Prosa; Prosaisch

Prosa; Prosaisch. (Redende Künste) Man nennt zwar jede Rede die weder ein bestimtes Silbenmaß, noch metrische Einschnitte hat,1 Prosa; und dennoch scheint es, dass der Charakter des prosaischen Vortrages nicht bloß hiervon abhange; weil man auch gewisse Verse prosaisch und einen gewissen Vortrag, dem Silbenmaß und Metrum fehlen, poetisch nennt. Die prosaische Rede hat neben dem äußerlichen oder mechanischen, das in dem Mangel des nach einer bestimten Regel abgemessenen Ganges besteht, noch einen innerlichen Charakter, der von dem Ton und der Wahl des Ausdrucks herkommt. Es gibt Wortfügungen, Wendungen, einzelne Wörter und Redensarten, die dem prosaischen Vortrag entgegen und dem Gedichte vorbehalten sind. Werden diese in der Rede, der das Silbenmaß und das Metrum fehlt, gebraucht; so nennt man die Prosa poetisch; fehlen sie aber dem Vortrage in Versen, so werden diese prosaisch genannt.

 Es ist bereits in anderen Artikeln gezeigt worden2 worin das Poetische der Sprach, insofern es vom Silbenmaß unabhänglich ist, bestehe und daraus lässt sich auch der innere Charakter der Prosa bestimmen. Doch ist dabei zu merken, dass einzele, hier und da etwa vorkommende poetische Redensarten und Wendungen die Prosa noch nicht poetisch, noch weni ger prosaische Wendungen die Poesie prosaisch machen. Man braucht diese Ausdrücke von der Schreibart oder der Art des Vortrages, darin der eine oder der andere dieser Charaktere herrschend ist.

 Die poetische Prosa, nämlich Gedichte, ohne Silbenmaß, sind ein Einfall der neueren Zeit; und es ist verschiedentlich darüber gestritten worden, ob irgend einem prosaischen Werk der Namen eines Gedichts mit Recht könne beigelegt werden. Jetzt ist die Frage fast durchgehends entschieden und niemand weigert sich unseren Geßner, dessen Werke fast durchgehends in Prosa geschrieben sind, unter die Dichter zu zählen. Freilich fehlt es dem schönsten prosaischen Gedichte noch an einer Vollkommenheit; und man empfindet den Mangel des Verses desto lebhafter, je schöner man das übrige findet.

 Aber zwei Dinge sind, davor sich jeder in den redenden Künsten sorgfaltig in Acht zu nehmen hat: vor dem prosaischen Ton in dem Gedicht und vor dem poetischen in der gemeinen Rede. Jenes ist dem Charakter des Gedichts so sehr entgegen, dass auch im prosaischen Gedichte selbst, der prosaische Ton ganz widrig wäre: dieses widerspricht dem Charakter der gemeinen Rede eben so, wie wenn man bei der alltäglichen, bloß nach der Notdurft eingerichteten Kleidung irgend einen Teil derselben nach festlichem Schmuck einrichten wollte. Wie es abgeschmackte Pe danterie ist, wenn man in den Reden über Geschäfte des täglichen Lebens oder des gemeinen Umganges ohne Not Ausdrücke, Redensarten und einen Ton annimmt, die dem wissenschaftlichen gelehrten Vortrag eigen sind; so ist es auch eine ins Lächerliche fallende Ziererei, wenn man in der gemeinen Sprache der Unterredung poetische Blumen oder etwas von dem feierlichen Ton der Redner oder Romanenschreiber einmischt: ein Fehler, in den junge für die Sprache der Romane zu sehr eingenommene Personen des schönen Geschlechtes, nicht selten fallen. Dieses ist aber gerade der Fall junger Schriftsteller, die ihren prosaischen Vortrag hier und da mit poetischen Schönheiten ausschmücken. Höchst anstößig ist dieses vornehmlich in dem Dialog der dramatischen Werke, der dadurch seine ganze Natur verliert.

  Ich halte es für wichtig genug bei dieser Gelegenheit unsere Kunstrichter auf diese Fehler, die nicht selten begangen werden, besonders aufmerksam zu machen, damit sie sich ihrem Einreißen mit Fleiß entgegen setzen.3 Es ist für die Dichtkunst sehr wichtig, dass sie eine ihr allein zukommende Sprache behalte. Denn gar oft hat sie kein anderes Mittel sich über die gemeine Prose zu erheben und die Aufmerksamkeit der Leser in der gehörigen Spannung zu erhalten als eben den ihr eigenen Ton im Vortrage; und oft bloß den Gebrauch gewisser Worte, die eben deswegen, weil sie in der gemeinen Sprache unerhört sind, einen poetischen Charakter haben. Sollten diese Mittel auch in dem sonst unpoetischen Vortrag gewöhnlich werden, so würde der Dichter sich bei manchen Gelegenheiten gar nicht mehr über den gemeinen Vortrag erheben können.

 Es ist freilich nicht möglich die Grenzen, wo sich das Prosaische des Vortrages von dem Poetischen scheidet, durchaus mit Genauigkeit zu zeichnen. Wer aber ein etwas geübtes Gefühl hat, der empfindet es bald, wenn sie von der einen oder der anderen Seite überschritten werden. Wenn also die Kunstrichter dergleichen Ausschweifungen über die Grenzen gehörig rügen, so gewöhnen sich die Schriftsteller, die sich derselben schuldig gemacht haben, zum sorgfältigern Nachdenken, wodurch ihr Gefühl hinlänglich geschärft wird, um solche Fehler künftig zu vermeiden.

 Verschiedene Kunstrichter haben angemerkt, dass es schwerer sei in einer durchgehends reinen und den Charakter ihrer Art überall behauptenden Prosa als in einer durchaus guten poetischen Sprache zu schreiben. Dieses scheint dadurch bestätiget zu werden, dass bei mehreren Völkern, so wie bei den Griechen, die Sprache der Dichtkunst weit früher eine gewisse Vollkommenheit erreicht hat als die Prosa. Der Grund hiervon liegt ohne Zweifel darin, dass die eine ein Werk der schnellwirkenden Einbildungskraft, die andere aber ein Werk des Verstandes ist, dessen Wirkungen langsamer und bedächtlicher sind. Es ist eben der Fall, der zwischen den schönen Künsten und den Wissenschaften den sehr merklichen Unterschied hervorbringt, dass jene oft sehr schnell, diese durch ein ungemein langsames Wachstum zur Vollkommenheit empor steigen.

 

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1 S. Silbenmaß; Metrisch.

2 S. Poetisch; Ton.

3 Man sehe einige gute Erinnerungen hierüber in der Neuen Bibl. der schönen Wissensch. im St. des X Bandes, auf der 108. Seite.

 


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