Wohlklang

 Wohlklang. (Redende Künste) Es ist schon an mehreren Stellen dieses Werks angemerkt worden, dass das Gehör weit lebhafter und nachdrücklicher empfindet als das Gesicht; dass angenehme und widrige Töne stärker auf uns wirken als dergleichen Farben und Figur. Hierauf gründet sich die Notwendigkeit den Werken der redenden Künste Wohlklang zu geben. Schon die gemeine Rede des täglichen Umganges verliert einen großen Teil ihrer Kraft, wenn sie nicht wenigstens mit einer gewissen Leichtigkeit fließt und sie wird sehr unangenehm und widrig, wenn sie alles Wohlklanges beraubt ist. Wo das Ohr sich beleidiget fühlt, da merkt man nicht auf den Sinn der Rede. Man kann, angenehme, so gar wichtige Sachen sagen und doch, wenn es in einem holperigen Ausdruck geschieht, damit dem Gehör, das gar sehr empfindlich ist, beschwerlich fallen1. Der Wohlklang räumt nicht nur jeden Anstoß des Gehöres, der die Aufmerksamkeit auf den Sinn der Rede stören würde, aus dem Wege, sondern verursacht, dass man die Rede mit Lust hört und dass die empfindsame Lage des Gemütes, die den Eindruck sehr befördert, unterstützt und verstärkt wird. Dieses haben wir bereits an anderen Stellen dieses Werks außer Zweifel gesetzt.2

O selig! wen sein gut Geschicke Bewahrt vor großem Ruhm und Glücke, Der, was die Welt erhebt, verlacht.

so macht der Wohlklang des Ausdrucks, dass die Gedanken desto lebhafter rühren und leicht im Gedächtnis bleiben; dass der, der dieselben Gedanken schon oft mag gehört oder selbst gehabt haben, ohne sonderlich davon gerührt zu werden, jetzt ihre volle Kraft empfindet. Mancher Vers des Homers, dessen Inhalt wenig Aufmerksamkeit würde nach sich gezogen haben, ist durch den Wohlklang zu Würde eines Denkspruchs oder gar eines wichtigen Sprüchworts erhoben worden.

 Was ein schönes und lebhaftes Kolorit in der Malerei, das ist der Wohlklang für die Werke der redenden Künste. Für das Gedicht insbesonder ist er so wesentlich, dass der Mangel desselben allein es von dem Gebiet der Poesie ausschließt. Ist er nicht die erste und wichtigste Eigenschaft der Werke der Beredsamkeit und Dichtkunst, so ist er doch eine notwendige; denn die besten Gedanken können, durch übel klingenden Ausdruck ihre Kraft verlieren.

  Darum ist es sehr wichtig, dass Redner und Dichter besonderen und ernstlichen Fleis darauf wenden, ihre Werke wohlklingend zu machen.

 Ohne große Weitläufigkeit und ohne sehr schwerfällig zu werden, lässt sich nicht alles, was zur Erreichung des Wohlklanges gehört, anzeigen3. Wir müssen uns nur auf das allgemeinste und wichtigste dieser Materie einschränken. Das meiste hängt ohne dem mehr von einem feinen Gehör und einer fleißigen Übung im Hören als von theoretischen Kenntnissen ab. Deswegen gibt auch Quintilian dem angehenden Redner den Rat, sich fleißig im mündlichen Vortrag zu üben und anderen aufmerksam zuzuhören. Man glaubt oft nicht übelklingend geschrieben zu haben, bis man versucht, das geschriebene gut vorzutragen. Da zeigt sich dann gar oft, dass man nur zu sehr gefehlt habe.

  Der Wohlklang hängt, wie Cicero wohl angemerkt hat, vom Klang und dem Numerus ab.4 Den Klang geben die einzelnen Silben und die aus diesen zusammengesetzten Wörter, die an sich mehr oder weniger wohlklingend sind; und ihre Stellung. Denn dieselbe Silbe und dasselbe Wort klingt voller, besser, nachdrücklicher, nachdem seine Stellung neben den übrigen ihm Nachdruck oder Flüchtigkeit gibt, seine Aussprach erleichtert oder schwerer macht. Der Redner macht die Wörter nicht, er muss sie nehmen, wie sie ihm von dem eingeführten Gebrauche gegeben werden. Doch bleibt ihm in gar viel Fällen die Wahl derselben. Giebt es nicht gänzlich gleichgültige Wörter, so verstattet doch die Wendung, die einem des bessern Klanges halber gewählten Worte, die gesuchte Bedeutung gibt, gar oft eine Wahl. Und wenn auch diese gar nicht statt hätte, wenn ein minder wohlklingendes Wort aus Roth zu wählen wäre, so kann es allemal so gestellt werden, dass es dem guten Klang keinen merklichen Schaden tut.

 Man muss sich nur dafür in Acht nehmen, dass nicht Wörter vom schlechtem Klange, da stehen, wo der oratorische Akzent liegt, sondern da, wo der Ton sinkt und die Bewegung leicht und schnell ist. Man muss sich hüten, harte Silben auf harte folgen zu lassen. Ist irgendwo eine Silbe von harter oder schwerer Aussprach unvermeidlich, so geht es doch fast allemal an, die Aussprache derselben durch eine vorhergehende oder nachfolgende schickliche Silbe so zu erleichtern, dass das raue oder schwere fast unmerklich wird.

