XII.1. Babylon, Assyrien, Chaldäa
In der weiten Nomadenstrecke des vorderen Asiens mußten die fruchtbaren und anmutigen Ufer des Euphrat und Tigris gar bald eine Menge weidender Horden zu sich locken und, da sie zwischen Bergen und Wüsteneien wie ein Paradies in die Mitte gelagert sind, solche auch gern an sich behalten. Zwar hat jetzt diese Gegend viel von ihrer Anmut verloren, da sie fast von aller Kultur entblößt und seit Jahrhunderten dem Raube streifender Horden ausgesetzt gewesen; einzelne Striche indessen bestätigen noch das allgemeine Zeugnis der alten Schriftsteller, die sich im Lobe an ihr erschöpfen.196 Hier war also das Vaterland der ersten Monarchien unserer Weltgeschichte und zugleich eine frühe Werkstätte nützlicher Künste.
Bei dem ziehenden Nomadenleben nämlich war nichts natürlicher, als daß es einem ehrgeizigen Scheik in den Sinn kam, die schönen Ufer des Euphrats sich zuzueignen und zu Behauptung derselben mehrere Horden an sich zu fesseln. Die ebräische Nachricht nennt diesen Scheik Nimrod, der durch die Städte Babel, Edessa, Nesibin und Ktesiphon sein Reich gegründet habe; und in der Nähe setzt sie ihm ein anderes, das assyrische Reich durch die Städte Resan, Ninive, Adiabene und Kalach entgegen. Die Lage dieser Reiche nebst ihrer Natur und Entstehung knüpft den ganzen Faden des Schicksals, der sich nachher bis zu ihrem Untergange entwickelt hat; denn da beide, von verschiednen Volksstämmen gegründet, sich einander zu nahe lagen, was konnte nach dem streifenden Hordengeist dieser Weltgegend anders folgen, als daß sie einander anfeindeten, mehrmals unter eine Oberherrschaft gerieten und durch den Zudrang nördlicher Bergvölker sich so und anders zerteilten? Dies ist die kurze Geschichte der Reiche am Euphrat und Tigris, die in so alten Zeiten und bei verstümmelten Nachrichten aus dem Munde mehrerer Völker freilich nicht ohne Verwirrung sein konnte. Worin indes Annalen und Märchen einig sind, ist der Ursprung, der Geist und die Verfassung dieser Reiche. Aus kleinen Anfängen nomadischer Völker waren sie entstanden, der Charakter erobernder Horden blieb ihnen auch immer eigen. Selbst der Despotismus, der in ihnen aufkam, und die mancherlei Kunstweisheit, die insonderheit Babylon berühmt gemacht hat, sind völlig im Geist des Erdstrichs und des Nationalcharakters seiner Bewohner.
Denn was waren jene ersten Städte, die diese fabelhaften Weltmonarchen gründeten? Große, gesicherte Horden, das feste Lager eines Stammes, der diese fruchtbaren Gegenden genoß und auf die Plünderung anderer auszog. Daher der ungeheure Umfang Babylons so bald nach seiner Anlage dies- und jenseit des Stromes; daher seine Ungeheuern Mauern und Türme. Die Mauern waren hohe, dicke Wälle aus gebrannter Erde, die ein weitläuftiges Heerlager der Nomaden beschützen sollten; die Türme waren Wachttürme; die ganze Stadt, mit Gärten vermischt, war nach Aristoteles' Ausdruck ein Peloponnesus. Reichlich verlieh diese Gegend den Stoff zu solcher Nomadenbauart, den Ton nämlich, den man zu Ziegelsteinen gebrauchen, und das Erdpech, womit man jene verkitten lernte. Die Natur erleichterte also den Menschen ihre Arbeit, und da nach Nomadenart die Anlagen einmal gemacht waren, so konnten nach ebendieser Art sie leicht auch bereichert und verschönt werden, wenn nämlich die Horde auszog und raubte.
