XIV.4. Roms Verfall

 

Das Gesetz der Wiedervergeltung ist eine ewige Naturordnung. Wie bei einer Waage keine Schale niedergedrückt werden kann, ohne daß die andere höher steige, so wird auch kein politisches Gleichgewicht gehoben, kein Frevel gegen die Rechte der Völker und der gesamten Menschheit verübt, ohne daß sich derselbe räche und das gehäufte Übermaß selbst sich einen desto schrecklichem Sturz bewirke. Wenn eine Geschichte uns diese Naturwahrheit zeigt, so ist's die römische Geschichte; man erweitere aber seinen Blick und feßle ihn nicht auf eine einzelne Ursache des römischen Verderbens. Hätten die Römer auch Asien und Griechenland nie gesehen und gegen andere, ärmere Länder nach ihrer Weise verfahren, ohne Zweifel wäre ihr Sturz zu anderer Zeit, unter andern Umständen, dennoch aber unvermeidlich gewesen. Der Keim der Verwesung lag im Innern des Gewächses; der Wurm nagte an seiner Wurzel, an seinem Herzen, und so mußte auch der riesenhafte Baum endlich sinken.

1. Im Innern der Verfassung Roms lag ein Zwiespalt, der, wenn er nicht gehoben wurde, den Untergang desselben früher oder später bewirken mußte: es war die Einrichtung des Staats selbst, die unbilligen oder unsichern Grenzen zwischen dem Rat, der Ritterschaft und den Bürgern. Unmöglich hatte Romulus alle künftigen Fälle seiner Stadt voraussehen können, als er diese Einteilung machte; er schuf sie nach seinen Umständen und nach seinem Bedürfnis; da dies sich änderte, fand schon er den Tod durch die, denen sein Ansehen zu lästig wurde. Keiner von seinen Nachfolgern hatte Herz oder Bedürfnis, das zu tun, was Romulus nicht getan hatte; sie überwogen die Gegenpartei mit ihrer Person und lenkten in einem mit Gefahren umgebnen, rohen Staat beide Teile. Servius musterte das Volk und gab das meiste Gewicht den Reichsten in die Hände. Unter den ersten Konsuls drängten die Gefahren zu sehr; es leuchteten auch zu große, starke, verdiente Männer unter den Patriziern hervor, als daß das rohere Volk nicht hätte folgen müssen. Bald aber änderten sich die Umstände, und der Druck der Edlen wurde unerträglich. Die Schuldenlast ging den Bürgern über ihr Haupt; sie nahmen zuwenig an der Gesetzgebung, zuwenig am Siege teil, den sie doch selbst erfechten mußten, und so entwich das Volk auf den heiligen Berg, so entstanden Streitigkeiten, die die Ernennung der Tribunen nicht heben, sondern nur vervielfältigen konnte, die sich also auch durch die ganze Geschichte Roms fortweben. Daher der lange, so oft verjüngte Streit über Austeilung der Acker, über Teilnehmung des Volks an obrigkeitlichen, konsularischen, gottesdienstlichen Würden, bei weichen Streitigkeiten jede Partei für ihr Eignes stritt und niemand das Ganze unparteiisch einrichten mochte. Bis unter die Triumvirate hat dieser Zwist gedauert; ja die Triumvirate selbst waren nur dessen Folgen. Da diese nun der ganzen römischen Verfassung ein Ende machten und jener Zwist beinahe so alt wie die Republik war, so sieht man, daß es keine äußere, sondern eine innere Ursache war, die vom Anfange an am Keim des Staats nagte. Sonderbar scheint es daher, wenn man die römische Staatsverfassung als die vollkommenste schildert, sie, die eine der unvollkommensten auf der Welt, aus rohen Zeitumständen entstanden, nachher nie mit einem Blick aufs Ganze verbessert, sondern immer nur parteiisch so und anders geformt war. Der einzige Cäsar hätte sie ganz bessern mögen; es war aber zu spät, und die Dolchstiche, die ihn töteten, kamen jedem Entwurf einer bessern Einrichtung zuvor.

