XIV.5. Charakter, Wissenschaften und Künste der Römer

 

 Nach dem, was bisher gesagt worden, fodert es auch die Pflicht, jene edlen Seelen zu nennen und zu rühmen, die in dem harten Stande, auf welchen sie das Schicksal gestellt hatte, sich dem, was sie Vaterland nannten, mit Mut aufopferten und in ihrem kurzen Leben Dinge bewirkten, die fast ans höchste Ziel menschlicher Kräfte reichen. Ich sollte dem Gange der Geschichte zufolge einen Junius Brutus und Poplicola, Mucius Scävola und Coriolan, eine Valeria und Veturia, die dreihundert Fabier und Cincinnatus, Camillus und Decius, Fabricius und Regulus, Marcellus und Fabius, die Scipionen und Catonen, Cornelia und ihre unglücklichen Söhne, ja wenn es auf Kriegestaten allein ankommt, auch Marius und Sulla, Pompejus und Cäsar, und wenn gute Absichten und Bemühungen Lob verdienen, den Markus Brutus, Cicero, Agrippa, Drusus, Germanikus nach ihrem Verdienst nennen und rühmen. Auch unter den Kaisern sollte ich die Freude des Menschengeschlechts, Titus, den gerechten und guten Nerva, den glücklichen Trajan, den unermüdeten Hadrian, die guten Antoninen, den unverdrossenen Severus, den männlichen Aurelian u. f., starke Pfeiler eines sinkenden Baues, loben. Da aber diese Männer mehr als selbst die Griechen jedermann bekannt sind, so sei es mir vergönnt, vom Charakter der Römer in ihren besten Zeiten bloß allgemein zu reden und auch diesen Charakter lediglich als Folge ihrer Zeitumstände zu betrachten.

 Wenn Unparteilichkeit und fester Entschluß, wenn unermüdete Tätigkeit in Worten und Werken und ein gesetzter rascher Gang zum Ziel des Sieges oder der Ehre, wenn jener kalte, kühne Mut, der durch Gefahren nicht geschreckt, durch Unglück nicht gebeugt, durchs Glück nicht übermütig wird, einen Namen haben soll, so müßte er den Namen eines römischen Mutes haben. Mehrere Glieder dieses Staats, selbst aus niederm Stande, haben ihn so glänzend erwiesen, daß wir, zumal in der Jugend, da uns die Römer meistens nur von ihrer edlen Seite erscheinen, dergleichen Gestalten der Alten Welt als hingewichene, große Schatten verehren. Wie Riesen schreiten ihre Feldherren von einem Weltteil zum andern und tragen das Schicksal der Völker in ihrer festen leichten Hand. Ihr Fuß stößt Thronen vorübergehend um; eins ihrer Worte bestimmt das Leben oder den Tod von Myriaden. Gefährliche Höhe, auf welcher sie standen! Zu kostbares Spiel mit Kronen und Millionen an Menschen und Golde! Und auf dieser Höhe gehen sie einfach wie Römer einher, verachtend den Pomp königlicher Barbaren; der Helm ihre Krone, ihre Zierde der Brustharnisch.

 Und wenn ich sie auf diesem Gipfel der Macht und des Reichtums in ihrer männlichen Beredsamkeit höre, in ihren häuslichen oder patriotischen Tugenden unermüdet-wirksam sehe, wenn im Gewühl der Schlachten oder im Getümmel des Marktes die Stirn Cäsars immer heiter bleibt und auch gegen Feinde seine Brust mit verschonender Großmut schläget: große Seele, bei allen deinen leichtsinnigen Lastern, wenn du nicht wert wärest, Monarch der Römer zu werden, so war es niemand. Doch Cäsar war mehr als dies: er war Cäsar. Der höchste Thron der Erde schmückte sich mit seinem persönlichen Namen; o hätte er sich auch mit seiner Seele schmücken können, daß Jahrtausende hin ihn der gütige, muntre, umfassende Geist Cäsars hätte beleben mögen!

 Aber gegen ihm über steht sein Freund Brutus mit gezücktem Dolch. Guter Brutus, bei Sarden und Philippen erschien dir dein böser Genius nicht zuerst; er war dir längst vorher unter dem Bilde des Vaterlandes erschienen, dem du mit einer weichem Seele, als deines rohen Vorfahren war, die heiligem Rechte der Menschheit und Freundschaft aufopfertest. Du konntest deine erzwungene Tat nicht nutzen, da dir Cäsars Geist und Sullas Pöbelwut fehlte, und wurdest also genötigt, das Rom, das kein Rom mehr war, den wilden Ratschlägen eines Antonius und Oktavius zu überlassen, von denen jener alle römische Pracht einer ägyptischen Buhlerin zu Füßen legte und dieser nachher aus dem Gemach einer Livia mit scheinheiliger Ruhe die müde-gequälte Welt beherrschte. Nichts blieb dir übrig als dein eigner Stahl, eine traurige und doch notwendige Zuflucht der Unglücklichen unter einem römischen Schicksal.

