XV.2. Alle zerstörenden Kräfte in der Natur müssen den erhaltenden Kräften mit der Zeitenfolge nicht nur unterliegen, sondern auch selbst zuletzt zur Ausbildung des Ganzen dienen
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3. Der Fortgang der Künste und Erfindungen selbst gibt dem Menschengeschlecht wachsende Mittel in die Hand, das einzuschränken oder unschädlich zu machen, was die Natur selbst nicht auszutilgen vermochte.
Es müssen Stürme auf dem Meer sein, und die Mutter der Dinge selbst konnte sie dem Menschengeschlecht zugut nicht wegräumen; was gab sie aber ihrem Menschengeschlecht dagegen? Die Schiffskunst. Eben dieser Stürme wegen erfand der Mensch die tausendfach künstliche Gestalt seines Schiffes, und so entkommt er nicht nur dem Sturme, sondern weiß ihm auch Vorteile abzugewinnen und segelt auf seinen Flügeln.
Verschlagen auf dem Meer, konnte der Irrende keine Tyndariden anrufen, die ihm erschienen und rechten Weges ihn leiteten; er erfand sich also selbst seinen Führer, den Kompaß, und suchte am Himmel seine Tyndariden, die Sonne, den Mond und die Gestirne. Mit dieser Kunst ausgerüstet, wagt er sich auf den uferlosen Ozean, bis zu seiner höchsten Höhe, bis zu seiner tiefsten Tiefe.
Das verwüstende Element des Feuers konnte die Natur dem Menschen nicht nehmen, wenn sie ihm nicht zugleich die Menschheit selbst rauben wollte; was gab sie ihm also mittelst des Feuers? Tausendfache Künste; Künste, dies fressende Gift nicht nur unschädlich zu machen und einzuschränken, sondern es selbst zum mannigfaltigsten Vorteil zu gebrauchen.
Nicht anders ist's mit den wütenden Leidenschaften der Menschen, diesen Stürmen auf dem Meer, diesem verwüstenden Feuerelemente. Eben durch sie und an ihnen hat unser Geschlecht seine Vernunft geschärft und tausend Mittel, Regeln und Künste erfunden, sie nicht nur einzuschränken, sondern selbst zum Besten zu lenken, wie die ganze Geschichte zeigt. Ein leidenschaftloses Menschengeschlecht hätte auch seine Vernunft nie ausgebildet; es läge noch irgend in einer Troglodytenhöhle.
Der menschenfressende Krieg z.B. war jahrhundertelang ein rohes Räuberhandwerk. Lange übten sich die Menschen darin voll wilder Leidenschaften; denn solange es in ihm auf persönliche Stärke, List und Verschlagenheit ankam, konnten, bei sehr rühmlichen Eigenschaften, nicht anders als zugleich sehr gefährliche Mord- und Raubtugenden genährt werden, wie es die Kriege der alten, mittleren und selbst einiger neuen Zeiten reichlich erweisen. An diesem verderblichen Handwerk aber wurde, gleichsam wider Willen der Menschen, die Kriegskunst erfunden, denn die Erfinder sahen nicht ein, daß damit der Grund des Krieges selbst untergraben würde. Je mehr der Streit eine durchdachte Kunst wurde, je mehr insonderheit mancherlei mechanische Erfindungen zu ihm traten, desto mehr wurde die Leidenschaft einzelner Personen und ihre wilde Stärke unnütz. Als ein totes Geschütz wurden sie jetzt alle dem Gedanken eines Feldherrn, der Anordnung welliger Befehlshaber unterworfen, und zuletzt blieb es nur den Landesherren erlaubt, dies gefährliche, kostbare Spiel zu spielen, da in alten Zeiten alle kriegerische Völker beinahe stets in den Waffen waren. Proben davon sahen wir nicht nur bei mehreren asiatischen Nationen, sondern auch bei den Griechen und Römern. Viele Jahrhunderte durch waren diese fast unverrückt im Schlachtfelde: der volskische Krieg dauerte 106, der samnitische 71 Jahre; zehn Jahre wurde die Stadt Veji wie ein zweites Troja belagert, und unter den Griechen ist der 28jährige verderbliche Peloponnesische Krieg bekannt genug. Da nun bei allen Kriegen der Tod im Treffen das geringste Übel ist, hingegen die Verheerungen und Krankheiten, die ein ziehendes Heer begleiten oder die eine eingeschlossene Stadt drücken, samt der räuberischen Unordnung, die sodann in allen Gewerben und Ständen herrscht, das größere Übel sind, das ein leidenschaftlicher Krieg in tausend schrecklichen Gestalten mit sich führt, so mögen wir's den Griechen und Römern, vorzüglich aber dem Erfinder des Pulvers und den Künstlern des Geschützes danken, daß sie das wildeste Handwerk zu einer Kunst und neuerlich gar zur höchsten Ehrenkunst gekrönter Häupter gemacht haben. Seitdem Könige in eigner Person mit ebenso leidenschaft- als zahllosen Heeren dies Ehrenspiel treiben, so sind wir, bloß der Ehre des Feldherrn wegen, vor Belagerungen, die 10, oder vor Kriegen, die 71 Jahre dauren, sicher; zumal die letzten auch, der großen Heere wegen, sich selbst aufheben. Also hat nach einem unabänderlichen Gesetz der Natur das Übel selbst etwas Gutes erzeugt, indem die Kriegskunst den Krieg einem Teile nach vertilgt hat. Auch die Räubereien und Verwüstungen haben sich durch sie, nicht eben aus Menschenfreundschaft, sondern der Ehre des Feldherrn wegen, vermindert. Das Recht des Krieges und das Betragen gegen die Gefangenen ist ungleich milder worden, als es selbst bei den Griechen war; an die öffentliche Sicherheit nicht zu gedenken, die bloß in kriegerischen Staaten zuerst aufkam. Das ganze römische Reich z.B. war auf seinen Straßen sicher, solang es der gewaffnete Adler mit seinen Flügeln deckte; dagegen in Asien und Afrika, selbst in Griechenland einem Fremdlinge das Reisen gefährlich wurde, weil es diesen Ländern an einem sichernden Allgemeingeist fehlte. So verwandelt sich das Gift in Arznei, sobald es Kunst wird; einzelne Geschlechter gingen unter, das unsterbliche Ganze aber überlebt die Schmerzen der verschwindenden Teile und lernt am übel selbst Gutes.
