Witz

Witz. (Schöne Künste) Das Wort bedeutet ursprünglich überhaupt, was man jetzt im allgemeinen Sinn Verstand oder einen guten Kopf nennt, und ehedem nennte man einen Menschen von vorzüglichen Gaben des Geistes, einen witzigen Menschen. Gegenwärtig hat es einen etwas eingeschränktern Sinn und man stellt sich jetzt, wenigstens in der gelehrten Sprache, den Witz als eine besondere Gabe des Geistes vor, die vornehmlich in der Fertigkeit besteht, die mancherlei Beziehungen und Verhältnisse eines Gegenstandes gegen andere schnell einzusehen und lebhaft zu fühlen. Doch scheint diese Erklärung den Begriff nicht bestimmt und vollständig genug auszudrücken. Da es aber hier nicht um eine psychologische Zergliederung des Witzes zu tun ist, so begnügen wir uns den Witz vornehmlich in Rücksicht seines Einflusses auf die Werke des Geschmacks zu betrachten.

 Man kommt durchgehends darin überein, dass eine lebhafte Einbildungskraft die Grundlage des Witzes ausmache und dass der, den man vorzüglich einen witzigen Kopf nennt, in seinen Vorstellungen mehr von einer lebhaften Phantasie als von Verstand im eigentlichen philosophischen Sinne dieses Wortes, geleitet werde. Wie nun der Verstand überall auf deutliches und entwickeltes Denken zielt, so scheint der Witz auf sinnliche, aber lebhafte sehr klare Vorstellungen zu lenken. Der Verstand zergliedert und betrachtet jeden Begriff, jede Vorstellung nach dem Einzelnen, das darin ist und findet seine Befriedigung in vollständiger Zergliederung; der Witz aber fasst den Begriff gern im Ganzen, mit sinnlicher Klarheit und bestrebt sich, ihn lebhaft zu fühlen: darum verfährt er schnell, da der Verstand langsamer geht. Die lebhafte Einbildungskraft des witzigen Kopfes erweckt bei jedem Begriff eine Menge anderer Vorstellungen, die nach den Gesetzen der Einbildungskraft einige Beziehung darauf haben. Ähnlichkeit, Kontrast und jede andere, innere oder äußere Beziehung, bringt dem witzigen Kopf, indem er eine Vorstellung lebhaft empfindet, jene andere damit verbundene, zugleich in die Phantasie. Dadurch wird die Lebhaftigkeit der Vorstellung erhöhet; sie gefällt oder missfällt dem witzigen Kopf mehr als dem Menschen von Verstande.

 Da die Einbildungskraft sich mehr mit dem äußerlichen Ansehen der Dinge, mit ihrer Form und Gestalt als mit ihrer inneren Beschaffenheit beschäftigt, so dringt der Witz auch nicht tief in die Sachen hinein; der Schein befriediget ihn, wo der Verstand Wirklichkeit oder Realität sucht. Indessen kommt es auch hierbei auf den Grad des Scharfsinnes an, der mit dem Witz verbunden ist. Fehlet sie ihm, so artet dieser in Albernheit aus. Nichts ist verständigen Menschen ekelhafter und abgeschmackter als die Äußerungen einer lebhaften Einbildungskraft, die ganz von Beurteilung verlassen ist.

 Es scheint, dass die Hauptneigung des witzigen Kopfes darauf gehe, dass er sich mit dem, was die Dinge, die er sich vorstellt, gefallendes oder missfallendes haben, beschäftige. Wie die Kinder mit dem Gelde spielen und keinen Unterschied zwischen gemünztem Gold und den so genannten Zahl- oder Rechenpfennigen machen, gerade so geht der Hang des Witzes auf das, was die Vorstellungen an sich ergötzendes haben, ohne auf den anderweitigen Gebrauch derselben zu sehen. Eine Begebenheit, die sich auf Glück oder Unglück bezieht und die anderen ihrer Folge halber merkwürdig ist, rührt den witzigen Kopf mehr durch ihre Beschaffenheit als durch ihre Folgen; er lacht bisweilen über das, was anderen Thränen auspreßt und ärgert sich, wo andere sich freuen. An sich selbst betrachtet ist der Witz leichtsinnig, indem er die Dinge nicht in ihren Folgen oder Wirkungen, sondern in ihren Beziehungen auf die Beschäftigung der Einbildungskraft, beurteilt; er ist uneigennützig und ergötzt sich an Dingen, die der nachdenkende Verstand für schädlich halten würde. Es ist daher nicht selten, dass bei Menschen von recht herrschenden Witz, wenig Herz, das ist, wenig von den sonst gewöhnlichen Empfindungen zärtlicher Art, angetroffen wird.

Dieser starke Hang jedes Ding in dem, was es in seiner Beschaffenheit oder Form lustiges, gefälliges oder ergötzendes hat, zu betrachten und zu genießen, macht den Witz erfinderisch bei jeder Vorstellung, aus dem ganzen Vorrat der in der Einbildungskraft liegenden Begriffe, alles herbei zu rufen, was zur Belebung der Hauptvorstellung dient. Daher kommen die vielen Bilder, die mannigfaltigen Vergleichungen, die Nebenbegriffe und seltenen Einfälle, in den Reden des witzigen Kopfes.

