XIV.2. Roms Einrichtungen zu einem herrschenden Staats und Kriegsgebäude

 

5. Der größeste Teil der gepriesenen Römertugend ist uns ohne die enge, harte Verfassung ihres Staats unerklärlich; jene fiel weg, sobald diese wegfiel. Die Konsuls traten in die Stelle der Könige und wurden nach den ältesten Beispielen gleichsam gedrungen, eine mehr als königliche, eine römische Seele zu beweisen; alle Obrigkeiten, insonderheit die Zensors, nahmen an diesem Geiste teil. Man erstaunt über die strenge Unparteilichkeit, über die uneigennützige Großmut, über das geschäftvolle bürgerliche Leben der alten Römer vom Anbruch des Tages an, ja noch vor Anbruch desselben, bis in die späte Dämmerung. Kein Staat der Welt hat es vielleicht in dieser ernsten Geschäftigkeit, in dieser bürgerlichen Härte so weit als Rom gebracht, in welchem sich alles nahe zusammendrängte. Der Adel ihrer Geschlechter, der sich auch durch Geschlechtsnamen glorreich auszeichnete, die immer erneute Gefahr von außen und das unaufhörlich kämpfende Gegengewicht zwischen dem Volk und den Edlen von innen; wiederum das Band zwischen beiden durch Klientelen und Patronate, das gemeinschaftliche Drängen aneinander auf Märkten, in Häusern, in politischen Tempeln, die nahen und doch genau abgeteilten Grenzen zwischen dem, was dem Rat und dem Volk gehörte, ihr enges häusliches Leben, die Erziehung der Jugend im Anblick dieser Dinge von Kindheit auf: alles trug dazu bei, das römische Volk zum stolzesten, ersten Volk der Welt zu bilden. Ihr Adel war nicht wie bei andern Völkern ein träger Landgüter- oder Namenadel; es war ein stolzer Familien-, ein Bürger- und Römergeist in den ersten Geschlechtern, auf welchen das Vaterland als auf seine stärkste Stütze rechnete: in fortgesetzter Wirksamkeit, im daurenden Zusammenhange desselben ewigen Staates erbte er von Vätern auf Kinder und Enkel hinunter. Ich bin gewiß, daß in den gefährlichsten Zeiten kein Römer einen Begriff davon gehabt habe, wie Rom untergehen könne; sie wirkten für ihre Stadt als sei ihr von den Göttern die Ewigkeit beschieden und als ob sie Werkzeuge dieser Götter zur ewigen Erhaltung derselben wären. Nur als das ungeheure Glück den Mut der Römer zum Übermut machte, da sagte schon Scipio beim Untergange Karthagos jene Verse Homers, die auch seinem Vaterlande das Schicksal Trojas weissagten.

 6. Die Art, wie die Religion mit dem Staat in Rom verwebt war trug allerdings zu seiner bürgerlich- kriegerischen Größe bei. Da sie vom Anbeginn der Stadt und in den tapfersten Zeiten der Republik in den Händen der angesehensten Familien, der Staatsund Kriegsmänner selbst war, so daß auch noch die Kaiser sich ihrer Würden nicht schämten, so bewahrte sie sich in ihren Gebräuchen vor jener wahren Pest aller Landesreligionen, der Verachtung, die der Senat auf alle Weise von ihr abzuhalten strebte. Der staatskluge Polybius schrieb also einen Teil der Römertugenden, vornehmlich ihre unbestechliche Treue und Wahrheit, der Religion zu, die er Aberglauben nannte, und wirklich sind die Römer bis in die späten Zeiten ihres Verfalls diesem Aberglauben so ergeben gewesen, daß auch einige Feldherren vom wildesten Gemüt sich die Gebärde eines Umganges mit den Göttern gaben und durch ihre Begeisterung wie durch ihren Beistand nicht nur über die Gemüter des Volkes und Heers, sondern selbst über das Glück und den Zufall Macht zu haben glaubten. Mit allen Staats- und Kriegshandlungen war Religion verbunden, also daß jene durch diese geweiht wurden; daher die edlen Geschlechter für den Besitz der Religionswürden als für ihr heiligstes Vorrecht gegen das Volk kämpften. Man schreibt dieses gemeiniglich bloß ihrer Staatsklugheit zu, weil sie durch die Auspizien und Aruspizien als durch einen künstlichen Religionsbetrug den Lauf der Begebenheiten in ihrer Hand hatten; aber wiewohl ich nicht leugne, daß diese auch also gebraucht worden, so war dies die ganze Sache nicht. Die Religion der Väter und Götter Roms war dem allgemeinen Glauben nach die Stütze ihres Glücks, das Unterpfand ihres Vorzuges vor andern Völkern und das geweihte Heiligtum ihres in der Welt einzigen Staates. Wie sie nun im Anfange keine fremde Götter aufnahmen, ob sie wohl die Götter jedes fremden Landes schonten, so sollte auch ihren Göttern der alte Dienst, durch den sie Römer geworden waren, bleiben. Hierin etwas verändern hieß die Grundsäule des Staats verrücken; daher auch in Anordnung der Religionsgebräuche der Senat und das Volk sich das Recht der Majestät vorbehielten, das alle Meutereien oder Spitzfindigkeiten eines abgetrennten Priesterstandes ausschloß. Staats- und Kriegesreligion war die Religion der Römer, die sie zwar nicht vor ungerechten Feldzügen bewahrte, diese Feldzüge aber wenigstens unter dem Schein der Gerechtigkeit durch Gebräuche der Fezialen und Auspizien dem Auge der Götter unterwarf und sich von ihrem Beistande nicht ausschloß. Gleichergestalt war es späterhin wirkliche Staatskunst der Römer, daß sie wider ihre alten Grundsätze auch fremden Göttern bei sich Platz gaben und solche zu sich lockten. Hier wankte schon ihr Staat, wie es nach so ungeheuren Eroberungen nicht anders sein konnte; aber auch jetzt schützte sie diese politische Duldung vor dem Verfolgungsgeist fremder Gottesdienste, der nur unter den Kaisern aufkam und auch von diesen nicht aus Haß oder Liebe zur spekulativen Wahrheit, sondern aus Staatsursachen hie und da geübt wurde. Im ganzen kümmerte sich Rom um keine Religion, als sofern sie den Staat anging: sie waren hierin nicht Menschen und Philosophen, sondern Bürger, Krieger und Überwinder.

