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Rote Signale

Unter diesem Titel ist im Neuen Deutschen Verlag zu Berlin ein illustriertes Heftchen Gedichte erschienen. Es sind Beiträge aus der ›A.I.Z.‹, die bei Münzenberg herauskommt.

Die deutsche Propagandadichtung hat noch nicht ihren Stil gefunden; sie wird ihn aber finden. Noch tastet sie. Manches in diesem Bändchen ist zu trocken, zu abstrakt, zu sehr aus dem Foto abgeschrieben, unter dem das Gedicht abgedruckt steht, und also ohne Bild nicht recht wirksam. (Auch mein Freund Theobald Tiger verfällt oft in diesen Fehler. Und das ist ein Fehler, wenn es sich um Vortragsstücke handelt.) Ein paar Gedichte sind glatt verhauen. Manches poltert; Erich Weinert hat auch leise Töne, von denen man hier nicht viel hört. Prasselnder Versammlungsbeifall ist gut; künstlerische Wirksamkeit kann besser sein.

Was absterben sollte, ist die blanke Elendsschilderung. Die Proletarier und Angestellten wissen, dass es ihnen schlecht geht und wie schlecht es ihnen geht. Zu zeigen sind Auswege. Und nun wieder nicht, wie die KPD in ihrer Verranntheit oft gemeint hat, gereimte Parteithesen, die viel, viel unwirksamer sind als die Funktionäre glauben. Gewiß muß man die Linie innehalten, das ist schon richtig. Doch was wollen diese Gedichte? Den deutschen Grundfehler wiederholen? Schon Bekehrte bekehren? Das ist überflüssig. Wer das Parteibuch bereits hat, will zwar gestärkt werden – der Schwerpunkt aber liegt anderswo.

Er liegt in der politischen Beeinflussung der Schwankenden. Und auf deren Seelenzustand ist Rücksicht zu nehmen. Missionare müssen indianisch lernen – mit lateinisch bekehrt man keine Indianer.

Das Bändchen ist ein Versuch; es ist ein Weg aufwärts spürbar. Seltsam ist nur, wie wenig Arbeiter unter den Verfassern vertreten sind; jeder Redakteur dieser Richtung weiß ja, wie kleinbürgerlich fast alle von Proletariern eingesandten Verse sind, wie wenig ursprünglich, wie angelesen. Schade – hier wäre ein Feld.

Hoffentlich schaffen es die Agitproptruppen. Das beste Gedicht scheint mir aus deren Bereich jene ›Proletarische Selbstkritik‹ von Willi Karsch zu sein; ein Volltreffer. Das sitzt. Erste Strophe:

Vier Treppen links im Hinterhause
als Oberhaupt und Haustyrann
herrscht der Familienvater Krause
und sieht sich seine Bude an:
Een Haufen Nipps, – der Schönheit wejen –
zwee Engel überm Ehebett
mit joldbesticktem Morjensejen
und eene Venus im Klosett.
Und neben Militärandenken
mit schönem schwarzweißrotem Band
und Hochzeits- und Vereinsjeschenken
hängt einsam Lenin an der Wand.
Bloß wenn er an der Theke steht,
ist Krause Sozialist:
da schwitzt er Klassenkämpfertum
und schimpft uff Bürgermist.
Sonst frißt er sich ne Plauze ran,
ist fromm und gottergeben …
Doch kommts nicht auf die Schnauze an,
ihr müßt auch danach leben!

Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen. Das Bändchen wendet sich endlich auch an sie, und wenn ihr einem oder einer eine kleine Weihnachtsfreude machen wollt …


Soweit war diese Kritik gediehen, als dem Neuen Deutschen Verlag ein Zettelgen ins Haus flatterte: auf dem standen gar viele Zahlen. Es war aber kein Kurszettel, sondern ein Schreiben des Berliner Polizeipräsidiums, das die ›Roten Signale‹ beschlagnahmt hat.

» … weil die Regierung und die Justiz und die Religionsgesellschaften und ihre Einrichtungen beschimpft und böswillig verächtlich gemacht werden, und weil außer diesen Stellen die ganze Tendenz der Druckschrift dahin geht, die Leser der Druckschrift aufzuhetzen und für einen politischen Umsturz reif zu machen.« Und ich hatte geglaubt, das täte der Hunger.


›Illustrierter Beobachter‹, ein Naziblatt:

»SA marschiert, Sturmbann VII/5 bei der Arbeit.« Dazu Bilder:

»Sturmbannerführer R. – Besichtigung des Radfahrersturms durch seinen Führer. – Besichtigung durch den Standartenführer in Neustadt i. Sa. – Bild links: Vereidigung des Sturmbannes VII/5.«

Was ist das –?

Das ist ein harmloser Radfahrerverein, und der wird erlaubt. Und Rotfront ist verboten.

Beleidige die ›breslauer Juden‹, du kannst es ungestraft tun. Kritisiere ›Soldaten‹ – du kannst es nicht tun. Sag: Schwangere werden gequält. Gefangene geschunden; nicht immer sind alle schuldig, die da schuldig gesprochen werden – du darfst es nicht sagen. Sag: »Die Reichswehr … «, und du bist auf alle Fälle schuldig; sei es, dass du sie pazifistisch nennst, sei es, dass du sie nicht pazifistisch nennst – du sollst den Namen deines Gottes überhaupt nicht nennen, und dieser Satz ist nun wahrscheinlich eine Gotteslästerung.

Der Regierungsrat, der das hier mit zusammengekniffnen Lippen und einem fiskalischen Bleistift in der bezaubernden Hand liest, er senke den Bleistift. Unsre Arbeit ist getan. Niemand braucht mehr aufgehetzt, niemand für den politischen Umsturz reif gemacht zu werden.

– »Könnte man da nicht … ?«

Nein, Herr Regierungsrat, man kann, aber man könnte nicht. Ich habe nichts gesagt. Haben Sie was gesagt?

Einheitsfront der Arbeiter und Angestellten – wo bist du –?

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 29.12.1931, Nr. 52, S. 959.