George Grosz in Paris
»Sie werden sehen: er wird überall nur Unteroffiziere zeichnen –!« Denn George Grosz gilt vielen Leuten als ein Maler, der sich ein für allemal stofflich festgelegt hat. Aber er hat Paris nicht so gesehen wie den preußischen Kasernenhof, den er so oft gezeichnet hat. Er hat es auf seine Weise gesehen, das ist wahr, aber auf eine sehr gute und richtige Weise.
Paris wird von den fremden Künstlern entweder rein malerisch angeschaut und beschrieben: snobistisch, mit jenem Anflug falscher Romantik, die anfängt, unerträglich zu werden, verlogen, ganz und gar oberflächlich. Oder aber es sind hartköpfige Dogmatiker, die nach Paris kommen und nur ihre Lehren, ihre vorher gelernten Ansichten, ihre Dogmen dort finden. Grosz hat, soweit sich das übersehen läßt, als erster einmal beides gesehen: die Oberfläche und den Fond.
Geh von den Boulevards herunter, flaniere in den kleinen Nebenstraßen und zwischen den langen Reihen der Arbeiterhäuser, spaziere um die Ecken der stillen Viertel, und du wirst sehen: Paris ist eine ornamentlose Stadt. Die Linienführung ist sparsam, nicht sachlich, aber im Grunde einfach. Die saubere Tradition baut mit wenigen Ausnahmen ornamentlose Häuser, keine Stilspielereien gibt es da, nichts maskiert »Gotisches« oder »Romanisches«. So ist diese Straßenecke, die wir da bei Grosz sehen, ganz und gar pariserisch. Da ist ein hellblauer, fast weißlicher Himmel, die Häuser sind keine amerikanischen Kästen, aber auch keine Vortäuschungen falscher Tatsachen. Zierde und Putz sind die Plachen der Cafés, eine leise Unregelmäßigkeit, die deshalb so reizvoll wirkt, weil sie vor einem festen Hintergrund aufgebaut ist. Selbst das älteste Haus hat immer noch einen Aspekt von Bürgerlichkeit, von festgefügter Form, von klarer Ordnung. Davor läuft es vorbei, aber verharrt auch. Die Straße ist nicht nur der kürzeste oder längere Verbindungsweg zwischen zwei Punkten, sondern Aufenthaltsort, Platz des Lebens und Teil des Lebens.
Wie ausgezeichnet gesehen sind die paar Männer in der kleinen Bar. Sie mögen zu arbeiten haben (denn es gibt außer dem Lumpenproletariat keine Arbeitslosen in Paris – wer arbeiten will, findet Arbeit) – die Männer trinken einen »Mandarin à l'eau«, und das ist im Augenblick eine sehr ernste Sache. Soviel Zeit hat man eben. So, wie man ja auch für die fast geheiligten anderthalb oder zwei Stunden Déjeuner Zeit hat – die englische Tischzeit wäre für breite Schichten in Paris ein Ding der Unmöglichkeit. Wenn gearbeitet wird, so arbeitet man eben. Beim Déjeuner aber ist das alles fortgespült – diese kleine Ruhestunde wird intensiv genossen, voll ausgekostet. Da und vor allem da bilden sich die kleinen Runden, von denen die drei Männer in der Bar ein Reflex und ein Beispiel sind. Sie stehen da um den Wirt herum und führen durchaus nicht das gleichgültige Gelegenheitsgespräch, das man eben so führt. »Schönes Wetter heute! Die Butter ist ja nun auch wieder teurer geworden!« – Nein, es ist eine wirkliche, geschlossene kleine Runde, die sich gebildet hat – ebenso rasch verflogen wie zusammengefunden: tritt man auf die Straße hinaus, ist alles vorbei. Das bürgerliche Element ist überall unverkennbar: nichts falscher und dümmer, als an allen Orten zu Paris »Apachen«, »Dirnen« und dergleichen zu sehen. Der Schutzmann, das Mädchen mit den langen Stangenbroten und der Arbeiter (der fast gar nicht mehr die traditionellen Samthosen und die rote Leibbinde trägt) sind ganz und gar bürgerlich. Kleinbürgerlich – aber niemals tiefer. Noch in den minderen Vierteln – mit Ausnahme der ganz elenden – sieht man den Bürger.
Das alles hat George Grosz in Paris gesehen, und er hat gut gesehen. Und er hat – wiederum mit seinen Augen, mit den Augen eines Heutigen und nicht mit denen Toulouse-Lautrecs – auch den Zirkus gesehen. Dieser kleine Mann, der da vor Ihnen den Hut abnimmt, das ist der eine der drei Fratellinis, der Lieblinge von Paris, der Lieblinge der pariser Kinder. Francis de Miomandre, der sie – wie alle französischen Literaten – so sehr verehrt, hat neulich noch einmal ihre Szene von der Feuersbrunst aufgezeichnet, in einer sehr ernsten politischen Zeitschrift, und er hat recht daran getan, denn diese kleine Szene ist voll von wirklichem Clownshumor.
Es kommt ein ernsthafter älterer Herr in die Manege, mit einem Regenschirm und einer Zeitung. Ängstlich sieht er nach dem Himmel, ob es wohl regnen werde. Nein, es regnet nicht. Den Mann bedrückt etwas – er ist unruhig. Immer wieder sieht er in die Wolken. Nichts. Zappliger wird er und zappliger – schließlich nimmt er seinen Hut und darauf seine Schädeldecke ab. Ah – voilà! In seinem Kopf brennt es. Es brennt darin eine schöne, dunkelblau flackernde, züngelnde Punschflamme. Der Mann ist erleichtert, weil das Feuer nun einen Ausweg ins Freie hat. Und gemächlich macht er sich daran, seine Zeitung zu lesen. Und liest. Es kommt ein zweiter Mann hinzu, der sieht den Lesenden und Flammenden und ist entsetzt. He! He! Bei Ihnen brennt es! Der Mann ist mitten in der Theaterkritik und hat gar keine Zeit. Der andere rüttelt ihn und schreit. Nichts. Der andere ist verzweifelt und holt die Feuerwehr. Weil es doch brennt. Die Feuerwehr kommt: ein dritter Mann, mit einem Schläuchelchen und einem Leiterchen und einem Hackebeilchen. Der Mann liest noch immer – jetzt hat er gerade den Gerichtsteil vor. Die beiden Eifrigen gehen ans Werk – die Feuerwehr setzt die Leiter dem Lesenden auf die Schulter, klettert hinauf und beginnt mit dem Spritzchen zu spritzen. Weil er aber – angefeuert durch das zuschauende Zivil – heftig und hitzig zu Werke geht, so begießt er den Lesenden von oben bis unten mit Wasser. Der fühlts, sieht zum Himmel hinauf, sagt: »Na also!«, spannt seinen Regenschirm auf und schiebt ab: lesend, geruhsam und bestrahlt von seiner blauen Punschflamme wie von einem gloriosen Heiligenschein der letzten Apotheose. Und weil George Grosz nicht nur Witz und Satire in den Knochen hat, sondern auch Humor, deshalb hat er uns auch diesen Fratellini gezeichnet.
Peter Panter
Die Dame, Mai 1925, Nr. 18, S. 5.