Und was sind jene gerühmten Eroberungen eines Ninus, einer Semiramis u. f. anders als Streitereien, wie solche die Araber, Kurden und Turkumannen noch jetzt treiben? Selbst ihrer Stammesart nach waren die Assyrer streifende Bergvölker, die durch keinen andern Charakter auf die Nachwelt gekommen sind, als daß sie erobert und geplündert haben. Von den frühesten Zeiten an werden insonderheit Araber im Dienst dieser Welteroberer genannt, und man kennt die ewige Lebensart dieses Volkes, die so lange dauren wird, als die arabische Wüste dauert. Späterhin treten Chaldäer auf den Schauplatz, ihrer Stammart und ihren ersten Wohnsitzen nach räuberische Kurden.197 Sie haben sich in der Weltgeschichte durch nichts als Verwüstungen ausgezeichnet; denn der Name, der ihnen von Wissenschaften zukam, ist wahrscheinlich nur ein mit dem Königreich Babylonien erbeuteter Ehrenname. Die schöne Gegend also, die diese Ströme umgrenzt, kann man in den ältesten und neuern Zeiten für einen Sammelplatz ziehender Nomaden oder raubender Völker ansehen, die an die hier befestigten Orte ihre Beute zusammentrugen, bis sie dem wohllüstigen warmen Himmelsstrich selbst unterlagen und, in Üppigkeit ermattet, andern zum Raube wurden.
Auch die gerühmten Kunstwerke einer Semiramis, ja noch eines Nebukadnezars sagen schwerlich etwas anders. Nach Ägypten hinab gingen die frühesten Züge der Assyrer; mithin wurden die Kunstwerke dieser friedlichen, gesitteten Nation wahrscheinlich das erste Vorbild der Verschönerungen Babels. Die gerühmten kolossischen Bildsäulen Belus', die Bildnisse auf den ziegelsteinernen Mauern der großen Stadt scheinen völlig nach ägyptischer Art, und daß die fabelhafte Königin zum Berge Bagisthan hinzog, um seinem Rücken ihr Bildnis aufzuprägen, war gewiß eine ägyptische Nachahmung. Sie wurde nämlich zu diesem Zuge gezwungen, da das südliche Land ihr keine Granitfelsen zu ewigen Denkmalen, wie Ägypten, darbot. Auch was Nebukadnezar hervorbrachte, waren nichts als Kolossen, Ziegelpaläste und hangende Gärten. Man suchte dem Umfange nach zu übertreffen, was man dem Stoff und der Kunst nach nicht haben konnte, und gab dem schwachem Denkmal wenigstens durch angenehme Gärten einen babylonischen Charakter. Ich bedaure daher den Untergang dieser ungeheuren Tonmassen so gar sehr nicht, denn hohe Werke der Kunst sind sie wahrscheinlich nicht gewesen; was ich wünschte, wäre, daß man in ihren Schutthaufen nach Tafeln chaldäischer Schrift suchte, die sich nach den Zeugnissen mehrerer Reisenden auch gewiß darin finden würden.198
Nicht eigentlich ägyptische, sondern Nomadenund späterhin Handelskünste sind das Eigentum dieser Gegend gewesen, wie es auch ihre Naturlage wollte. Der Euphrat überschwemmte und mußte daher in Kanälen abgeleitet werden, damit ein größerer Strich Landes von ihm Fruchtbarkeit erhielte; daher die Erfindungen der Räder und Pumpwerke, wenn diese nicht auch von den Ägyptern gelernt waren. Die Gegend in einiger Entfernung dieser Ströme, die einst bewohnt und fruchtbar war, darbt jetzt, weil ihr der Fleiß arbeitender Hände fehlt. Von der Viehzucht war hier zum Ackerbau ein leichter Schritt, da die Natur selbst den stetigen Bewohner dazu einlud. Die schönen Garten- und Feldfrüchte dieser Ufer, die mit freiwilliger, ungeheurer Kraft aus der Erde hervorschießen und die geringe Mühe ihrer Pflege reichlich belohnen, machten, fast ohne daß er's wußte, den Hirten zum Ackermann und zum Gärtner. Ein Wald von schönen Dattelbäumen gab ihm statt der unsichern Zelte Stämme zu seiner Wohnung und Früchte zur Speise; die leichtgebrannte Tonerde half diesem Bau auf, so daß sich der Zeltbewohner unvermerkt in einer bessern, obgleich leimernen Wohnung sähe.