Pindar. Ein griechischer lyrischer Dichter, den die Alten durchgehends wegen seiner Vortreflichkeit bewundert haben. Plato nennt ihn bald den göttlichen, bald den weisesten. Die Griechen sagten, Pan singe Pindars Lieder in den Wäldern und das Orakel zu Delfi befahl den dortigen Einwohnern, dass sie von den Opfergaben, die dem Apollo gebracht wurden, diesem Dichter einen Teil abgeben sollten. Ganze Staaten waren stolz darauf, wenn er in seinen Oden sie gelobt hatte. Für einige Verse, die er zum Lob der Athener gemacht hatte, wurde er nicht nur von dieser Stadt reichlich beschenkt; sondern sie ließ ihm auch noch eine eherne Statue setzen: und als Alexander in dem heftigsten Zorn Theben, Pindars Geburthsstadt, zerstören ließ, befahl er, dass das Haus darin der Dichter ehemals gewohnt hatte, verschont werde und nahm dessen Familie in seinen Schuz. So dachten die Griechen von dem Dichter.
–– Et centum potiore signis Munere donat.2
Dieser große Dichter lebte zu Theben in Böotien ungefähr zwischen der 65 und 85 Olympias. Von seiner Erziehung, den Veranlassungen und Ursachen der Entwicklung und Ausbildung seines poetischen Genies ist uns wenig bekannt: aber dieses wenige verdient mit Aufmerksamkeit erwogen zu werden. Sein Vater soll ein Flöthenspieler gewesen sein und den Sohn in seiner Kunst unterrichtet haben; von einem gewissen Lasus aber soll er die Kunst die Leier zu spielen gelernt haben. Das fleißige Singen fremder Lieder mag sein eigenes dichterisches Feuer angefacht haben. Wenn es wahr ist, was Plutarchus von ihm und der Corinna erzählt; so scheint es, er habe anfänglich in seinen Gedichten mehr auf den Ausdruck als auf die Erfindung gedacht. Denn diese schöne Dichterin soll ihm vorgeworfen haben, dass er in seinen Gedichten mehr beredten Ausdruck als Dichtungskraft zeige: und darauf soll er ein Lied gemacht haben, darin er seiner dichterischen Phantasie nur zu sehr den Lauf gelassen.3 Man meldet von ihm, er habe an der pythagorischen Philosophie Geschmack gefunden. Darin konnte seine von Natur schon enthusiastische Gemütsart starke Nahrung finden. Noch zu des Erdbeschreibers Pausanias Zeiten, zeigte man in dem Tempel zu Delfi einen Seßel auf welchem Pindar, so oft er dahin gekommen, seine Päane soll abgesungen haben.
Außer den Oden, davon wir noch eine beträchtliche Sammlung haben, hat Pindar noch sehr viel andere Gedichte, Päanen, Bacchische Oden, Hymnen, Dithyramben, Elegien, Trauerspiele u.a. geschrieben. Die bis auf unsere Zeiten gekommenen Oden haben überhaupt nur eine Gattung des Stoffs. Der Dichter besingt darin das Lob derer, die zu seiner Zeit in den verschiedenen öffentlichen Wettspielen gesiegt haben. Solche Siege waren damals höchst wichtig »die höchste Ehre im Volke war ein Olympischer Sieger zu sein und es wurde dieselbe für eine Seeligkeit gehalten: denn die ganze Stadt des Siegers hielte sich (dadurch) Heil wiederfahren; daher diese Personen aus den gemeinen Einkünften unterhalten wurden und die Ehrenbezeugungen erstreckten sich auf ihre Kinder; ja jene erhielten von ihrer Stadt ein prächtiges Begräbnis. Es nahmen folglich alle Mitbürger Teil an ihrer Statue, zu welcher sie die Kosten aufbrachten und der Künstler derselben, hatte es mit dem ganzen Volke zu tun.«4 Diese Sieger also beehrte Pindar mit seinen Gesängen.
Für uns sind jene Spiele ganz fremde Gegenstände und die Sieger völlig gleichgültige Personen. Aber die Art, wie der Dichter seinen Gegenstand jedesmal besingt; die Größe und Stärke seiner Beredsamkeit; die Wichtigkeit und das Tiefgedachte der eingestreuten Anmerkungen und Denksprüche und der hohe Ton der Begeisterung, der selbst den gemeinsten Sachen ein großes Gewicht gibt und gemeine Gegenstände in einem merkwürdigen Lichte darstellt; dieses macht auch uns den Dichter höchst schätzbar.
Es gehörte unendlich mehr Kenntnis der griechischen Sprache und der griechischen Literatur überhaupt als ich besitze, dazu, um zu zeigen, was für ein hohes und wunderbares Genie überall aus dem Ton, aus der Setzung der Wörter, aus der Wendung der Gedanken, aus dem oft schnell abgebrochenen Ausdruck und aus dem, diesem Dichter ganz eigenen Vortrag, hervorleuchtet. Was man überall zuerst an ihm wahrnimmt, ist gerade das, was auch an unserem deutschen Pindar, ich meine Klopstocken, zuerst auffält, nämlich der hohe feierliche Ton, wodurch selbst solche Sachen, die wir allenfalls auch könnten gedacht haben, eine ungewöhnliche Feierlichkeit und Größe bekommen und unserer Aufmerksamkeit eine starke Spannung geben. Wir empfinden gleich anfangs, dass wir einen begeisterten Sänger hören, der uns zwingt Phantasie und Empfindung weit höher als gewöhnlich, zu stimmen. Indem er uns mit Gegenständen unterhält, die für uns fremd und nicht sehr interessant sind, treffen wir auf Stellen, wo wir den Sänger als einen Mann kennen lernen, der über Charaktere, über Sitten und sittliche Gegenstände tief nachgedacht hat und sehr merkwürdige Originalgedanken anbringt, wo wir bloß die Einbildungskraft beschäftigten; als einen Mann von dem feinsten sittlichen Gefühl und von der reichesten und zugleich angenehmsten Phantasie. Jeder Gegenstand, auf den er seine Aufmerksamkeit gerichtet hat, erscheint seiner weit ausgedehnten, aber auch tiefdringenden Vorstellungskraft weit größer, weit reicher, weit wichtiger als kein anderer Mensch ihn würde gesehen haben; und denn unterhält er uns auf eine ganz ungewöhnliche und interessante Weise darüber. Gar oft aber wendet er den Flug seiner Betrachtungen so schnell und springt so weit von der Bahn ab, dass wir ihm kaum folgen können.
Aber ich unterstehe mich nicht, mich in eine Entwicklung des Charakters dieses sonderbaren Dichters einzulassen, die weit stärkere Kenner desselben nicht ohne Furchtsamkeit unternehmen würden. Wer ihn noch nicht kennt, der wird in den Versuchen über die Literatur und Moral des Hrn. Clodius5 noch verschie dene andere richtige Bemerkungen hierüber, mit Vergnügen lesen. Vielleicht wird der berühmte Hr. Hofrat Heine in Göttingen, der uns kürzlich eine schöne Ausgabe dieses Dichters, mit wichtigen Bemerkungen gegeben hat, in dem zweiten Teile uns den Charakter desselben ausführlich schildern.
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1 Quint. Inst. L. X.
2 Od. L. IV. 2.
3 Plut. in dem Traktat: ob die Athentenser im Krieg oder im Frieden größer gewesen.
4 Winkelm. Anmerk. über die Geschichte der Kunst.
5 Erstes Stück S. 19 u.s.w.