XV.2. Alle zerstörenden Kräfte in der Natur müssen den erhaltenden Kräften mit der Zeitenfolge nicht nur unterliegen, sondern auch selbst zuletzt zur Ausbildung des Ganzen dienen

 

 2. Der Verfolg der Geschichte zeigt, daß mit dem Wachstum wahrer Humanität auch der zerstörenden Dämonen des Menschengeschlechts wirklich weniger geworden sei, und zwar nach innern Naturgesetzen einer sich aufklärenden Vernunft und Staatskunst.

 Je mehr die Vernunft unter den Menschen zunimmt, desto mehr muß man's von Jugend auf einsehen lernen, daß es eine schönere Größe gibt als die menschenfeindliche Tyrannengröße, daß es besser und selbst schwerer sei, ein Land zu bauen, als es zu verwüsten, Städte einzurichten, als solche zu zerstören. Die fleißigen Ägypter, die sinnreichen Griechen, die handelnden Phönicier haben in der Geschichte nicht nur eine schönere Gestalt, sondern sie genossen auch während ihres Daseins ein viel angenehmeres und nützlicheres Leben als die zerstörenden Perser, die erobernden Römer, die geizigen Karthaginenser. Das Andenken jener blüht noch in Ruhm, und ihre Wirkung auf Erden ist mit wachsender Kraft unsterblich; dagegen die Verwüster mit ihrer dämonischen Übermacht nichts anders erreichten, als daß sie auf dem Schutthaufen ihrer Beute ein üppiges, elendes Volk wurden und zuletzt selbst den Giftbecher einer ärgern. Vergeltung tranken. Dies war der Fall der Assyrer, Babylonier, Perser, Römer; selbst den Griechen hat ihre innere Uneinigkeit sowie in manchen Provinzen und Städten ihre Üppigkeit mehr als das Schwert der Feinde geschadet. Da nun diese Grundsätze eine Naturordnung sind, die sich nicht etwa nur durch einige Fälle der Geschichte als durch zufällige Exempel beweist, sondern die auf sich selbst, d. i. auf der Natur der Unterdrückung und einer überstrengten Macht oder auf den Folgen des Sieges, der Üppigkeit und dem Hochmut wie auf Gesetzen eines gestörten Gleichgewichts ruht und mit dem Lauf der Dinge ihren gleichewigen Gang hält: warum sollte man zweifeln müssen, daß diese Naturgesetze nicht auch wie jede andere erkannt und, je kräftiger sie eingesehen werden, mit der unfehlbaren Gewalt einer Naturwahrheit wirken sollten? Was sich zur mathematischen Gewißheit und auf einen politischen Kalkül bringen läßt, muß später oder früher als Wahrheit erkannt werden; denn an Euklides Sätzen oder am Einmaleins hat noch niemand gezweifelt.

 Selbst unsere kurze Geschichte beweist es daher schon klar, daß mit der wachsenden wahren Aufklärung der Völker die menschenfeindlichen, sinnlosen Zerstörungen derselben sich glücklich vermindert haben. Seit Roms Untergange ist in Europa kein kultiviertes Reich mehr entstanden, das seine ganze Einrichtung auf Kriege und Eroberungen gebaut hätte; denn die verheerenden Nationen der mittleren Zeiten waren rohe, wilde Völker. Je mehr aber auch sie Kultur empfingen und ihr Eigentum liebgewinnen lernten, desto mehr drang sich ihnen unvermerkt, ja oft wider ihren Willen, der schönere, ruhige Geist des Kunstfleißes, des Ackerbaues, des Handels und der Wissenschaft auf. Man lernte nutzen, ohne zu vernichten, weil das Vernichtete sich nicht mehr nutzen läßt, und so wurde mit der Zeit, gleichsam durch die Natur der Sache selbst, ein friedliches Gleichgewicht zwischen den Völkern, weil nach Jahrhunderten wilder Befehdung es endlich alle einsehen lernten, daß der Zweck, den jeder wünschte, sich nicht anders erreichen ließe, als daß sie gemeinschaftlich dazu beitrügen. Selbst der Gegenstand des scheinbar größesten Eigennutzes, der Handel, hat keinen andern als diesen Weg nehmen mögen, weil er Ordnung der Natur ist, gegen welche alle Leidenschaften und Vorurteile am Ende nichts vermögen. Jede handelnde Nation Europas beklagt es jetzt und wird es künftig noch mehr beklagen, was sie einst des Aberglaubens oder des Neides wegen sinnlos zerstörte. Je mehr die Vernunft zunimmt, desto mehr muß die erobernde eine handelnde Schiffahrt werden, die auf gegenseitiger Gerechtigkeit und Schonung, auf einen fortgehenden Wetteifer in übertreffendem Kunstfleiße, kurz, auf Humanität und ihren ewigen Gesetzen ruht.

 Inniges Vergnügen fühlt unsere Seele, wenn sie den Balsam, der in den Naturgesetzen der Menschheit liegt, nicht nur empfindet, sondern ihn auch kraft seiner Natur sich unter den Menschen wider ihren Willen ausbreiten und Raum schaffen sieht. Das Vermögen zu fehlen konnte ihnen die Gottheit selbst nicht nehmen; sie legte es aber in die Natur des menschlichen Fehlers, daß er früher oder später sich als solchen zeigen und dem rechnenden Geschöpf offenbar werden mußte. Kein kluger Regent Europas verwaltet seine Provinzen mehr, wie der Perserkönig, ja wie selbst die Römer solche verwalteten; wenn nicht aus Menschenliebe, so aus besserer Einsicht der Sache, da mit den Jahrhunderten sich der politische Kalkül gewisser, leichter, klarer gemacht hat. Nur ein Unsinniger würde zu unserer Zeit ägyptische Pyramiden bauen, und jeder, der ähnliche Nutzlosigkeiten aufführt, wird von aller vernünftigen Welt für sinnlos gehalten, wenn nicht aus Völkerliebe, so aus sparender Berechnung. Blutige Fechterspiele, grausame Tierkämpfe dulden wir nicht mehr; alle diese wilden Jugendübungen ist das Menschengeschlecht durchgangen und hat endlich einsehen gelernt, daß ihre tolle Lust der Mühe nicht wert sei. Gleichergestalt bedürfen wir des Drucks armer Römersklaven oder spartanischer Heloten nicht mehr, da unsere Verfassung durch freie Geschöpfe das leichter zu erreichen weiß, was jene alten Verfassungen durch menschliche Tiere gefährlicher und selbst kostbarer erreichten; ja es muß eine Zeit kommen, da wir auf unsern unmenschlichen Negerhandel ebenso bedaurend zurücksehen werden als auf die alten Römersklaven oder auf die spartanischen Heloten, wenn nicht aus Menschenliebe, so aus Berechnung. Kurz, wir haben die Gottheit zu preisen, daß sie uns bei unserer fehlbaren schwachen Natur Vernunft gab, einen ewigen Lichtstrahl aus ihrer Sonne, dessen Wesen es ist, die Nacht zu vertreiben und die Gestalten der Dinge, wie sie sind, zu zeigen.

 


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