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Die Frau Reinhold Sorges, dem wir das schöne und bedeutende Drama ›Der Bettler‹ verdanken (erschienen bei S. Fischer) hat Erinnerungen an ihren im Kriege getöteten Mann herausgegeben: ›Unser Weg‹ von Susanne M. Sorge (erschienen bei Kösel und Pustet in München).

Sorge ist Protestant gewesen und ist dann zum Katholizismus übergetreten. Sein Gefühl hat einen ähnlichen Weg zurückgelegt wie etwa der Verstand des Kardinals Newman, der von der anglikanischen Kirche nach Rom gewandert ist. Der Weg Sorges war schwer, doch für ihn selber beglückend; es mag für Gläubige stärkend sein, diesen Weg nachzuwandern. Das Buch seiner Frau ist rein, ehrlich und ergreifend, es enthält nicht einen falschen Ton. Eine Einzelheit sei herausgegriffen.

Sorge wurde im Jahre 1915 eingezogen. »In Stockach«, schreibt Frau Sorge, »wurde er der Ersatzreserve 111 in Konstanz zugeteilt, und die dreifache Eins auf dem Achselstück war ihm Symbol des Dreieinigen Gottes, in Seinem Dienst fühlte er sich auch hier.«

Ist so etwas menschenmöglich! Bei Gott ist kein Ding unmöglich. Kein Zweifel, dass dieser Gedanke, von einem Atheisten ausgesprochen, zu einem jener Hexenprozesse führte, die man als Gotteslästerungsprozesse bezeichnet.

Da wird also einer gezwungen, auf Menschen zu schießen. Sorge hat, nach den Aufzeichnungen der Frau, Tötungen offenbar vermeiden können, aber er, der ein gläubig fühlender Katholik gewesen ist, hat unter diesem Druck gelitten. Doch war der Zwiespalt zwischen »Du sollst nicht töten!« und »Seid Untertan der Obrigkeit!« bei ihm nicht so stark, dass es zu einer Kriegsdienstverweigerung gereicht hätte; die christlichen Religionen gehen ja in ihrer Praxis den klaren Entscheidungen gern aus dem Wege, und aus diesem ewigen Kompromiß erwächst ihre Macht. Die Bibel ist ein radikales Buch; die Ausführungsbestimmungen mildern nachher manches.

Und nun bekommt es ein gläubiger Christ fertig, in einer Regimentsnummer ein Symbol des dreieinigen Gottes zu sehn! Er schämt sich nicht! Er fühlt nicht die Diskrepanz, er scheut sich nicht, diese plumpe Allegorie auszusprechen, denn es ist unmöglich, dass etwa die Frau diese Äußerung erfunden oder hinzugesetzt hat. Wenn es eine Gotteslästerung gibt: dies ist eine.

Kleine Marginalie: Karl Muth hat dem lesenswerten Buch ein Nachwort geschrieben.

Der Verlag Fischer, der sich für Reinhold Sorge eingesetzt hat, als ihn niemand kannte, vermochte dem Dichter auf seinem weiteren Wege nicht zu folgen und lehnte eine Dichtung ›Guntwar‹ ab. Damals war Moritz Heimann noch sein Lektor. Das quittiert nun Muth so:

»Samuel Fischer, dem das den neuen Weg des Dichters offenbarende Werk nicht in seine Richtung paßte … « Frau Sorge schreibt stets, wie wir alle schreiben: S. Fischer. Zu einer blanken antisemitischen Äußerung hat Muths Mut nicht gereicht, es bleibt bei dieser hämischen Anspielung. Der üble Satz ist des schönen Buches nicht würdig.

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 08.03.1932, Nr. 10, S. 382.