Cëyx und Halcyone
Jetzo schwinget den Sprung in des Schiffraums hohle Verbindung
Türmende Flut. Wie ein Krieger, der weit vorragt aus der Menge,
Wann schon oft an den Wall der verteidigten Stadt er hinansprang,
Endlich die Hoffnung erlangt und entbrannt in Begierde des Ruhmes
Dennoch die Mauer gewinnt, er unter den Tausenden einer:
Also, da wildes Gewog' aufschlug um die Höhen des Bordes,
Hebt sich mit ungeheurer Gewalt die zehente Welle;
Und nicht stehet sie ab, das ermattete Schiff zu bekämpfen,
Ehe sie über den Wall des eroberten Schiffes hereinsteigt.
Noch versuchte des Meers ein Teil in die Barke zu stürmen;
Teils war es drinnen bereits: und nicht weniger zittern sie alle,
Alsdann zittert die Stadt, wann andere draußen die Mauer
Graben, und andere drinnen bereits einnahmen die Mauer.
Nichts schafft Kunst; und es sinket der Mut; und so viele der Wellen
Kommen, so viel' auch scheinen hereinzubrechen der Tode.
Dieser weint; der staunt wie erstarrt; der preiset sie glücklich,
Welche das Grab aufnimmt; der fleht mit Gelübden der Gottheit;
Streckend umsonst die Arme zum nicht gesehenen Himmel,
Ringt er um Schutz; der denkt an die Brüder daheim und den Vater,
Dieser an Weib und Kinder, und was ein jeder zurückließ.
Cëyx denkt an Halcyone nur; aus dem Munde des Cëyx
Tönt nur Halcyone auf; und wiewohl nach der Einzigen schmachtend,
Freut er sich ihrer Entfernung. Zum heimischen Ufer auch möcht' er
Umschaun und nach dem Hause zuletzt noch wenden das Antlitz;
Nicht, wo es sei, weiß jener: in so hochstrudelndem Aufruhr
Brauset das Meer; in das Dunkel der pechschwarz hängenden Wolken
Hüllet der Himmel sich ganz, und es herrscht das gedoppelte Nachtgraun.
Krachend zerbricht von dem Prall platzregnender Wirbel der Mastbaum,
Krachend das Steuer zugleich; und stolz auf die Beute sich hebend,
Schauet die Wog' als Siegerin her auf gewölbete Wogen.
Leichter nicht, wie wenn einer den aufgerütteten Athos
Schleuderte oder des Pindus Gebirg' in die offene Meerflut,
Platzt sie von oben herab; und zugleich durch Last und den Anstoß
Senkt sie zum Grunde das Schiff. Ein Teil der Männer versinket,
Unter den Strudel gezwängt, und erreicht, nicht wieder enttauchend,
Gleich sein Geschick. Ein anderer hält des verstümmelten Wrackes
Glieder umarmt. Selbst hält in der Hand, der den Zepter geführet,
Cëyx getrümmerte Scheiter des Rumpfs; und Schwäher und Vater
Rufet er, ach! umsonst. Doch zumeist in des Schwimmenden Munde
Ist Halcyone stets; Halcyone denkt er und nennt er.
Daß vor Halcyones Augen die Flut ihm spüle den Leichnam,
Wünscht er, und daß den Entseelten befreundete Hände bestatten.
Während er schwimmt, so oft ihm zu atmen vergönnt das Gewoge,
Ruft er Halcyone aus; es verhallt in der Flut das Gemurmel.
Schau, der düstere Bogen, der grade sich über den Fluten
Wölbte, zerplatzt und verschüttet sein Haupt im zerschelleten Wasser.
Eingehüllt in Dunkel erschien und ganz unerkennbar
Lucifer jene Nacht; und weil von Olympus zu weichen
Nicht er vermocht', umzog er mit finsteren Wolken das Antlitz.
Äolus' Tochter indes, noch ganz unkundig des Jammers,
Zählt die Nächte für sich und fleißiger schon die Gewande,
Die der Gemahl anleg', und die, wann jener gekommen,
Selber sie trag', und freut sich voraus der eitelen Heimkehr.
Alle die Oberen zwar verehrte sie immer mit Weihrauch;
Dennoch pflegte sie mehr der Juno Tempel zu feiern.
Für den Gemahl, ach! naht sie, der nicht mehr war, den Altären:
Daß er gesund ihr bleib', und darf heimkehre der Gatte,
Fleht sie, und daß er keine der Frau vorziehe. Doch jener
Wurde von so viel Wünschen allein nur dieser gewähret.
Nicht mehr duldet die Göttin das Flehn für einen Gestorbnen;
Und um trauernde Hände von ihrem Altar zu entfernen;
Iris, sagt sie, du treuste Verkünderin meines Befehles,
Eil' und besuche den Hof des schlummerbringenden Schlafes,
Daß er Träum' in Gestalt des abgeschiedenen Cëyx
Zur Halcyone sende, das wahre Geschick zu erzählen.
Juno sprach's; in Gewande von tausend Farben verhüllt sich
Iris, und zeichnend am Himmel den weitgewölbeten Bogen,
Eilet sie, nach dem Gebot, zu des Königes Felsenbehausung.
Nächst den Cimmeriern ist die lang eingehende Steinkluft
Tief in dem Berg, wo hauset der unbetriebsame Schlafgott.
Nimmer erreicht, aufgehend, am Mittag, oder sich senkend,
Phöbus mit Strahlen den Ort. Ein matt umdüsternder Nebel
Haucht vom Boden empor und Dämmerung zweifelnden Lichtes.
Kein wachhaltender Vogel mit purpurkammigem Antlitz
Kräht die Aurora herauf; auch stört durch Laute die Stille
Kein sorgfältiger Hund, noch die aufmerksamere Hofgans.
Weder Gewild, noch Vieh, noch von Luft geregete Zweige,
Geben Geräusch, noch Rede, von menschlichen Zungen gewechselt.
Stumm dort wohnet die Ruh'. Doch hervor am Fuße des Felsens
Rinnt ein lethäischer Bach, durch den mit leisem Gemurmel
Über die Kieselchen rauscht die sanft einschläfernde Welle.
Rings um die Pforte der Kluft sind wuchernde Blumen des Mohnes,
Und unzählbare Kräuter, woraus sich Milch zur Betäubung
Sammelt die Nacht und tauig die dumpfigen Lande besprenget.
Keine knarrende Tür' auf umgedreheter Angel
Ist in dem ganzen Haus, und keine Hut an der Schwelle.
Tief im Gemach ist ein Lager, erhöht auf des Ebenus Schwärze,
Dunsend von bräunlichem Flaum, und mit bräunlicher Hülle bedecket,
Wo sich der Gott ausdehnet, gelöst von Ermattung die Glieder.
Rings um jenen zerstreut in vielfach gaukelnder Bildung,
Liegen die luftigen Träume, so viel, als Ähren das Kornfeld,
Als Laub träget der Wald und gespületen Sand das Gestade.