Cëyx und Halcyone
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Wie sie die Grotte betrat und die sperrenden Träume die Jungfrau
Weg mit den Händen gedrängt, da erhellte der Glanz des Gewandes
Schnell das heilige Haus; und der Gott, der in lastender Trägheit
Kaum die Augen erhob, und zurück und von neuem zurücksank,
Und mit nickendem Kinn die obere Brust sich berührte,
Schüttelt sich nun aus sich selber hervor und auf stützendem Arme
Fraget er, die er erkannt, warum sie komme. Doch Iris:
Schlaf, du Ruhe der Wesen, o Schlaf, huldreichster der Götter,
Friede dem Geist, der du Sorgen verbannst und ermüdete Herzen
Nach des Tages Geschäft einwiegst und erneuest zur Arbeit.
Laß doch Träume, die wahrer Gestalt Nachahmungen gaukeln,
Nach der herkulischen Trachin, gehüllt in des Königes Bildung,
Zur Halcyone gehn, und genau darstellen den Schiffbruch.
Das ist der Juno Gebot. - Da den Auftrag Iris vollendet,
Eilt sie hinweg; denn sie konnte nicht mehr ausdulden des Qualmes
Taumelkraft; und sobald sie den Schlaf auf die Füße geglitten
Schauete, geht sie zurück auf dem jüngst bewanderten Bogen.
Aber der Vater, im Schwarme von Tausenden, die er gezeuget,
Rufet hervor den Künstler und Ähnlicher aller Gestaltung,
Morpheus. Nicht ist einer gewitzigter, nach dem Gebote
Auszudrücken den Gang, die Gebärd' und die Weise des Redens;
Kleidungen fügt er hinzu und die üblichsten Worte von jedem.
Nur in Gestalt der Menschen erscheint er. Aber der andre
Wird zu Gewild, wird Vogel und wird langrollende Schlange.
Ikelos nennen ihn Götter, die Sterblichen alle Phobetor.
Noch ist dort ein Dritter von ganz verschiedenen Gaben,
Phantasos, welcher in Land, in Gestein, in Wasser, in Balken
Und was der Seel' entbehrt, mit glücklicher Leichtigkeit eingeht.
Diese zeigen ihr Antlitz den Königen und den Gebietern
Häufig bei Nacht, weil andre das Volk und die Bürger umschwärmen.
Doch sie geht der Alte vorbei, und aus allen Gebrüdern
Morpheus allein, zu vollenden das Wort der thaumantischen Iris,
Wählt er, der Schlaf. Dann wieder gelöst von sanfter Ermattung,
Legt er nieder das Haupt und birgt es im schwellenden Polster,
Jener entfliegt im Wehn der geräuschlos gleitenden Flügel
Durch die Nacht; und sogleich in mäßiger Weile gelangt er
Zur hämonischen Stadt; mit abgelegeten Schwingen
Nimmt er des Cëyx Gestalt, und unter geähnlichter Bildung,
Totenblaß, dem Entseeleten gleich, ohn' alle Gewande,
Steht er am Bette der armen Halcyone. Naß von der Welle
Scheinet der Bart und triefend das Haar des Gemahles zu rieseln.
Über das Lager geneigt und in Wehmut badend das Antlitz
Saget er: Kennst du den Cëyx annoch, elendeste Gattin?
Oder verwandelte Tod die Gestalt mir? Schaue; du kennst mich!
Wenigstens findest du doch für den Mann den Schatten des Mannes!
Nichts, ach! fruchteten mir, Halcyone, deine Gelübde!
Tot bin ich! Nicht schmeichle dir falsch mit meiner Erhaltung!
Auf dem Ägäischen Meer ergriff ein wolkiger Südwind
Unsere Bark' und warf sie in heftigem Sturm und zerbrach sie.
Meinen Mund, der umsonst den Namen Halcyone ausrief,
Füllte die salzige Flut. Nicht meldet dir das ein Verkünder
Wankenden Scheins, nicht hörst du die unstet flatternde Sage.
Ich Schiffbrüchiger selbst erzähle dir hier mein Verhängnis.
Auf denn, weihe mir Tränen und lege dir Trauergewand an;
Laß nicht unbeweint in des Tartarus Öde mich wandern!
Morpheus fügt zu den Worten den Laut, den für des Gemahles
Eigenen jene vernimmt; auch wirkliche Tränen zu weinen
Scheint er und gibt der Hände Bewegungen völlig wie Cëyx.
Tränend schluchzt Halcyone auf und strecket die Arme
Zitternd im Schlaf; und suchend den Mann, umschlinget sie Lüfte:
Bleib! wo eilest du hin? so rufet sie: laß uns zugleich gehn!
Aufgestört durch eigene Stimm' und des Mannes Erscheinung
Fährt sie empor und schauet zuerst ringsum, ob er da sei,
Welchen sie eben gesehn. Denn herbeigerufene Diener
Hatten ein Licht ihr gebracht. Nachdem sie nirgend ihn auffand,
Schlägt sie das Haupt mit der Hand und zerreißt an der Brust die Gewande,
Wütet auch gegen die Brust; und das Haar, nicht achtend zu lösen,
Rauft sie; der Pflegerin dann, die des Grams Ursache sie fraget:
Hin ist Halcyone, hin! antwortet sie: nieder mit ihrem
Cëyx sank sie zugleich! O hinweg mit der eitelen Tröstung!