 So viel möglich ist, muss man sich dafür hüten, dass der Akzent nicht auf Silben von schlechtem Klang falle. Und meistenteils kann dieses vermieden werden; denn wir haben eine Menge bloß einsilbiger Wörter, die vor oder nach einem zweisilbigen gesetzt, in diesem den Akzent verändern. Mehr einsilbige Wörter, deren jedes einen Akzent hat, hintereinander gesetzt, würden einen sehr üblen Klang machen; aber zwei oder drei lassen sich oft so stellen, dass eines den Akzent allein auf sich zieht und dass sie zusammen, wie ein einziges Wort klingen.

 Wir können uns aber nicht in alle Kleinigkeiten einlassen, wodurch der Klang der Wörter im Zusammenhange mit anderen kann verbessert werden, ob wir gleich wünschten, dass jemand sich die Müh gäbe, sie zu sammeln. Es ist keine Sprache, in der nicht sehr viel Abweichungen von den gewöhnlichen grammatischen Regeln, bloß des Wohlklanges halber vorkommen. Man dürffte nur alle diese Fälle sammeln, so würde man sehen, wie vielerlei Mittel es gibt den Übelklang einzelner Wörter zu verbessern. Hierher gehört auch, was wir über den Klang der Wörter und über das unangenehme Zusammenstoßen einiger Buchstaben anderswo angemerkt haben.5

 Eine zu öftere Wiederholung derselben oder ähnlich klingender Wörter, besonders gleicher Endungen, ist des Wohlklanges halber so viel möglich zu vermeiden. Erfordert es die Notwendigkeit ein Wort in einem kurzen Umfang der Rede mehrmale zu brauchen, so muss man darauf sehen, dass das Unangenehme der Wiederholung durch die Mannigfaltigkeit des Rhythmischen in den verschiedenen Sätzen, da es vorkommt, verbessert werde.

 Wir müssen aber nicht unbemerkt lassen, dass der Klang nicht, wie es doch scheint, von dem bloßen Schall der Wörter allein abhängt, sondern durch den Sinn derselben merklich unterstützt wird. Ist dieser leicht und sind die Gedanken angenehm, so findet man auch einen mittelmäßigen Klang gut, hingegen würde der vollkommenste mechanische Bau der Rede nicht wohlklingend scheinen, wenn der Sinn schwer zu fassen oder wann sonst etwas beleidigendes oder anstößiges darin wäre. Wie eine mittelmäßige Farbe auf einem Gesichte von großer Schönheit angenehm ist, hingegen das schönste Kolorit auf einem hässlichen Gesicht, wenig gefällt, so verhält es sich auch mit dem Wohlklang der Rede. Den besten Klang gibt allemal ein reizender Gedanken, wenn nur der Ausdruck desselben nichts anstößiges oder holpriges hat.

 Der andere Hauptpunkt, worauf es bei dem Wohlklang ankommt, ist der Numerus oder das Rhythmische des Ganges. Von diesem sprechen wir in einem besonderen Artikel. Wir merken hier nur als eine Hauptsach an, dass erst denn die Rede recht wohlklingend wird, wenn ihr Gang dem Inhalt derselben vollkommen angemessen ist. Die genaueste Überlegung des inneren Tones oder der Stimmung des Gemütes, in der sich der redende befindet, muss die Art des Ganges der Rede bestimmen. Das Sittliche und Leidenschaftliche dieser Gemütslage, der Grad desselben, das Gelassene, das Lebhafte, das Zärtliche und das Strenge oder was sonst das .’ ... und das pa... das in der Rede herrscht, näher bestimmt, muss dem Ausdruck die wahre Bewegung und den rechten Ton geben.

 Für so notwendig wir den Wohlklang halten, so wünschten wir doch nicht, dass er als die vornehmste Eigenschaft der Werke redender Künste angesehen würde. Man muss ihn immer wie ein Kleid betrachten das nur denn etwas gilt, wenn die Person unsere Aufmerksamkeit verdient. Wer die größte Schönheit im Wohlklange sucht, läuft Gefahr wichtigere Fehler zu begehen als wer ihn ganz versäumt. Man kann ihm wohl etwas von dem Sprachgebrauch aufopfern, aber ihm zu gefallen, soll man nie den Gedanken schwächen oder auf andere Weise verstellen. Auch muss man seinen Wert nicht so hoch setzen, dass man ihn für hinlänglich hielte, die Werke des Geschmacks schätzbar zu machen. Wer alles dem guten Klang aufopfert, wird nie etwas wichtiges schreiben. Man muss das Ohr nicht zu sybaritischer Weichlichkeit gewöhnen. Eine ernsthafte von wichtigen Dingen angefüllte Rede könnte durch übertriebenen Wohlklang verdorben werden. Wie die Maler ernsthafte Gegenstände nicht mit der höchsten Lieblichkeit der Farben malen und wie sie einen Athleten nicht mit so sanften und verfließenden Umrissen zeichnen, die der weiblichen Schönheit eigen sind; so muss man es auch mit dem Wohlklang machen, der allemal mit dem Inhalt übereinstimmend sein muss.

 

_________________

1 Quamvis enim suaves, gravesque sententiæ, tamen, si inconditis verbis efferuntur, offendent aures, quarum est judicium superbissimum. Cic. Orat.

2 S. Klang, Ton, Rhythmus. Metrisch.

3 De verbis componendis, syllabis, propemodum dinumerandis et dimetiendis loquemur, quæ etiam si sunt necessaria, tamen fiunt magnisicentius, quam dicuntur. Cic. in Orat.

4 Duæ sunt res, quæ permulceant aures, sonus et numerus. l. c.

5 S. Klang; Lücke (Dichtkunst).

 


 © textlog.de 2004 • 23.12.2024 14:28:51 •
Seite zuletzt aktualisiert: 23.10.2004 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  Z