerikanerinnen nicht liebt (laß mich deine Hand drücken, auch mir ist eine Hürlifrau tausendmal lieber!) – und er fühlt sich eben nicht wohl. Das ist subjektiv, das ist nicht sehr tiefaber es ist wahr, und es ist sauber.

Die ersten vier Seiten über Paris sind eine Freude; endlich einmal einer, der hierher kommt und nicht aus den Pantinen kippt, der die Stadt liebt, wie man sie zu lieben hat, ohne die Augen zu verdrehen – endlich einmal ein vernünftiger Kerl. Und so ist die ganze Reise: vernünftig, mit allen Vorzügen und Mängeln dieser Eigenschaft. Es stehen noch ein bißchen viel gebildete Wörter in dem Buch, manchmal langts nicht, manchmal hat sich Herr Hürlimann das Leben und Schreiben ein bißchen leicht gemacht – aber sein »unvermeidliches« ist doch wert, gelesen zu werden. Es ist ein ausgezeichneter Reiseführer: durch den geistigen Zustand Europas.

Peter Panter
Vossische Zeitung, 19.04.1925.