XV.2. Alle zerstörenden Kräfte in der Natur müssen den erhaltenden Kräften mit der Zeitenfolge nicht nur unterliegen, sondern auch selbst zuletzt zur Ausbildung des Ganzen dienen
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Erstes Beispiel. Als einst im Unermeßlichen der Werkstoff künftiger Welten ausgebreitet schwamm, gefiel es dem Schöpfer dieser Welten, die Materie sich bilden zu lassen nach den ihnen anerschaffenen inneren Kräften. Zum Mittelpunkt des Ganzen, der Sonne, floß nieder, was nirgend eigne Bahn finden konnte oder was sie auf ihrem mächtigen Thron mit überwiegenden Kräften an sich zog. Was einen andern Mittelpunkt der Anziehung fand, ballte sich gleichartig zu ihm und ging entweder in Ellipsen um seinen großen Brennpunkt oder flog in Parabeln und Hyperbeln hinweg und kam nie wieder. So reinigte sich der Äther, so wurde aus einem schwimmenden, zusammenfließenden Chaos ein harmonisches Weltsystem, nach welchem Erden und Kometen in regelmäßigen Bahnen Äonen durch um ihre Sonne umhergehn: ewige Beweise des Naturgesetzes, daß vermittelst eingepflanzter göttlicher Kräfte aus dem Zustande der Verwirrung Ordnung werde. Solange dies einfache große Gesetz aller gegeneinander gewogenen und abgezählten Kräfte dauert, steht der Weltbau fest; denn er ist auf eine Eigenschaft und Regel der Gottheit gegründet.
Zweites Beispiel. Gleichergestalt als unsere Erde aus einer unförmlichen Masse sich zum Planeten formte, stritten und kämpften auf ihr ihre Elemente, bis jedes seine Stelle fand, so daß, nach mancher wilden Verwirrung, der harmonisch geordneten Kugel jetzt alles dienet. Land und Wasser, Feuer und Luft, Jahreszeiten und Klimate, Winde und Ströme, die Witterung und was zu ihr gehört: alles ist einem großen Gesetz ihrer Gestalt und Masse, ihres Schwunges und ihrer Sonnenentfernung unterworfen und wird nach solchem harmonisch geregelt. Jene unzählige Vulkane auf der Oberfläche unserer Erde flammen nicht mehr, die einst flammten; der Ozean siedet nicht mehr von jenen Vitriolgüssen und andern Materien, die einst den Boden unseres festen Landes bedeckten. Millionen Geschöpfe gingen unter, die untergehen mußten; was sich erhalten konnte, blieb und steht jetzt Jahrtausende her in großer harmonischer Ordnung. Wilde und zahme, fleisch- und grasfressende Tiere, Insekten, Vögel, Fische, Menschen sind gegeneinander geordnet, und unter diesen allen Mann und Weib, Geburt und Tod, Dauer und Lebensalter, Not und Freude, Bedürfnisse und Vergnügen. Und alle dies nicht etwa nach der Willkür einer täglich geänderten, unerklärlichen Fügung, sondern nach offenbaren Naturgesetzen, die im Bau der Geschöpfe, d. i. im Verhältnis aller der organischen Kräfte lagen, die sich auf unserm Planeten beseelten und erhielten. Solange das Naturgesetz dieses Baues und Verhältnisses dauert, wird auch seine Folge dauern: harmonische Ordnung nämlich zwischen dem belebten und unbelebten Teil unserer Schöpfung, die, wie das Innere der Erde zeigt, nur durch den Untergang von Millionen bewirkt werden konnte.
Wie? und im menschlichen Leben sollte nicht eben dies Gesetz walten, das, innern Naturkräften gemäß, aus dem Chaos Ordnung schafft und Regelmäßigkeit bringt in die Verwirrung der Menschen? Kein Zweifel! wir tragen dies Principium in uns, und es muß und wird seiner Art gemäß wirken. Alle Irrtümer des Menschen sind ein Nebel der Wahrheit; alle Leidenschaften seiner Brust sind wildere Triebe einer Kraft, die sich selbst noch nicht kennt, die ihrer Natur nach aber nicht anders als aufs Bessere wirkt. Auch die Stürme des Meers, oft zertrümmernd und verwüstend, sind Kinder einer harmonischen Weltordnung und müssen derselben wie die säuselnden Zephyrs dienen. Gelänge es mir, einige Bemerkungen ins Licht zu setzen, die diese erfreuliche Wahrheit uns vergewissern.
