Der amerikanische Erfolg
Unter den Kulturgütern, die die Völker gegenseitig austauschen, sind nach den Gasgranaten gleich die Bücher zu nennen. Was geschieht nun, wenn ein Schriftsteller auch außerhalb seines Heimatlandes oder nur außerhalb seines Heimatlandes Erfolg hat –?
In Deutschland zählt der Erfolg extra muros doppelt.
Der Deutsche ist dem Ausland gegenüber unsicher: er ist Snob oder Chauvin, er beugt sich oder er pöbelt. Sichere Würde ist hierzulande selten. Richard Huelsenbeck hat neulich in der ›Literarischen Welt‹ rechtens darauf hingewiesen, wieviel Unsicherheit in dieser Gereiztheit ist, und er hat meinen frühem Arbeiten, die das Ausland manchmal zu scharf gegen Deutschland ausspielten, diesen Mangel nicht zu Unrecht vorgeworfen. Die Kritik war unvollständig. Schade, dass er nichts über das so ruhig vorgetragene und so sehr scharfe Deutschland-Buch Diesels gesagt hat. Tatsächlich müßte man ja, was ich in meinem Deutschlandbuch nicht getan habe, deutsche und amerikanische Arbeiter, deutsche und französische Offiziere, deutsche und englische Richter vergleichen – dann käme man zu bessern Resultaten. Die Deutschen haben dies jedoch nicht gerne. Deutschland ist unter den Fremden das, was der Jude unter den Deutschen ist.
Der literarische Erfolg nun, den ein Deutscher im Ausland hat, wird nicht richtig eingeschätzt; es ist so viel Hundedemut darin: »Daß sie uns überhaupt beachten! Sogar in Amerika!« So sollte man das nicht ansehn.
Daß ein Russe in Frankreich gelesen, verstanden und geliebt wird, ist einmal ein Wunder gewesen – zu der Zeit nämlich, wo die Völker voneinander getrennter waren als heute und einander unähnlicher, als sie es heute sind. Mit einem Werk über die Sprachgrenzen zu gelangen, dazu gehörte schon ein beachtliches Format; der Schriftsteller, der dies erreichte, mußte zu einem guten Teil den Sprachpegel der Heimat überragen; bis zum Gürtel steckt jeder drin, und darum sagen wir: »Es geht bei der Übersetzung viel verloren.« Es geht eben dies verloren, was unübersetzbar bleibt: das Heimatliche des Mannes, seine Verbundenheit mit der Muttersprache, seine Beziehungen zur eignen Kultur … das läßt sich nie ganz übertragen. Ist auf der andern Seite eine gute Kenntnis des fremden Bodens vorhanden, wie etwa bei gebildeten Polen die Kenntnis der französischen Kultur vorherrschend ist, dann gelingt die Übertragung leichter: das Fremde wird richtig mitgefühlt.
Nun hat sich in der letzten Zeit das Verständnis für den fremden Autor vergrößert, vor allem weil die europäischen Schriftsteller uniformer empfinden als früher, auch sind viele äußere Lebensformen der Völker standardisiert, es gibt bereits überall eine Konfektion des Geistes, deren Bestehen den Absatz von Erzeugnissen nach Maß erleichtert. Was früher ein Wunder gewesen ist, ist heute kein Wunder mehr. Früher kamen das Genie über die Sprachgrenze hinweg und der Vulgärkitsch; heute gelingt es auch dem Mittelmaß.
Die Uniformität des Lebens, hervorgerufen durch annähernd gleiche oder gleichartige Lebensbedingungen hat die Nationen nicht gleich gemacht; das äußere Bild und die obersten zehn, zwanzig Seelenschichten sind in Europa überall dieselben, dann kommt eine Seelenschicht, die jedes Volk für sich hat, und erst in den Grundlagen stimmen die Völker wieder überein. Schlipse und Mutterliebe sind in Warschau und London gleich; was dazwischen liegt, ist verschieden.
Es wäre hübsch, wenn wir nicht aus den Pantinen kippen wollten, weil ein deutsches Werk in fremden Sprachen Erfolg hat. Wie denn überhaupt der Erfolg nicht notwendig eine Qualitätsbezeichnung ist: er spricht nicht, wie die ewigen Neider glauben, gegen das Werk, noch ist er, wie sein Autor glaubt, ein unbedingter Beweis für das Werk. Denn es gibt Erfolge aus Mißverständnis und Erfolge, die sich regional erklären lassen; wenn es überhaupt möglich ist, einen ›Wert‹ der Literatur zu statuieren, so ist die Auflagenziffer nur ein Faktor zu seiner Bestimmung, nicht der Hauptfaktor. Daß der Autor eine hinneigende Liebe zu jener Nation empfindet, die ihn lobt, feiert und ihm zu verdienen gibt, ist verständlich. Für seine Bücher besagt dergleichen wenig.
Es mag vorkommen, dass der betreffende Prophet in seinem Vaterlande nichts gilt; das ist sehr oft bei gewissen Franzosen der Fall, die in Deutschland maßlos überschätzt werden. Viele schmecken mit delikater Handbewegung ab, was in Frankreich nie etwas andres als Bahnhofslektüre gewesen ist; es sieht aus, als stellte ein Argentinier eine deutsche Bockwurst mit Salat als höchstes der Gerichte hin. Mitunter nimmt sich der Engländer aus der deutschen Literatur, was ihm gefällt – wir begreifen es oft nicht, fügen uns aber gewöhnlich dem fremden Urteil und sagen: »An dem Mann muß doch was dran sein, sonst würde er ja nicht in England … « aber das ist ein Denkfehler. Man sollte mehr Vertrauen zu seinen Instinkten haben, wozu freilich gehört, dass man welche hat.
