Der neue Remarque
Wenn in Deutschland ein Musikprofessor berühmt wird, dann beginnen sich zwei Gruppen um ihn zu streiten: die Radfahrer etwa und die Briefmarkensammler. Fast jeder deutsche geistige Streit verläuft heute auf einer falschen Ebene, nämlich auf einer, wo er nichts zu suchen hat. Man sehe sich die Gegner Einsteins, Emil Ludwigs oder Chaplins an; man betrachte die Freunde jener geistig provinziellen Schriftsteller, die uns als Heimatdichter angepriesen werden – und man weiß Bescheid. Was Freund und Feind gleichermaßen aus den Pantoffeln kippen läßt, ist der Erfolg des Kritisierten – es muß da ein Induktionsstrom des Neides vorhanden sein … und somit hielten wir denn bei Remarque.
›Der Weg zurück‹ (erschienen im Propyläen-Verlag zu Berlin).
Die Bilderbuchethik der braven oder wilden Patrioten sei nicht angerührt. Denen war Remarque immer ein Stein im Schnürstiefel: er erschien ihnen pazifistisch, weil er statt unkontrollierbarer Schwammigkeiten sehr reale und konkrete Geschichten aus dem Kriege aufgemalt hat; das wollten sie nicht. Durchfall stört die Romantik: die falsche nämlich.
Brüllt auf so ein Buch die heulende Scylla der Rechten ein, so pfeift die Charybdis der Linken: »Wie hältst dus denn mit der Partei? Hast du dein Parteibuch dabei?« Der Dichter hat es nicht leicht – die Meistersinger von Moskau prüfen ihn auf Haut und Knochen, und Fleisch braucht er gar nicht zu haben, wenn es nur mit der Dogmatik stimmt. Und zum Schluß knallt ihm noch die penetrante Besserwisserei Alfred Döblins eins um die Ohren, ohne dass der Getroffene Zeit hätte, diesem maßlos überschätzten Schriftsteller dessen Wappenspruch entgegenzurufen: »Worauf herauf?« – Doch nun wollen wir wirklich von Remarque sprechen.
Das neue Buch ist eine saubere und anständige Arbeit, nicht mehr und nicht weniger.
Es ist ein Buch, das begrenzte Gültigkeit hat; nicht ausgeschlossen ist, dass es trotzdem im Ausland Erfolg hat. Während ›Im Westen nichts Neues‹ für alle galt, gilt diese Schilderung nur für Deutschland. Im übrigen sollte man sich abgewöhnen, Remarque nun ein für alle Mal mit dem großen Erfolg seines Lebens abzustempeln. Der Mann will mehr. Ob er mehr kann, wird er zu erweisen haben. In diesem Buch hat er es nicht erwiesen.
Es ist saubere, einfache und klare Epik.
Die Rückkehrer können sich nicht ins bürgerliche Leben zurückfinden; der Gestalter Remarque auch nicht. Schildert er Kampfszenen, den Rückmarsch, den Geist der alten Kumpane, ihren Krach, ihre Sauferein und ihre Späße: dann ist das immer gut und echt und stellenweise auch stark. Schildert er irgend etwas andres, eine Bar, eine Szene beim Arzt, eine Familie –: dann ist das blaß, flächig, ohne Hintergründe, mager und ganz und gar gleichgültig. Sieht dieser Mann nur seine Kompanie? Hat er nie etwas andres gesehn? Ist das sein Erlebnis gewesen, das einzige in seinem Dasein?
Manchmal gehts darüber hinaus. Da ist etwa eine kleine Szene, wie die deutschen und die amerikanischen Soldaten zu tauschen beginnen: Arthur Ledderhose und ein Amerikaner stehen einander gegenüber und fixieren sich. Wer wen übers Ohr hauen könnte – das ist brillant gesehn und in zehn Zeilen famos wiedergegeben. Da ist eine Klamaukszene, wie einer den Schinder-Feldwebel wiederfindet, es der Kumpanei ankündigt und vor Aufregung den Schlucken bekommt; da steht ein Satz »Aber wer kann einen sterbenden Bauern täuschen!« – da sind knappe, scharfe Formulierungen: »Ihm gegenüber erzählt eine Dame von ihrem gefallenen Mann, und sie macht sich so wichtig dabei, als wäre sie gefallen und nicht er.« Oder: »Sie haben den Krieg nur bis zum Bahnhof gesehn, von dem wir abfuhren.« Das ist alles gut, und das sitzt. Aber damit ist es auch beinahe aus, und was dann kommt, ist nicht mehr viel.
Es fällt mir gar nicht ein, Remarque auf eine Parteizugehörigkeit zu prüfen. Doch läßt er den Leser völlig ratlos zurück, so ratlos, wie es die Leute seiner Kompanie sind, die mir eigentlich am besten gefallen, wenn es für sie etwas zu hauen gibt. Aber damit kann man doch wohl nicht alles lösen. Und so sitzen wir denn alle zusammen da: der Dichter, seine Freunde und seine Leser, und sie wissen alle miteinander nicht, was denn da nun eigentlich werden soll. Ja, wenn man genauer hinsieht: viele wissen auch nicht genau, was man mit ihnen gemacht hat, vier Jahre lang, und wer es gemacht hat, und warum es so hat sein müssen, und wie es vielleicht anders werden kann. Kein Wort davon. Und das brauchte nun eben nicht in feierlichen Tiraden gepredigt zu werden; man könnte das ja auch gestalten, aber Remarque kann es nicht. Es langt nicht.
Das soll uns nicht hindern, zu sagen: Wenn nur alle Bücher so sauber gearbeitet, so hübsch grundiert und ausgemalt, so reinlich gestaltet wären. Aber es langt nicht.
Auf Remarque als Kämpfer können wir nicht zählen, seit er sich von dem Kammerjäger Goebbeles so leicht hat besiegen lassen. Da hat nun schon mal einer von uns so einen großen Erfolg, dass er auf alles husten kann – und dann stellt er sich nicht heraus. Schade. Bleibt abzuwarten, ob man auf den Dichter Remarque in Zukunft wird zählen können. Will er die Bessern unter seinen Lesern befriedigen, so mache er sich mit Picke, Seil und Axt auf, hinauf zu höhern Gipfeln und heraus aus dem platten Flachland braver Leitartikel, die keinen leiten. ›Im Westen nichts Neues‹ hätte anonym erscheinen sollen, weil es ein anonymes Buch ist – namenlos wie das Leiden jener, denen es aus dem Herzen geschrieben ist. Nicht so weiter, wie dieses zweite Buch; nicht so weiter.
Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 19.05.1931, Nr. 20, S. 732.