1. Wie die Stürme des Meers seltner sind als seine regelmäßigen Winde, so ist's auch im Menschengeschlecht eine gütige Naturordnung, daß weit weniger Zerstörer als Erhalter in ihm geboren werden.
Im Reich der Tiere ist es ein göttliches Gesetz, daß weniger Löwen und Tiger als Schafe und Tauben möglich und wirklich sind; in der Geschichte ist's eine ebenso gütige Ordnung, daß der Nebukadnezars und Cambyses', der Alexander und Sulla, der Attila und Dschengis-Khane eine weit geringere Anzahl ist als der sanftem Feldherren oder der stillen friedlichen Monarchen. Zu jenen gehören entweder sehr unregelmäßige Leidenschaften und Mißanlagen der Natur, durch welche sie der Erde statt freundlicher Sterne wie flammende Meteore erscheinen, oder es treten meistens sonderbare Umstände der Erziehung, seltne Gelegenheiten einer frühen Gewohnheit, endlich gar harte Bedürfnisse der feindseligen, politischen Not hinzu, um die sogenannten Geißeln Gottes gegen das Menschengeschlecht in Schwung zu bringen und darin zu erhalten. Wenn also zwar die Natur unsertwegen freilich nicht von ihrem Gange ablassen wird, unter den zahllosen Formen und Komplexionen, die sie hervorbringt, auch dann und wann Menschen von wilden Leidenschaften, Geister zum Zerstören und nicht zum Erhalten ans Licht der Welt zu senden, so steht es eben ja auch in der Gewalt der Menschen, diesen Wölfen und Tigern ihre Herde nicht anzuvertraun, sondern sie vielmehr durch Gesetze der Humanität selbst zu zähmen. Es gibt keine Auerochsen mehr in Europa, die sonst allenthalben ihr waldichtes Gebiet hatten; auch die Menge der afrikanischen Ungeheuer, die Rom zu seinen Kampfspielen brauchte, wurde ihm zuletzt schwer zu erjagen. Je mehr die Kultur der Länder zunimmt, desto enger wird die Wüste, desto seltner ihre wilden Bewohner.
Gleichergestalt hat auch in unserm Geschlecht die zunehmende Kultur der Menschen schon diese natürliche Wirkung, daß sie mit der tierischen Stärke des Körpers auch die Anlage zu wilden Leidenschaften schwächt und ein zarteres menschliches Gewächs bildet. Nun sind bei diesem allerdings auch Unregelmäßigkeiten möglich, die oft um so verderblicher wüten, weil sie sich auf eine kindische Schwäche gründen, wie die Beispiele so vieler morgenländischen und römischen Despoten zeigen; allein da ein verwöhntes Kind immer doch eher zu bändigen ist als ein blutdürstiger Tiger, so hat uns die Natur mit ihrer mildernden Ordnung zugleich den Weg gezeigt, wie auch wir durch wachsenden Fleiß das Regellose regeln, das Unersättlich-Wilde zähmen sollen und zähmen dürfen. Gibt es keine Gegenden voll Drachen mehr, gegen welche jene Riesen der Vorzeit ausziehen müßten, gegen Menschen selbst haben wir keine zerstörenden Herkuleskräfte nötig. Helden von dieser Sinnesart mögen auf dem Kaukasus oder in Afrika ihr blutiges Spiel treiben und den Minotaurus suchen, den sie erlegen; die Gesellschaft, in welcher sie leben, hat das ungezweifelte Recht, alle flammenspeiende Stiere Geryons selbst zu bekämpfen. Sie leidet, wenn sie sich ihnen gutwillig zum Raube hingibt, durch ihre eigne Schuld, wie es die eigne Schuld der Völker war, daß sie sich gegen das verwüstende Rom nicht mit aller Macht einer gemeinschaftlichen Verbindung zur Freiheit der Welt verknüpften.
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