Zu glauben, man könne, nach allen Seiten schielend, etwas machen, was überall gelesen wird, ist eine verfehlte Spekulation. Man kann das, aber die Leute mögen es gar nicht. Daher die Erfolglosigkeit jener Filme, die die Hosenhändler der Filmbranche ›auf Amerika‹ machen. Erfolg hat immer nur das Echte, auch Kitsch kann echt sein; dies aber ist gefälschter Kitsch, den gibts in der Literatur auch, und der hat noch keinen wohlhabend gemacht.
Und hier rühren wir an die Grundfrage des ganzen Gebiets: fällt denn die Übersetzung vom Himmel? Sie fällt nicht vom Himmel. Sie wird industriemäßig hergestellt. Zu untersuchen ist also die Rolle des Mittlers.
In den lächerlich prätiös aufgemachten Aufsätzchen der Brechtschen ›Versuche‹ steht ein gescheiter und richtiger Satz. Es wird von den Künstlern gesagt: »Ihre Produktion gewinnt Lieferantencharakter. Es entsteht ein Wertbegriff, der die Verwertung zur Grundlage hat.« Ausgezeichnet. Es ist lange nicht so schwer, das Publikum zu überzeugen, als an das Publikum überhaupt erst einmal heranzukommen. Früher hatte der Autor Angst vor den wilden Tieren seiner Premiere; heute verbraucht er das Hundertfache an Nervenkraft, um den Unternehmer von sich zu überzeugen. Und es ist eben nicht identisch, was der Leser und was der Mittler zu haben wünscht. Sie fürchten und verachten einander, aber es ist nicht dasselbe. Der Mittler nun gehört in fast allen Fällen dem ›Klub der Neinsager‹ an; er ist mürrisch; er will das alles nicht, und man fragt sich, warum denn in aller Welt diese Theaterdirektoren Theaterdirektoren, diese Verleger Verleger geworden sind. Sie sind böse auf ihre Ware, von vornherein erst einmal böse. Und feige.
Daher suchen sie in ihrer fürchterlichen Instinktunsicherheit nach einer Bestätigung ihrer Pläne, und ein Auslandserfolg scheint ihnen solch eine Bestätigung. Ein in Deutschland einigermaßen erfolgreicher Autor hat es also nicht gar so schwer, übersetzt zu werden; soweit die Tätigkeit seines deutschen Verlegers ihm dabei behilflich sein kann, und das ist schon viel, hat er Chancen. Diese Chancen sind oft gar keine; denn was dem eenen sin Uhl, ist dem annern sin Nachtigall, und was in Berlin rechtens gefällt, braucht noch lange nicht in Paris zu gefallen und tuts auch nicht. Doch verwechseln wir auch hier oft Betriebsamkeit mit echter Durchschlagskraft.
Es gäbe andrerseits für einen klugen und gut unterrichteten englischen Verleger viele Möglichkeiten, wenn er sich nur nicht von diesen faden und aufgeregten Übersetzern informieren ließe, die natürlich großes Interesse haben, irgend etwas zu übersetzen, und sehr wenig, grade das zu übertragen, was unabhängig von der deutschen Auflageziffer in London Erfolg haben könnte. Wer da weiß, in welchen Händen die Übersetzungen ruhen, was mit ihrer miserablen Bezahlung eng zusammenhängt, wird sich darüber nicht wundern.
Die Bewertung solcher Schriftsteller aber, die im Ausland Erfolg haben, geschieht nun börsenmäßig; die alberne Methode, den Schriftsteller nach der Zahl der gelieferten Wörter zu honorieren, ihn so wie einen Maurer im Akkord entlohnend, züchtet Schwätzer – bekanntlich ist es viel schwerer und zeitraubender, kurz zu schreiben, als lang. Diese Bewertung ist unsinnig. Man »wiegt mit Gold auf«, in des Wortes schönster Bedeutung, und das trifft nun ganz unterschiedslos alles, was der Vertriebsapparat hochschätzt – bis hinunter zu Hitler. Solche Schriftsteller werden hoch bezahlt, weil sie hoch bezahlt werden; den Mittlern imponiert ihr eigner Scheck; nur der.
Deutsche Schriftsteller haben es im Vergleich zu englischen und französischen nicht leicht: sie schreiben für einen viel kleinem Kulturkreis als jene. Ihr Bestreben, in andre Länder zu dringen, ist durchaus legitim. Der Erfolg aber, den sie drüben haben, sagt wenig über ihr Werk aus: es muß deshalb nicht bedeutend sein, das glauben nur sie, und es kann trotzdem bedeutend sein, auch wenn es in Deutschland gar nicht anerkannt wird. Der amerikanische Erfolg allein ist für den Wert eines Werkes so belangvoll wie die Farbe seines Bucheinbandes.
Peter Panter
Die Weltbühne, 31.03.1931, Nr. 13, S. 469.