 Woher entsprang dieser große Charakter der Römer? Er entsprang aus ihrer Erziehung, oft sogar aus dem Namen der Person und des Geschlechtes, aus ihren Geschäften, aus dem Zusammendrange des Rats, des Volks und aller Völker im Mittelpunkt der Weltherrschaft, ja endlich aus der glücklich- unglücklichen Notwendigkeit selbst, in der sich die Römer fanden. Daher teilte er sich auch allem mit, was an der römischen Größe teilnahm, nicht nur den edeln Geschlechtern, sondern auch dem Volk, und Männern sowohl als den Weibern. Die Tochter Scipios und Catos, die Gattin Brutus', der Gracchen Mutter und Schwester konnten ihrem Geschlecht nicht unwürdig handeln; ja oft übertrafen edle Römerinnen die Männer selbst an Klugheit und Würde. So war Terentia heldenmütiger als Cicero, Veturia edler als Coriolan, Paulina stärker als Seneka u. f. In keinem morgenländischen Harem, in keinem Gynäzeum der Griechen konnten, bei aller Anlage der Natur, weibliche Tugenden hervorsprossen wie im öffentlichen und häuslichen Leben der Römer; freilich aber auch in verdorbenen Zeiten weibliche Laster, vor denen die Menschheit schaudert. Schon nach Überwindung der Lateiner wurden hundertundsiebenzig römische Gemahlinnen eins, ihre Männer mit Gift hinzurichten, und tranken, als sie entdeckt waren, ihre bereitete Arznei wie Helden. Was unter den Kaisern die Weiber in Rom vermochten und ausübten, ist unsäglich. Der stärkste Schatte grenzt ans stärkste Licht: eine Stiefmutter Livia und die treue Antonia-Drusus, eine Plancina und Agrippina-Germanikus, eine Messalina und Oktavia stehen dicht aneinander.

 Wollen wir den Wert der Römer auch in der Wissenschaft schätzen, so müssen wir von ihrem Charakter ausgehn und keine Griechenkünste von ihnen fodern. Ihre Sprache war der äolische Dialekt, beinah mit allen Sprachen Italiens vermischt; sie hat sich aus dieser rohen Gestalt langsam hervorgearbeitet, und dennoch, trotz aller Bearbeitung, hat sie zur Leichtigkeit, Klarheit und Schönheit der griechischen Sprache nie völlig gelangen mögen. Kurz, ernst und würdig ist sie, die Sprache der Gesetzgeber und Beherrscher der Welt; in allem ein Bild vom Geiste der Römer. Da diese mit den Griechen erst spät bekannt wurden, nachdem sie durch die lateinische, etruskische und eigne Kultur lange Zeit schon ihren Charakter und Staat gebildet hatten, so lernten sie auch ihre natürliche Beredsamkeit durch die Kunst der Griechen erst spät verschönern. Wir wollen also über die ersten dramatischen und poetischen Übungen, die zu Ausbildung ihrer Sprache unstreitig viel beitrugen, wegsehn und von dem reden, was bei ihnen tiefere Wurzel faßte. Es war dieses Gesetzgebung, Beredsamkeit und Geschichte: Blüten des Verstandes, die ihre Geschäfte selbst hervortrieben und in welchen sich am meisten ihre römische Seele zeigt.

 Aber zu beklagen ist's, daß auch hier uns das Schicksal wenig gegönnt hat, indem die, deren Eroberungsgeist uns so viele Schriften anderer Völker raubte, die Arbeiten ihres eignen Geistes gleichfalls der zerstörenden Zukunft überlassen mußten. Denn ohne von ihren alten Priesterannalen und den heroischen Geschichten Ennius', Nävius' oder dem Versuch eines Fabius Pictor zu reden: wo sind die Geschichten eines Cincius, Cato, Libo, Posthumius, Piso, Cassius Hemina, Servilians, Fannius, Sempronius, Cälius Antipater, Asellio, Gellius, Lucinius u. f.? Wo ist das Leben Ämilius Skaurus', Rutilius Rufus', Lutatius Catulus', Sulla, Augustus', Agrippa, Tiberius', einer Agrippina-Germanikus, selbst eines Claudius, Trajans u. f., von ihnen selbst beschrieben? Unzählbar anderer Geschichtbücher der wichtigsten Männer des Staats in Roms wichtigsten Zeiten, eines Hortensius, Atticus, Sisenna, Lutatius, Tubero, Luccejus, Balbus, Brutus. Tiro, eines Valerius Messala, Cremutius Cordus, Domitius Corbulo, Cluvius Rufus, auch der vielen verlornen Schriften Cornelius Nepos', Sallustius', Livius', Trogus', Plinius' u. f. nicht zu gedenken. Ich setze die Namen derselben her, um einige neuere, welche sich hoch hinauf über die Römer setzen, auch nur durch diese Namen zu widerlegen; denn welche neuere Nation hat in ihren Regenten, Feldherrn und ersten Geschäftsmännern in einer so kurzen Zeit bei so wichtigen Veränderungen und eignen Taten derselben so viele und große Geschichtschreiber gehabt als diese barbarisch genannten Römer? Nach den wenigen Bruchstücken und Proben eines Cornelius, Cäsar, Livius u. f. hatte die römische Geschichte zwar nicht jene Anmut und süße Schönheit der griechischen Historie, dafür aber gewiß eine römische Würde und in Sallust, Tacitus u. a. viel philosophische und politische Klugheit. Wo große Dinge getan werden, wird auch groß gedacht und geschrieben; in der Sklaverei verstummt der Mund, wie die spätere römische Geschichte selbst zeigt. Und leider ist der größeste Teil der römischen Geschichtschreiber aus Roms freien oder halbfreien Zeiten ganz verloren. Ein unersetzlicher Verlust; denn nur einmal lebten solche Männer, nur einmal schrieben sie ihre eigne Geschichte.

 


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