Pirandello in Paris
Paris, im Juli
Die bekannten Theaterschlager des Italieners sind in Paris schon in französischer Sprache gespielt worden – nun ist er selbst mit einer eigenen Truppe hier eingezogen und spielt sie auf italienisch.
Pirandello, der als Stern in der Nachwelt fortleben wird (so: »Pirandello … « Stern in der Anmerkung: »Seinerzeit viel gespielter Autor«) hat hier einen großen Presseerfolg gehabt. Kein Wunder: sein Star, Herr Ruggero Ruggeri ist ein Schauspieler von Format, und er schien Herrn Pitoëff, der den Heinrich den Vierten gleichfalls in Paris gespielt hat, zu überragen.
Als die sechs Personen ihren Autor suchten (und nicht den Souffleur, der, wie man hörte, vorhanden war), war das Publikum etwas in der Überzahl. Nun ist es Juli, das schöne Wetter lockt, und die hohen Eintrittspreise stoßen ab – also ein großer Publikumserfolg wird das nicht gewesen sein. Eigentlich zu Unrecht.
Denn was die Italiener, die dem neuen »Kunsttheater« Roms angehören, hier bieten, steht turmhoch über der pariser Theaterkunst, soweit die sich an moderne Stücke herantraut – und besonders der Anfang, der das stumme Erscheinen der sechs bringt, die fertiggedichtet sein wollen, ist eine wirkungsvolle Sache. Die Gesetze des Theaters werden auch – wie beabsichtigt – nur aufgehoben, wie man einen Vorhang aufhebt, gleich fallen sie wieder zurück, und es ist ja bekannt, dass als Dekorum eine Bühne als Bühne immer zieht. (Da gibt es zum Beispiel das alte Stück »Samson und Delila« von Sven Lange, in dem der gleiche Trick zu finden ist.)
Später, als auf dem Theater Theater gemacht wird, ermatten Autor, Schauspieler und Zuhörer gleichmäßig – und da vermögen auch die Italiener nicht hochzukommen. Ihre weibliche Hauptrolle war von einer Schauspielerin besetzt, die nichts war als eben dies; eine Position, die gerade bei Pirandello weniger erträglich ist als bei jedem anderen Autor. Der Rest fuhrwerkte ganz amüsant im Theater umher, als wäre es gar keines. Es war aber doch eins.
Die französische Melpomene, oder wie dieses Frauenzimmer heißt, hat Herrn Pirandello freundlich aufgenommen. Kinder werden dieser Zusammenkunft wohl nicht entsprießen. Und es scheint, als ob das neue Theater heute nur noch an einer Stelle der Welt zu finden ist, die freilich wird erweisen müssen, ob ihre unbestreitbar neuen Experimente mehr sind als die Erzeugnisse von Gedankenlaboratorien: Rußland.
Inzwischen fährt Pirandello durch die Welt und verneigt seinen freundlichen Spitzbart vor den Publikümern der Hauptstädte, umringt von den Darstellern seiner dargestellten Rollen. Die Engländer haben ihm verboten, seine Relativitätslehren auf englisch zu predigen, weil das Weltreich offenbar viele indische Aufstände, aber keine freie Auffassung des Daseins verträgt, und Gott und der englische Bürger allein mögen wissen, was denn so Gefährliches in diesen Stücken steckt. Aber was man auch dagegen sagen will: Nichtdenken hält gesund.
Man behauptet, Pirandello liebäugle mit dem Faschismus. Ich fragte neulich Herrn Nitti, den italienischen Staatsmann, ob er das für aufrichtig hielte. »Nein«, sagte er. »Dazu ist der Pirandello ein zu kluger Mann. Aber vielleicht will er Senator werden.« Ich antwortete, dann sei seine Haltung ein gutes Mittel. »Aber welche Kräfteverschwendung!« sagte der kleine dicke Mann, der einmal die Geschicke Italiens gelenkt hat. »Ich habe so viele Esel zu Senatoren gemacht … « Es soll der Sänger mit dem König gehen, und wir werden ja hören, was uns Pirandello in weißem oder schwarzem Hemde noch zu sagen hat.
Peter Panter
Vossische Zeitung, 15.07.1925.