Mauricet
ist so:
Ein hübscher Kerl mit Scheitel und wegamüsiertem Haar sitzt nach sehr erklecklichen Leistungen vor der Dame des Hauses in beiderseitigen Pyjamas, er raucht eine Zigarette. Die Dame sieht ihn an und lächelt. Sie spricht eine Befürchtung aus – vielleicht ihres Mannes oder ihrer Freundin wegen, aber er macht ein Gesicht wie ein Schuljunge, der dem Lehrer faulen Backsteinkäse unter den Stuhl geklebt hat … es wird schon nichts herauskommen. Pö! Es ist noch nie nichts herausgekommen. Hierauf zerdrückt er sorgfältig die Zigarette im Aschbecher, wirft sie auf den Boden und löscht das Licht. Die Dame ists zufrieden.
Übrigens tritt er bei sich – also bei Fursy und Mauricet – auf und singt, wenn er sich nicht einen Bart geklebt hat und sich darüber sowie über die Sätze, die er sprechen muß, lustig macht, Chansons im Smoking. ›Frech‹ ist nicht das Wort. Es ist der Extrakt der Frechheit. Sein Mitsänger ist der alte Fursy, der, wenn Gott genauer hinsieht, Dreyfus heißt und auch mit jenem verwandt ist, und dessen politische Lieder meist auf dem Niveau einer Kaffeepause im Kriegerverein stehen; er, der an die dümmsten Kleinbürgerinstinkte mit Erfolg appelliert, sollte sich anhören, wie Mauricet ein politisches Couplet dichtet, hinnäselt, vormeckert … Er sagt die unglaublichsten Dinge, aber so glatt und schnell, dass er nicht hängenbleibt, schon reingetreten und weg. Vieles ist nicht übertragbar, das meiste nicht. Ehe ich erklärt habe, warum er Maurice Rostand sagen läßt:
»Mon Cu –
ré chez les Riches –«
sind wir alle tot. Aber er pfeffert noch schnell das tiefsinnige Chanson hin, das sich auf die großen Anzeigen der Firma bezieht, die da die kleingehackten Makkaronis anpreist, damit man sie bequemer essen kann. Mauricet:
»Les macaronis, pour être bons,
doivent-ils être courts
ou doivent-ils être longs?«
Schnell fertig sind die Damen mit dem Wort: gibt es da ein Zögern? Nein. Der Wind hat Herrn Mauricet schon hinter die Kulissen geweht, woher er bebartet herauskommt und mit Rip den entzückendsten ›quetch‹ spielt, den man sich denken kann.
Rip – das ist einer der tausend Julius Freunds von Paris, er schmeckt nach Polgar. Er sitzt in einer roten Hausjacke auf der Bühne, telefoniert, singt Vulkslieder mit Flammriebibbern in der Stimme, streut neue Couplettechniken um sich herum, als fiele ihm dergleichen jede Nacht und jeden Mittag beim Aufstehen ein – und das tuts auch, denn die pariser Bühnen sind voll seiner lustigen Gesänge. Rip-pip-pip … Hier, in der kleinen Butike, sind seine Texte noch viel besser als in den großen Operetten, frecher, spitzer, schaumiger, und als ich nach einer halben Stunde wünsche, es solle immer so weitergehen, sitzt er wieder am Tisch, in derselben Haltung wie am Anfang und telefoniert … Wenn ich mich nicht schämte, würde ich am Bühnentürl auf ihn warten.
Eine Dame kommt heraus und weimert ein altes französisches Lied, das ganze Biedermeier ist darin:
»On dit que tu te maries … «
Und Groffe ist noch da, wie alle andern in der eigentlichen Theaterkunst unnatürlich zu Sprechern, Nummer sechs – aber welch ausverschämte Texte und welche Piknase! Wenn euer Charme der Frechheit Nahrung ist, gebt volles Maß … Ick amüsier mir wie Bolle uffn Milchwagen und wünsche, es möge nie, nie aufhören.
Peter Panter
Die Weltbühne, 24.11.1925, Nr. 47, S. 812,
wieder in: Mona Lisa.