Was von der Kriegskunst galt, muß von der Staatskunst noch mehr gelten; nur ist sie eine schwerere Kunst, weil sich in ihr das Wohl des ganzen Volks vereinet. Auch der amerikanische Wilde hat seine Staatskunst; aber wie eingeschränkt ist sie, da sie zwar einzelnen Geschlechtern Vorteil bringt, das ganze Volk aber vor dem Untergange nicht sichert. Mehrere kleine Nationen haben sich untereinander aufgerieben; andere sind so dünne geworden, daß im bösen Konflikt mit den Blattern, dem Branntwein und der Habsucht der Europäer manche derselben wahrscheinlich noch ein gleiches Schicksal erwartet. Je mehr in Asien und in Europa die Verfassung eines Staats Kunst wurde, desto fester steht er in sich, desto genauer wurde er mit andern zusammengegründet, so daß einer ohne den andern selbst nicht zu fallen vermag. So steht Sina, so steht Japan, alte Gebäude, tief unter sich selbst gegründet. Künstlicher schon waren die Verfassungen Griechenlandes, dessen vornehmste Republiken jahrhundertelang um ein politisches Gleichgewicht kämpften. Gemeinschaftliche Gefahren vereinigten sie; und wäre die Vereinigung vollkommen gewesen, so hätte das rüstige Volk dem Philippus und den Römern so glorreich widerstehen mögen, wie es einst dem Darius und Xerxes obgesiegt hatte. Nur die schlechte Staatskunst aller benachbarten Völker war Roms Vorteil; geteilt wurden sie angegriffen, geteilt überwunden. Ein gleiches Schicksal hatte Rom, da seine Staats- und Kriegskunst verfiel; ein gleiches Schicksal Judäa und Ägypten. Kein Volk kann untergehen, dessen Staat wohlbestellt ist; gesetzt, daß es auch überwunden wird, wie mit allen seinen Fehlern selbst Sina bezeugt.
Noch augenscheinlicher wird der Nutze einer durchdachten Kunst, wenn von der innern Haushaltung eines Landes, von seinem Handel, seiner Rechtspflege, seinen Wissenschaften und Gewerben die Rede ist; in allen diesen Stücken ist offenbar, daß die höhere Kunst zugleich der höhere Vorteil sei. Ein wahrer Kaufmann betrügt nicht, weil Betrug nie bereichert, sowenig als ein wahrer Gelehrter mit falscher Wissenschaft großtut oder ein Rechtsgelehrter, der den Namen verdient, wissentlich je ungerecht sein wird, weil alle diese sich damit nicht zu Meistern, sondern zu Lehrlingen ihrer Kunst bekennten. Ebenso gewiß muß eine Zeit kommen, da auch der Staatsunvernünftige sich seiner Unvernunft schämt und es nicht minder lächerlich und ungereimt wird, ein tyrannischer Despot zu sein, als es in allen Zeiten für abscheulich gehalten worden; sobald man nämlich klar wie der Tag einsieht, daß jede Staatsunvernunft mit einem falschen Einmaleins rechne und daß, wenn sie sich damit auch die größesten Summen errechnete, sie hiemit durchaus keinen Vorteil gewinne. Dazu ist nun die Geschichte geschrieben, und es werden sich im Verfolg derselben die Beweise dieses Satzes klar zeigen. Alle Fehler der Regierungen haben vorausgehen und sich gleichsam erschöpfen, müssen, damit nach allen Unordnungen der Mensch endlich lerne, daß die Wohlfahrt seines Geschlechts nicht auf Willkür, sondern auf einem ihm wesentlichen Naturgesetz, der Vernunft und Billigkeit, ruhe. Wir gehen jetzt der Entwicklung desselben entgegen, und die innere Kraft der Wahrheit möge ihrem Vortrage selbst Licht und Überzeugung geben.
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