XIV.1. Etrusker und Lateiner

 

 Daß also die Etrusker auch in ihrem Kunststil nie völlige Griechen worden sind, erklärt sich aus der Lage und Zeit, in welcher sie blühten. Ihre Dichterfabel war bloß die ältere, schwere griechische Fabel, in welche sie dennoch bis zur Bewunderung Leben und Bewegung brachten; die Gegenstände, die sie in der Kunst ausdrückten, scheinen auf wenige gottesdienstliche oder bürgerliche Feierlichkeiten eingeschränkt gewesen zu sein, deren Schlüssel wir im einzelnen beinah ganz verloren haben, überdem kennen wir dies Volk fast nur aus Leichenbegängnissen, Särgen und Totentöpfen. Die schönste Zeit der griechischen Kunst, die durch den Sieg der Perser bewirkt wurde, erlebte die Freiheit der Etrusker nicht, und für sich selbst hatte ihnen ihre Lage dergleichen Anlässe zum höheren Aufschwunge des Geistes und Ruhms versagt. Also müssen wir sie wie eine frühgereifte Frucht betrachten, die in einer Ecke des Gartens nicht ganz zur Süßigkeit ihrer Mitschwestern, die sich des milderen Glanzes der Sonnenwärme erfreun, gelangen konnte. Das Schicksal hatte den Ufern des Arno eine spätere Zeit vorbehalten, in der sie reifere und schönere Früchte brächten.

 Vorjetzt waren die sumpfigen Ufer der Tiber zu dem Wirkungskreise bestimmt, der sich über drei Weltteile erstrecken sollte, und auch dazu schreiben sich die Anlagen lange noch vor der Entstehung Roms aus ältern Zeitumständen her. In dieser Gegend nämlich war's, wo der Sage nach Evander, ja Herkules selbst mit seinen Griechen, Äneas mit seinen Trojanern gelandet hatte; hier im Mittelpunkt Italiens war Pallantium erbaut, das Reich der Lateiner mit Alba longa errichtet; hier war also eine Niederlage früherer Kultur, so daß einige sogar ein Rom vor Rom angenommen und die neue Stadt auf Trümmern einer älteren zu finden vermeinet haben. Das letzte ist ohne Grund, da Rom wahrscheinlich eine Kolonie von Alba longa unter der Anführung zweier glücklicher Abenteurer war; denn unter andern Umständen würde man diese traurige Gegend schwerlich gewählt haben. Lasst uns indessen sehen, was eben in ihr Rom gleich von Anfange an vor und um sich hatte, um, sobald es den Brüsten der Wölfin entkam, sich zum Kampf und zum Raube zu üben.

 Lauter kleine Völker wohnten rings um dasselbe; daher es bald in den Fall kam, nicht nur seinen Unterhalt, sondern selbst seinen Platz sich zu erstreiten. Die frühen Fehden mit den Cäninensern, Crustuminern, Antemnaten, den Sabinern, Camerinern, Fidenaten, Vejentern u. f. sind bekannt; sie machten das kaum entstandene Rom, das auf der Grenze der verschiedensten Völker gebaut war, von Anfange an gleichsam zu einem stehenden Feldlager und gewöhnten den Feldherren sowohl als den Senat, die Ritter und das Volk zu Triumphaufzügen über beraubte Völker. Diese Triumphaufzüge, die Rom von den benachbarten Etruskern annahm, wurden dem länderarmen, dürftigen, aber volkreichen und kriegerischen Staat die große Lockspeise zu auswärtigen Befehdungen und Streifereien. Vergebens baute der friedliche Numa den Tempel des Janus und der Göttin Fides; vergebens stellte er Grenzgötter auf und feierte Grenzteste. Nur in seinen Lebzeiten dauerte diese friedliche Einrichtung; denn das durch die dreißigjährigen Siege seines ersten Beherrschers zum Raube gewöhnte Rom glaubte auch seinen Jupiter nicht besser ehren zu können, als wenn es ihm Beute brächte. Ein neuer Kriegsgeist folgte dem billigen Gesetzgeber, und Tullus Hostilius bekriegte schon die Mutter seiner Stadt selbst, Alba longa. Er schleifte sie und versetzte die Albaner nach Rom; so bezwangen er und seine Nachfolger die Fidenaten, Sabiner, zuletzt alle lateinische Städte und gingen auf die Etrusker. Alle das wäre von selbst unterblieben, wenn Rom an einem andern Ort gebaut oder von einem mächtigen Nachbar früh unterdrückt worden wäre. Jetzt drang es als eine lateinische Stadt sich gar bald dem Bunde der lateinischen Städte zum Oberhaupt auf und verschlang zuletzt die Lateiner; es mischte sich mit den Sabinern, bis es auch sie unterjochte; es lernte von den Etruskern, bis es sie unter sich brachte, und so nahm es Besitz von seiner dreifachen Grenze.

 Allerdings wurde zu diesen frühen Unternehmungen der Charakter solcher Könige erfodert, als Rom hatte, insonderheit der Charakter ihres ersten Königs. Dieser, den auch ohne Fabel die Milch einer Wölfin genährt hatte: offenbar war er ein mutiger, kluger, kühner Abenteurer, wie es auch seine ersten Gesetze und Einrichtungen sagen. Schon Numa milderte einige derselben, ein deutliches Kennzeichen, daß es nicht in der Zeit, sondern in der Person lag, die solche Gesetze gegeben. Denn wie roh der Heldengeist der frühem Römer überhaupt gewesen, zeigt so manche Geschichte eines Horatius Cocles, Junius Brutus, Mucius Scävola, das Betragen einer Tullia, Tarquins u. f. Glücklich war's also für diesen räuberischen Staat, daß in der Reihe seiner Könige rohe Tapferkeit sich mit politischer Klugheit, beide aber mit patriotischer Großmut mischten; glücklich, daß auf den Romulus ein Numa, auf diesen ein Tullus, Ancus, nach solchen abermals ein Tarquin und auf ihn Servius folgte, den nur persönliche Verdienste vom Stande eines Sklaven bis zum Thron hinauf führen konnten. Glücklich endlich, daß diese Könige, von so verschiednen Eigenschaften, lange regierten, daß also jeder derselben Zeit hatte, die Zugabe seines Geistes in Rom zu sichern, bis endlich ein frecher Tarquinius kam und die festgegründete Stadt sich eine andere Regierungsform wählte. Eine auserlesene, immer verjüngte Reihe von Kriegsmännern und rohen Patrioten trat jetzo auf, die auch ihre Triumphe jährlich zu verjüngen und ihren Patriotismus auf tausendfache Art zu wenden und zu stählen suchten. Wollte man einen politischen Roman erfinden, wie ein Rom etwa habe entstehen mögen, so wird man schwerlich glücklichere Umstände erdenken, als hier die Geschichte oder die Fabel uns wirklich gibt.236 Rhea Silvia und das Schicksal ihrer Söhne, der Raub der Sabinerinnen und die Vergötterung des Quirinus, jedes Abenteuer von roher Gestalt in Kriegen und Siegen, zuletzt ein Tarquin und eine Lukrezia, ein Junius Brutus, Poblicola, Mucius Scävola u. f. gehören dazu, um in der Anlage Roms selbst schon eine ganze Reihe künftiger Erfolge zu malen, über keine Geschichte ist daher leichter zu philosophieren gewesen als über die römische Geschichte, weil der politische Geist ihrer Geschichtschreiber uns im Laut der Begebenheiten und Taten die Kette der Ursachen und Wirkungen selbst vorführt.

 


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