Pharsalia. Da ich dieses Gedicht nie in der Absicht gelesen habe, um mir eine bestimmte Vorstellung von seiner Art und von seinem poetischen Charakter zu machen, so will ich, statt meiner Gedanken darüber, hier einen kleinen Aufsatz einrücken, den mir ein durch vielerlei kritische Arbeiten bekannter und verdienter Mann zugeschickt hat.
»Man hat diesem erzählenden Gedicht des Lucanus die Ehre einer Epopöe streitig gemacht. Es ist aber nicht darum historisch, weil die Zeitordnung darin nicht umgekehrt wird, welches auch in der Ilias nicht geschieht und von Herodotus mehr als in irgend einem Gedichte geschehen ist; noch darum, weil es auf keine absonderliche Sittenlehre gebaut ist; maßen es, wenn dieses erfordert würde, den Jammer, den die innerliche Zwietracht mit sich führt, gewiss in so starkem Lichte zeigt als immer die Ilias tut. Was obige Beschuldigung rechtfertigt, ist, dass es wenig Exempel in sich hat, wiewohl sie nicht ganz fehlen, wo die Personen reden, ausgenommen in öffentlichen Versammlungen und dass die Reden, anstatt aus dem besonderen Charakter der Personen zu fließen, allgemein von allgemeinen Wahrheiten und Sätzen hergenommen sind und zu sehr nach dem Redner schmecken; wiewohl sie sonst stark genug und der Römer sehr würdig sind. In der Epopöe müssen öffentliche Geschäfte und Reden selten vorkommen; hingegen die persönlichen Gesinnungen, die besonderen Unterhandlungen und Beratschlagungen über die aus der Handlung unmittelbar entstehenden Vorfälle und Begebenheiten. Jenes kommt eigentlich der Historie zu; dieses ist der Dichtkunst eigen.
Unter die Nachteile der Pharsalia rechne ich nicht, dass wir genau wissen, dass eine Menge Umstände zu den wahren, bekannten, nur erdichtet sind; denn die poetische Gewissheit wird vielmehr stärker, wenn sie mit bekannten Sachen untersetzt wird. Und so bald der Poet sich eines historischen Grunds zu seiner Arbeit bemächtigt; so darf man keine andere als die poetische Gewissheit von ihm fordern. In einem Gedichte, wo die Hauptpersonen noch so jüngst gelebt haben, dass wir selbst oder unsere Ältern sie gekannt haben, macht es Schwierigkeiten uns Ehrfurcht und Bewunderung für sie beizubringen. Hundert Histörichen von kleinen menschlichen Schwachheiten und von wirtschaftlichen Umständen, die wir selbst gesehen oder von Augenzeugen gehört haben, setzen sie zu den gewöhnlichen Menschen herunter. Unser Poet hat durch die großen Sachen, womit er den Leser unterhält, denjenigen, die nahe bei seinen Helden gelebt haben, nicht Weile gelassen, an das zu denken, was ihnen Kleines anhieng und bei den späteren Leseren hat der Lauf der Jahre, das Andenken dieser Kleinigkeiten vertilget.«
Dass der Dichter der Pharsalia große poetische Talente gehabt, wird wohl Niemand in Abrede sein. Aber man sieht nicht selten bei ihm, dass Überlegung und Bemühung bisweilen die Stelle der Begeisterung vertreten; dass er, nicht aus überströhmender Empfindung, sondern, weil er es gesucht und lange darauf gearbeitet hat, sich dem Großen und Erhabenen nähert.
Seit Kurzem hat unser Dichter in Frankreich verschiedene vorzügliche Verehrer gefunden, die durch einzele Schönheiten, die in Menge bei ihm angetroffen werden, so eingenommen worden, dass wenig daran fehlt, dass sie ihm nicht die erste Stelle unter den Heldendichtern einräumen. Dieses war in der Tat von Leuten, nach deren Geschmack die Henriade einen hohen Rang unter den Epopöen behauptet, zu erwarten.