Nein, er versank mit dem Schiff! Ich sah und erkannte sein Antlitz,
Und zu dem Scheidenden streckt' ich, ihn aufzuhalten, die Händ' aus!
Schatten war's; doch deutlich war selbst der Schatten und wahrhaft
Meines Gemahls! Zwar hatte, wofern du fragst, die Erscheinung
Nicht die gewöhnliche Mien' und das vormals glänzende Antlitz.
Abgebleicht und entblößt und noch mit triefendem Haupthaar
Sah ich Verlorne den Mann! Hier stand er in kläglichem Ansehn,
Hier auf der Stell'! - Und sie forschet, ob einige Spuren geblieben.
Dies, dies war's, was ich fürchtet' im ahnenden Geist und warum ich,
Daß er doch nicht, mich fliehend, dem Sturm nachfolget', ihm anlag!
Wenigstens wünscht' ich nunmehr, da du doch zum Sterben hinweggingst,
Daß du mich selber geführt! Vereint dir, Trauter, vereint dir,
Ging ich beglückt! Dann wäre doch nichts von den Tagen des Lebens
Ohne dich mehr verlebt, noch gesondert der Tod uns erschienen!
Fern jetzt leid' ich den Tod, fern treib' ich umher im Gewoge;
Denn du flutest, mein Ich, du mein edleres! Grausamer wär' ich
Selbst wie die Woge gesinnt, wenn hinfort ich das Leben zu fristen
Strebte, wenn nachzubleiben so großem Jammer ich ränge!
Aber ich will nicht ringen, noch dich, du Armer, verlassen!
Nein, dir sei ich doch jetzo Begleiterin! und in dem Grabmal
Soll, wenn nicht die Urne, gewiß uns vereinen der Buchstab;
Wenn nicht unser Gebein, soll Nam' und Name sich rühren!
Mehreres hemmet der Schmerz; zu jeglichem Worte gesellt sich
Schlag auf Schlag, und aus starrender Brust aufhebendes Seufzen.
Morgen war's; sie geht aus dem Haus an des Meeres Gestade
Traurig den Ort zu besuchen, woher sie dem Fahrenden nachsah.
Während sie dort verweilt' und: Ach! hier löst' er die Seile!
Hier am Gestad' empfing ich den Kuß des Scheidenden! sagte;
Während sie, was auch geschehn, mit dem Blick auffrischt', und ins Meer hin
Schaute, sieh, in der Ferne der flüssigen Wellen erscheint ihr
Etwas wie menschlicher Leib von Gestalt. Erst blieb, was es wäre,
Zweifelhaft ein wenig. Sobald es die Woge herantrug,
Und, obgleich noch entfernt, doch ein Leib zu sein es erhellte;
Wurde sie, ohn' ihn zu kennen, bewegt von dem Bilde des Schiffbruchs;
Und, als ob sie den Fremden beweinete: Wehe dir, rief sie,
Wer du auch seist, und daheim der Verwitweten! Näher geflutet
Kommt allmählich der Leib; und je mehr ihn jene betrachtet,
Schwinden je mehr und mehr die Gedanken ihr. Schon ihn getrieben
Gegen das nähere Land, und schon erkennbar dem Anblick,
Schaut sie; es war der Gemahl. Er ist's! ruft jene, zerreißend
Antlitz und Haar' und Gewande zugleich; und gegen den Cëyx
Zitternde Hände gestreckt: So kehrest du, trautester Gatte,
So zu mir, o du Armer, zurück? - Hart zwängt die Gewässer,
Künstlich geordnet, ein Damm, der den Zorn des kommenden Meeres
Bricht im Empfang und die Stürme zuvor abmattet den Wogen.
Hier sprang jene hinauf, und, o Kraft der Wunder! sie flog auf.
Schlagend die wehende Luft mit eben entsprossenen Flügeln,
Streifte sie über die Flut, ein bejammernswürdiger Vogel;
Und in dem Fluge zugleich, wie wehmutsvoll und beklagend,
Girrt ihr Mund ein helles Getön, mit dem Schnäbelchen klappernd.
Doch wie den Leib sie berührte, der stumm aufwallet' und blutlos,
Jetzt um die teuersten Glieder geschmiegt mit junger Beflüglung,
Gab sie umsonst, ach! kalt, mit hartem Schnabel, ihm Küsse.
Ob dies Cëyx gefühlt, ob das Haupt in der Wellen Bewegung
Er zu heben geschienen, bezweifelten alle. Doch jener
Hatt' es gefühlt. Und zuletzt, durch Gnade des Himmlischen, nehmen
Beide der Vögel Gestalt. Beherrscht von demselbigen Schicksal
Dauerte jetzo die Lieb', und nimmer getrennt auch den Vögeln
Blieb der ehliche Bund. Die Vermähleten werden Erzeuger;
Und in der winternden Zeit durch sieben geruhige Tage
Brütet Halcyone still im schwebenden Nest auf den Wassern.
Dann ist sicher die Fahrt; dann hemmt die Winde vom Ausgang
Äolus, schützend die Flut, und schafft Meerstille den Enkeln.
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