XIV.3. Eroberungen der Römer

 

Als Rom seine Heldenbahn antrat, war Italien mit einer Menge kleiner Völker bedeckt, deren jedes nach eignen Gesetzen und seinem Stammescharakter in mehrerem oder minderm Grade der Aufklärung, aber lebendig, fleißig, fruchtbar lebte. Man erstaunt über die Menge Menschen, die jeder kleine Staat, selbst in rauhen Gegenden der Berge, den Römern entgegenstellen konnte: Menschen, die sich doch alle genährt hatten und nährten. Mitnichten war die Kultur Italiens in Etrurien eingeschlossen, jedes kleine Volk, die Gallier selbst nicht ganz ausgenommen, nahm daran teil; das Land wurde gebaut; rohe Künste, der Handel und die Kriegskunst wurden nach der Weise, wie sie die Zeit gab, getrieben; auch an guten, obgleich wenigen Gesetzen, selbst an der so natürlichen Regel des Gleichgewichts mehrerer Staaten fehlte es keinem Volke. Von Stolz oder Not gedrungen und von mancherlei Umständen begünstigt, führten die Römer mit ihnen fünf Jahrhunderte hin schwere, blutige Kriege, so daß ihnen die andere Welt, die sie unterjochten, nicht so ein saurer Erwerb war als die kleinen Striche der Völker, die sie jetzt hier, jetzt dort allmählich unter sich brachten. Und was war der Erfolg dieser Mühe? Zerstörung und Verheerung. Ich rechne die Menschen nicht, die von beiden Seiten erschlagen wurden und durch deren Niederlage ganze Nationen, wie die Etrusker und Samniter, zugrunde gingen; die Aufhebung ihrer Gemeinheiten samt der Zerstörung ihrer Städte war das größere Unglück, das diesem Lande geschah, weil es bis in die fernste Nachwelt reichte. Mochten diese Völker nach Rom verpflanzt oder ihre traurige Reste ihm als Bundesgenossen zugezählt oder sie gar als Untertanen behandelt und von Kolonien beschränkt werden: nimmer kam ihnen ihre erste Kraft wieder. Einmal an das eherne Joch Roms geknüpft, mußten sie als Bundesgenossen oder Untertanen Jahrhunderte durch ihr Blut für Rom vergießen, nicht zu ihrem, sondern zu Roms Vorteil und Ruhme. Einmal an das Joch Roms geknüpft, kamen sie ohngeachtet aller Freiheiten, die man diesem und jenem Volk gewährte, zuletzt doch dahin, daß jedermann nur in Rom Glück, Ansehen, Recht, Reichtum suchte, so daß die große Stadt in wenigen Jahrhunderten das Grab Italiens wurde. Früher oder später galten Roms Gesetze allenthalben; die Sitten der Römer wurden Italiens Sitten; ihr tolles Ziel der Weltbeherrschung lockte alle diese Völker, sich zu ihm zu drängen und endlich in römischer Üppigkeit zu ersterben. Dagegen halfen zuletzt keine Weigerungen, keine Einschränkungen und Verbote; denn der Lauf der Natur, einmal von seinem Wege abgeleitet, läßt sich durch keine spätere Willkür menschlicher Gesetze ändern. So wurde Italien von Rom allmählich ausgesogen, entnervt und entvölkert, daß zuletzt rohe Barbaren nötig waren, ihm neue Menschen, neue Gesetze, Sitten und Mut wiederzugeben. Aber was hin war, kam damit nicht wieder: Alba und Kameria, das reiche Veji und die meisten etrurischen, lateinischen, samnitischen, apulischen Städte waren nicht mehr; auch durch dünnere Kolonien, auf ihrer Asche gepflanzt, hat keine derselben ihr altes Ansehn, ihre zahlreiche Bevölkerung, ihren künstlerischen Fleiß, ihre Gesetze und Sitten je wieder erhalten. So war's mit allen blühenden Republiken Großgriechenlandes: Tarent und Kroton, Sybaris und Kumä, Lokri und Thurium, Rhegium und Messana, Syrakusä, Katana, Naxus, Megara sind nicht mehr, und manche derselben erlagen in hartem Unglück. Mitten unter deinen Zirkeln wurdest du erschlagen, du weiser großer Archimedes, und es war kein Wunder, daß späterhin deine Landsleute dein Grab nicht wußten; dein Vaterland selbst war mit dir begraben; denn daß die Stadt verschont wurde, half dem Vaterlande nicht auf. Unglaublich ist der Nachteil, den Roms Beherrschung an dieser Ecke der Welt den Wissenschaften und Künsten, der Kultur des Landes und der Menschen zufügte.

