XIV.5. Charakter, Wissenschaften und Künste der Römer
Der römischen Geschichte ging die Beredsamkeit als Schwester und beiden ihre Mutter, die Staats- und Kriegskunst, zur Seite; daher auch mehrere der größesten Römer in jeder dieser Wissenschaften nicht nur Kenntnisse hatten, sondern auch schrieben. Unbillig ist der Tadel, den man den griechischen und römischen Geschichtschreibern darüber macht, daß sie ihren Begebenheiten so oft Staats- und Kriegsreden einmischten; denn da in der Republik durch öffentliche Reden alles gelenkt wurde, hatte der Geschichtschreiber kein natürlicher Band, durch welches er Begebenheiten binden, vielseitig darstellen und pragmatisch erklären konnte, als eben diese Reden; sie waren ein weit schöneres Mittel des pragmatischen Vertrages, als wenn der spätere Tacitus und seine Brüder, von Not gezwungen, ihre eigenen Gedanken einförmig zwischenwebten. Indessen ist auch Tacitus mit seinem Reflexionsgeist oft unbillig beurteilt worden; denn in seinen Schilderungen sowohl als im gehässigen Ton derselben ist er an Geist und Herz ein Römer. Ihm war's unmöglich, Begebenheiten zu erzählen, ohne daß er die Ursachen derselben entwickle und das Verabscheuungswürdige mit schwarzen Farben male. Seine Geschichte ächzt nach Freiheit, und in ihrem dunkel-verschlossenen Ton beklagt sie den Verlust derselben weit bitterer, als sie's mit Worten tun könnte. Nur der Zeiten der Freiheit, d. i. offener Handlungen im Staat und im Kriege, erfreut sich die Beredsamkeit und Geschichte; mit jenen sind beide dahin; sie borgen im Müßiggange des Staats auch müßige Betrachtungen und Worte.
In Absicht der Beredsamkeit indessen dürfen wir den Verlust nicht minder großer Redner als Geschichtschreiber weniger beklagen: der einzige Cicero ersetzt uns viele. In seinen Schriften von der Redekunst gibt er uns wenigstens die Charaktere seiner großen. Vorgänger und Zeitgenossen; seine Reden selbst aber können uns jetzt statt Catos, Antonius', Hortensius', Cäsars u. a. dienen. Glänzend ist das Schicksal dieses Mannes, glänzender nach seinem Tode, als es im Leben war. Nicht nur die römische Beredsamkeit in Lehre und Mustern, sondern auch den größesten Teil der griechischen Philosophie hat er gerettet, da ohne seine beneidenswerten Einkleidungen die Lehren mancher Schulen uns wenig mehr als dem Namen nach bekannt wären. Seine Beredsamkeit übertrifft die Donner des Demosthenes nicht nur an Licht und philosophischer Klarheit, sondern auch an Urbanität und wahrerem Patriotismus. Er beinahe allein hat die reinere lateinische Sprache Europen wiedergegeben, ein Werkzeug, das dem menschlichen Geist bei manchen Mißbräuchen unstreitig große Vorteile gebracht hat. Ruhe also sanft, du vielgeschäftiger, vielgeplagter Mann, Vater des Vaterlandes aller lateinischen Schulen in Europa. Deine Schwachheiten hast du gnug gebüßet in deinem Leben; nach deinem Tode erfreut man sich deines gelehrten, schönen, rechtschaffenen, edeldenkenden Geistes und lernt aus deinen Schriften und Briefen dich wo nicht verehren, so doch hochschätzen und dankbar lieben.241)
Die Poesie der Römer war nur eine ausländische Blume, die in Latium zwar schön fortgeblüht und hie und da eine feinere Farbe gewonnen hat, eigentlich aber keine neuen eignen Fruchtkeime erzeugen konnte. Schon die Etrusker hatten durch ihre saliarischen und Leichengedichte, durch ihre feszenninischen, atellanischen und szenischen Spiele die roheren Krieger zur Dichtkunst vorbereitet: mit den Eroberungen Tarents und anderer großgriechischen Städte wurden auch griechische Dichter erobert, die durch die feineren Musen ihrer Muttersprache den Überwindern Griechenlandes ihre rohe Mundart gefälliger zu machen suchten. Wir kennen das Verdienst dieser ältesten römischen Dichter nur aus einigen Versen und Fragmenten, erstaunen aber über die Menge Trauer- und Lustspiele, die wir von ihnen nicht nur aus alten, sondern zum Teil auch aus den besten Zeiten genannt finden. Die Zeit hat sie vertilgt, und ich glaube, daß, gegen die Griechen gerechnet, der Verlust an ihnen nicht so groß sei, da ein Teil derselben griechische Gegenstände und wahrscheinlich auch griechische Sitten nachahmte. Das römische Volk erfreute sich an Possen und Pantomimen, an zirzensischen oder gar an blutigen Fechterspielen viel zu sehr, als daß es fürs Theater ein griechisches Ohr und eine griechische Seele haben konnte. Als eine Sklavin war die szenische Muse bei den Römern eingeführt, und sie ist bei ihnen immer auch eine Sklavin geblieben, wobei ich indes den Verlust der hundertunddreißig Stücke des Plautus und die untergegangene Schiffsladung von hundertundacht Lustspielen des Terenz sowie die Gedichte Ennius', eines Mannes von starker Seele, insonderheit seinen Scipio und seine Lehrgedichte, sehr bedaure; denn im einzigen Terenz hätten wir, nach Cäsars Ausdruck, wenigstens den halben Menander wieder. Dank also dem Cicero auch dafür, daß er uns den Lukrez, einen Dichter von römischer Seele, und dem Augustus, daß er uns den halben Homer in der Äneis seines Maro erhalten. Dank dem Cornutus, daß er von seinem edlen Schüler Persius auch einige seiner Lehrlingsstücke uns nicht mißgönnte, und auch euch ihr Mönche, sei Dank, daß ihr, um Latein zu lernen, uns den Terenz, Horaz, Boethius, vor allen andern aber euren Virgil als einen rechtgläubigen Dichter aufbewahrtet. Der einzig unbefleckte Lorbeer in Augusts Krone ist's, daß er den Wissenschaften Raum gab und die Musen liebte.