7. Was soll ich von der römischen Kriegskunst sagen? die allerdings damals die vollkommenste ihrer Art war, weil sie den Soldat und Bürger, den Feldherrn und Staatsmann vereinigte und, immer wachsam, immer gelenk und neu, von jedem Feinde lernte. Der rohe Grund derselben war gleich alt mit ihrer Stadt, so daß die Bürgerschaft, die Romulus musterte, auch ihre erste Legion war; allein sie schämten sich nicht, mit der Zeit die alte Stellung ihres Heers zu ändern, den alten Phalanx beweglicher zu machen, und warfen durch diese Beweglichkeit bald selbst die geübte macedonische Schlachtordnung, das damalige Muster der Kriegskunst, über den Haufen. Statt ihrer alten lateinischen Rüstung nahmen sie von den Etruskern und Samnitern an Waffen an, was ihnen diente; sie lernten von Hannibal Ordnung der Märsche, dessen langer Aufenthalt in Italien ihnen die schwerste Kriegsübung war, die sie je gehabt haben. Jeder große Feldherr, unter welchen die Scipionen, Marius, Sulla, Pompejus, Cäsar waren, dachten über ihr lebenslanges Kriegswerk als über eine Kunst nach, und da sie solche gegen die verschiedensten, auch durch Verzweiflung, Mut und Stärke sehr tapfern Völker zu üben hatten, kamen sie notwendig in jedem Teil ihrer Wissenschaft weit. Nicht aber in den Waffen, in der Schlachtordnung und im Lager bestand der Römer ganze Stärke, sondern vielmehr in dem unerschrockenen Kriegsgeist ihrer Feldherren und in der geübten Stärke des Kriegers, der Hunger, Durst und Gefahren ertragen konnte, der seiner Waffen sich als seiner Glieder bediente und, den Anfall der Spieße aushaltend, mit dem kurzen römischen Schwert in der Hand, das Herz des Feindes mitten im Phalanx selbst suchte. Dies kurze Römerschwert, mit Römermut geführt, hat die Welt erobert. Es war römische Kriegsart, die mehr angriff als sich verteidigte, minder belagerte als schlug und immer den geradesten, kürzesten Weg ging zum Sieg und zum Ruhme. Ihr dienten jene ehernen Grundsätze der Republik, denen alle Welt weichen mußte: nie nachzulassen, bis der Feind im Staube lag, und daher immer nur mit einem Feinde zu schlagen; nie Frieden anzunehmen im Unglück, wenn auch der Friede mehr als der Sieg brächte, sondern fest zu stehen und desto trotziger zu sein gegen den glücklichen Sieger; großmütig und mit der Larve der Uneigennützigkeit anzufangen, als ob man nur Leidende zu schützen, nur Bundesverwandte zu gewinnen suchte, bis man zeitig gnug den Bundesgenossen befehlen, die Beschützten unterdrücken und über Freund und Feind als Sieger triumphieren konnte. Diese und ähnliche Maximen römischer Insolenz oder, wenn man will, felsenfester, kluger Großmut machten eine Welt von Ländern zu ihren Provinzen und werden es immer tun, wenn ähnliche Zeiten mit einem ähnlichen Volk wiederkämen. Lasst uns jetzt das blutige Feld betreten, das diese Weltüberwinder durchschritten, und zugleich sehen, was sie auf demselben zurückgelassen haben.

 


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