 Es erhellt hieraus, dass der Witz eine der Grundlagen des zur Kunst nötigen Genies sei. Denn da die lebhafte Rührung der Einbildungskraft eine der notwendigsten Wirkungen der Werke des Geschmacks ist, der Witz aber gerade dahin zielt, so ist er eines der Hauptmittel einem Gegenstand, der an sich nicht Reizung genug hätte, ästhetische Kraft zu geben. Eine an sich unbedeutende Begebenheit, von einem witzigen Kopf erzählt, kann sehr unterhaltend werden. Der gemeinste Gedanken, die Schilderung des unerheblichsten Gegenstandes, gewinnt durch den Einfluss des Witzes einen Reiz, der ihn für Menschen von Geschmack höchst angenehm macht.

 Wenn er aber in Werken des Geschmacks diesen Dienst leisten soll, so muss er mit Scharfsinn verbunden und von Verstand und guter Beurteilung geleitet werden. Ohne Scharfsinn wird er leicht falsch, ausschweifend und so gar abgeschmackt; und wenn ihn nicht eine richtige Beurteilung begleitet, so wird er unzeitig, abenteuerlich, übertrieben und schädlich.

 Man muss überhaupt die Äußerungen des Witzes als ein Gewürz ansehen und gerade den Gebrauch davon machen, der bei Zurichtung einer Mahlzeit von diesem gemacht wird. Ganz von Gewürze wird kein Gericht gemacht; doch etwa ein kleines Schälchen, mehr zur Wollust als zur Nahrung, hingesetzt. Aber jede zur Nahrung bestimmte Speise wird damit etwas erhöhet; es sei denn, dass sie schon an sich hinlänglichen Reiz für den Geschmack habe. Gerade so verhält es sich mit dem Witze. Blos witzig können kleinere zur Ergötzung und zum Scherz gemachte Werke der Kunst sein; aber in größeren Werken, die schon eine höhere Bestimmung haben, muss er niemals herrschend sein, sondern bloß der schon an sich wichtigen Materie einen etwas erhöheten Geschmack geben.

 Zu viel Witz, auch da, wo sein mäßiger Gebrauch nötig ist, ermüdet, unterdrückt die, den Geist und das Herz nährenden Kräfte, die schon in dem Stoff liegen und macht, dass das, was nützlich sein sollte, bloß angenehm wird. Ist er einmal im Reiche des Geschmacks herrschend geworden, so tut er eben die verderbliche Wirkung, die der unmäßige Gebrauch des Gewürzes in der Lebensart der Wollüstlinge tut, die allen Geschmack an nahrhaften und gesunden Speisen verlieren und deswegen in eine Weichlichkeit versinken, in der alle Stärke des Körpers verloren geht. Verschwendung des Witzes zeigt allemal den Verfall des Geschmacks; und ein Volk das in Werken des Geschmacks sich vorzüglich nach Witz umsieht, ist schon so verdorben, dass die schönen Künste die heilsamste Wirkung, die man von ihnen zu erwarten hat, an ihm nicht mehr tun können. Die gründlichste Rede, darin ein solches Volk zu ernstlicher Überlegung dessen, was zu seinem wahren Interesse dient, ermahnet würde, täte weniger Wirkung als ein witziger Einfall. Weit mehr richten die schönen Künste bei einem Volk aus, dessen Geschmack noch rauh und ungeläutert ist als bei dem, dessen Geschmack durch übertriebenen Gebrauch des Witzes die Schwächung der Weichlichkeit erfahren hat. Darum sollten Kunstrichter, denen die Ausbreitung des wahren und gründlichen Geschmacks am Herzen liegt, auf nichts mehr wachen als auf die Hintertreibung des Missbrauches, der allgemein von dem Witze gemacht wird, so bald die schönen Künste bis zu einer gewissen Verfeinerung getrieben worden.

 Da der Witz eigentlich dazu dient, dass gewisse Vorstellungen, die in ihrer wesentlichen Beschaffenheit die Aufmerksamkeit nicht genug reizen, dadurch Leben und ästhetische Kraft bekommen; so versteht es sich von selbst, dass sein Gebrauch bei Gegenständen, die an sich Lebhaftigkeit und Reizung genug haben, überflüssig, auch wohl gar schädlich sei. Wie er einen gemeinen Gedanken erhebt, so benimmt er einem starken und wichtigen etwas von seiner Kraft, indem er die Aufmerksamkeit von dem Wesentlichen auf etwas Zufälliges lenket. Wo der Verstand durch große und wichtige Wahrheit zu erleuchten oder wo das Herz durch pathetische oder zärtliche Gegenstände zu rühren ist, da bleibt der Witz ausgeschlossen. So unumgänglich er zu bloß unterhaltenden Werken, zu dem lustigen Schauspiel und zu der spottenden Satyre ist, so übel wäre er in dem Trauerspiel und in anderen pathetischen Werken angewendet. Je feiner er ist, je mehr beleidiget er den guten Geschmack, wo das Herz bloß empfinden oder der Verstand bloß erkennen und beurteilen will.

 


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