Durch Kriege und Statthalter ging das schöne Sizilien, das schöne Unteritalien durch so manche Verheerungen, am meisten durch seine Nachbarschaft mit Rom zugrunde, da beide Länder zuletzt nur die ausgeteilten Landgüter und Wollustsitze der Römer, mithin die nächsten Gegenstände ihrer Erpressungen waren. Ein gleiches war schon zu des älteren Gracchus Zeiten das einst so blühende etruskische Land geworden: eine fruchtbare Einöde, von Sklaven bewohnt, von Römern ausgesogen. Und welcher schönen Gegend der Welt ist's anders ergangen, sobald römische Hände zu ihr reichten?

 Als Rom Italien unterjocht hatte, fingen seine Händel mit Karthago an; und mich dünkt, auf eine Weise, der sich auch der entschlossenste Römerfreund schämt. Die Art, wie sie, um in Sizilien Fuß zu gewinnen, den Mamertinern beistanden, die Art, wie sie Sardinien und Korsika wegnahmen, als eben Karthago von seinen Mietvölkern bedrängt wurde, die Art endlich, wie der weise Senat ratschlagte: »ob ein Karthago auf Erden geduldet werden sollte«, nicht anders, als ob von einem Krautkopf, den man selbst gepflanzt hatte, die Rede wäre: alles dies und hundert Härten dieser Art machen bei jeder Klugheit und Tapferkeit die römische zu einer Dämonengeschichte. Sei es Scipio selbst, der einem Karthago, das den Römern kaum mehr schaden kann, das mit teurem Tribut selbst Hülfe von ihnen erfleht und ihnen auf ihr Versprechen jetzt Waffen, Schiffe, Zeughäuser und dreihundert vornehme Geiseln in die Hände liefert; sei es Scipio oder ein Gott, der ihm in solcher Lage den kalten, stolzen Antrag seiner Zerstörung als ein Senatuskonsult mitbringt: es bleibt ein schwarzer, dämonischer Antrag, dessen sich gewiß der edle Überbringer selbst schämte. »Karthago ist eingenommen«, schrieb er nach. Rom zurück, als ob er mit diesem Ausdruck seine unrühmliche Tat selbst bedecken wollte; denn nie haben doch die Römer ein solches Karthago der Welt veranlasst oder gegeben. Auch ein Feind dieses Staats, der alle Schwächen und Laster desselben kennt, sieht mit Erbitterung seinen Untergang an und ehrt die Karthager wenigstens jetzt, da sie als entwaffnete, betrogene Republikaner auf ihren Gräbern streiten und für ihre Gräber sterben. Warum war es dir versagt, du einziger, großer Hannibal, dem Ruin deines Vaterlandes zuvorzukommen und nach dem Siege bei Cannä geradezu auf die Wolfshöhle deines Erbfeindes zu eilen? Die schwächere Nachwelt, die nie über die Pyrenäen und Alpen ging, tadelt dich darüber, unaufmerksam, mit welchen Völkern du strittest und in welchem Zustande sie nach den schrecklichen Winterschlachten im obern und mittlern Italien sein mußten. Sie tadelt dich aus dem Munde deiner Feinde über den Mangel deiner Kriegszucht, da es fast unbegreiflich bleibt, wie du dein Mietsgesindel so lange zusammenhalten und ihm nach solchen Märschen und Taten nur in den Gefilden Kampaniens nicht länger widerstehen mochtest. Immer wird der Name dieses tapfern Römerfeindes mit Ruhm genannt werden, dessen Auslieferung sie mehr als einmal wie die Übergabe eines Geschützes herrschsüchtig verlangten. Nicht das Schicksal, sondern der meuterische Geiz seines Vaterlandes gönnte ihm nicht, die Siege, die er, nicht Karthago, gegen die Römer gewann, zu vollenden, und so mußte er allerdings nur ein Mittel werden, seine rohen Feinde die Kriegskunst zu lehren, wie sie von seinen Landsleuten die ganze Schiffskunst lernten. In beidem hat uns das Schicksal die fürchterliche Warnung gegeben: in seinen Entschlüssen nie auf halbem Wege stehenzubleiben, weil man sonst gewiß, was man verhindern wollte, befördert. Gnug, mit Karthago fiel ein Staat, den die Römer nie zu ersetzen vermochten. Der Handel wich aus diesen Meeren, und Seeräuber vertraten bald seine Stelle, wie sie solche noch immer vertreten. Das kornreiche Afrika war unter römischen Kolonien nicht, was es unter Karthago so lange gewesen war; es wurde eine Brotkammer des römischen Pöbels, ein Fanggarten wilder Tiere zu seiner Ergötzung und ein Magazin der Sklaven. Traurig liegen die Ufer und Ebnen des schönsten Landes noch jetzo da, denen die Römer zuerst ihre inländische Kultur raubten. Auch jeder Buchstab punischer Schriften ist uns entgangen; Ämilian schenkte sie den Enkeln des Masinissa, ein Feind Karthagos dem andern.

 


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