 2. Es liegt ein Widerspruch in dem Grundsatz: Rom, die Königin der Nationen, Rom, die Beherrscherin der Welt; denn Rom war nur eine Stadt, und ihre Einrichtung eine Stadteinrichtung. Zwar trug es allerdings zur hartnäckigen Bekriegung der Völker, mithin zu seinen langen Siegen bei, daß Roms Kriegsentschlüsse die Entschlüsse eines unsterblichen Senats, nicht eines sterblichen Monarchen waren, weil sich der Geist seiner weltverderblichen Maximen in einem Kollegium notwendig mehr als in einer wandelbaren Reihe von Beherrschern erhalten mußte. Ja, da Senat und Volk fast immer in Spannung gegeneinander standen und jener bald dem unruhigen Haufen, bald einem unruhigen Kopf Kriege schaffen und auswärts zu tun geben mußte, damit inwendig die Ruhe gesichert bliebe, so trug auch diese daurende Spannung allerdings zur fortgesetzten Weltstörung viel bei. Endlich, da der Senat selbst zu seiner Aufrechthaltung oft nicht nur Siege oder Siegsgerüchte, sondern selbst harte drohende Gefahren nötig hatte und jeder kühne Patrizier, der durchs Volk wirken wollte, Geschenke, Spiele, Namen, Triumphe bedurfte, welches alles ihm allein oder vorzüglich der Krieg gewähren konnte: freilich, so gehörte diese vielgeteilte, unruhige Stadtregierung dazu, die Welt in Unruhe zu setzen und sie Jahrhunderte darin zu erhalten; denn kein geordneter, mit sich selbst friedlicher Staat hätte um seiner eignen Glückseligkeit willen der Erde dies schreckliche Schauspiel gegeben. Ein anderes ist's aber, Eroberungen machen und sie erhalten, Siege erfechten und sie zum Nutzen des Staats gebrauchen. Das letzte hat Rom seiner innern Einrichtung wegen nie gekonnt, und auch das erste vermochte es nur durch Mittel, die der Verfassung einer Stadt völlig entgegen waren. Schon die ersten Könige, die auf Eroberungen ausgingen, waren genötigt, einige überwundene Städte und Völker in die Mauern Roms zu nehmen, damit der schwache Raum Wurzel und Stamm erhielt, der so ungeheure Aste treiben wollte; die Zahl der Einwohner Roms wuchs also schrecklich. Nachher schloß die Stadt Bündnisse, und die Bundsverwandten zogen mit ihr zu Felde; sie nahmen also an ihren Siegen und Eroberungen teil und waren Römer, wenn sie gleich noch nicht römische Bürger oder Einwohner der Stadt waren. Bald also entglommen jene heftige Streitigkeiten, daß auch den Bundsgenossen das Bürgerrecht Roms zukomme: eine unvermeidliche Federung, die in der Natur der Sache selbst lag. Aus ihr entstand der erste bürgerliche Krieg, der Italien dreihunderttausend seiner Jünglinge kostete und Rom, das sogar seine Freigelassenen bewaffnen mußte, an die Grenzen des Unterganges brachte; denn es war ein Krieg zwischen Haupt und Gliedern, der nicht anders als damit endigen konnte, daß künftig auch die Glieder zu diesem unförmlichen Haupt gehören sollten. Nun war ganz Italien Rom, und es verbreitete sich, zur großen Verwirrung der Welt, immer weiter. Ich will nicht daran denken, was diese Romanisierung für gerichtliche Unordnung in alle Städte Italiens brachte, und nur das Übel bemerken, das fortan aus allen Gegenden und Enden in Rom selbst zusammenfloß. Wenn vorher schon alles nach dieser Stadt drängte und die Tafeln des Zensus so wenig rein gehalten werden konnten, daß es sogar einen Konsul gab, der kein römischer Bürger war: wie denn jetzt, da das Haupt der Welt ein Gedränge aus ganz Italien, mithin das ungeheuerste Haupt war, das je die Erde getragen. Gleich nach des Sulla Tode waren die Herren der Erde vierhundertfunfzigtausend Mann stark; bei der Aufnahme der Bundesgenossen stieg ihre Zahl ungleich höher, und zu Cäsars Zeiten fanden sich dreihundertzwanzigtausend, die bei öffentlichen Austeilungen Korn begehrten. Man denke sich diesen ungestümen und einem großen Teil nach müßigen Hauten bei Stimmversammlungen, in Begleitung seiner Patrone und derer, die sich um Ehrenämter bewarben, so wird man begreifen, wie durch Geschenke, Spiele, Prachtaufzüge, Schmeicheleien, am meisten endlich durch Soldatengewalt, die Meutereien in Rom gestiftet, die Blutbäder angerichtet, die Triumvirate gegründet werden konnten, die jene stolze Beherrscherin der Welt endlich zur Sklavin ihrer selbst machten. Wo war nun das Ansehen des Senats, einer Zahl von vier- bis sechshundert Personen, gegen diese zahllose Menge, die Herrenrecht verlangte und in gewaltigen Heeren bald diesem, bald jenem zu Gebot stand? Welche arme Gestalt spielte der Gott Senat, wie ihn die schmeichlerischen Griechen nannten, gegen Marius und Sulla, Pompejus und Cäsar, Antonius und Oktavius! die Kaiserwütriche noch ungerechnet. Der Vater des Vaterlandes, Cicero, erscheint in armer Gestalt, wenn ihn auch nur ein Clodius angreift; seine besten Ratschläge gelten wenig, nicht nur gegen das, was Pompejus, Cäsar, Antonius u. a. wirklich taten, sondern was selbst ein Catilina beinah zustande gebracht hätte. Nicht von den Gewürzen Asiens, nicht von der Weichlichkeit Luculls entsprang dieses Mißverhältnis, sondern von der Grundverfassung Roms, da es als eine Stadt das Haupt der Welt sein wollte.239)

 


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