II. [Der Besitz als Tun]
[Der Besitz als Tun. Gegenseitige Abhängigkeit zwischen Haben und Sein. Gelöstheit derselben vermittels des Geldbesitzes. Unfreiheit als Verflechtung psychischer Reihen ineinander: am geringsten bei Verflechtung je einer mit dem Allgemeinsten der anderen Reihe. Anwendung auf die Bindung durch das ökonomische Interesse. Freiheit als Ausprägung des Ich an den Dingen, als Besitz. Unbedingte und bedingte Nachgiebigkeit des Geldbesitzes gegenüber dem Ich.]
Unter den Bewegungen des Lebens, insbesondere soweit sie sich an äußere Gegenstände heften, pflegt man entweder das Erwerben, in dessen weiteren Sinn ich hier die Arbeit einbeziehe, oder das Genießen der Dinge zu verstehen. Das Besitzen ihrer erscheint dagegen nicht als Bewegung, sondern als ein ruhender, gleichsam substanzieller Zustand, zu jenen anderen sich verhaltend, wie das Sein zum Werden. Im Gegensatz dazu glaube ich, daß man auch das Besitzen als ein Tun bezeichnen muß, wenn man die ganze Tiefe und Breite seiner Bedeutung ergreifen will. Es ist eine falsche Gewöhnung, den Besitz als etwas passiv Hingenommenes zu betrachten, als das unbedingt nachgiebige Objekt, das, soweit es eben Besitz ist, keine Betätigung unsererseits mehr erfordert. Nur in das Reich des Ethischen, d.h. der frommen Wünsche, hat sich jene im Reiche des Seins verkannte Tatsache geflüchtet, wenn wir es als Ermahnung hören, daß wir erwerben sollen, was wir besitzen wollen, daß jeder Besitz zugleich Pflicht sei, daß man mit seinem Pfunde wuchern solle usw. Höchstens gibt man zu, daß man mit dem Besitze weiterhin etwas anzufangen habe, allein an und für sich sei er etwas Ruhendes, sei er der Endpunkt, vielleicht auch der Ausgangspunkt einer Aktion, aber nicht selbst Aktion. Sieht man näher zu, so zeigt sich dieser passivistische Eigentumsbegriff als eine Fiktion; was in gewissen primitiveren Verhältnissen besonders nachdrücklich hervortritt. Im alten Nord-Peru und ebenso im alten Mexiko war die Bearbeitung der - jährlich aufgeteilten - Felder eine gemeinsame; der Ertrag aber war individueller Besitz. Nicht nur aber durfte niemand seinen Anteil, verkaufen oder verschenken, sondern, wenn er freiwillig verreiste und nicht zur Bebauung seines Feldes zurückkehrte, so ging er seines Anteils überhaupt verlustig. Ganz ebenso bedeutete in den alten deutschen Marken der Besitz eines Stückes Land für sich selbst noch nicht, daß man auch wirklicher Markgenosse war: dazu mußte man den Besitz auch wirklich selbst bebauen, mußte, wie es in den Weistümern heißt, dort selbst Wasser und Weide genießen und seinen eigenen Rauch haben. Der Besitz, der nicht irgendein Tun ist, ist eine bloße Abstraktion: der Besitz als der Indifferenzpunkt zwischen der Bewegung, die zu ihm hin, und der Bewegung, die über ihn fortführt, schrumpft auf Null zusammen; jener ruhende Eigentumsbegriff ist nichts als das in latenten Zustand übergeführte aktive Genießen oder Behandeln des Objektes und die Garantie dafür, daß man es jederzeit genießen oder etwas mit ihm tun kann. Das Kind will jeden Gegenstand, der seine Aufmerksamkeit erregt, »haben«, man soll ihn ihm »schenken«. Das bedeutet aber nur, daß es im Augenblick etwas damit anfangen, oft nur, es genau besehen und betasten will. Ebensowenig hat der Eigentumsbegriff niederer Völker die Dauer, ja, die prinzipielle Ewigkeit des unsrigen zum Kennzeichen, er enthält nur eine momentane Beziehung von Genuß und Aktion mit dem Dinge, das oft im nächsten Augenblick mit der größten Gleichgültigkeit verschenkt oder verloren wird. So ist der Besitz in seiner ursprünglichen Form vielmehr labil als stabil. Jede höhere Besitzform entwickelt sich daraus als bloß graduelle Steigerung der Dauer, Sicherheit, Stetigkeit der Beziehung zu dem Dinge, die bloße Momentaneität derselben verwandelt sich in eine beharrende Möglichkeit, in jedem Augenblick auf sie zurückzugreifen, ohne daß doch der Inhalt und die Realisierung derselben anderes oder mehr als eine Reihenfolge einzelner Vornahmen oder Fruktifizierungen bedeutete. Die Vorstellung, als sei der Besitz etwas qualitativ Neues und Substanzielles gegenüber den einzelnen Verfügungsakten über die Dinge, gehört in jene Kategorie typischer Irrtümer, die z.B. in der Geschichte des Kausalitätsbegriffes so wichtig geworden ist. Nachdem Hume darauf aufmerksam gemacht hatte, daß jene sachlich notwendige Verbindung, die wir als Ursache und Wirkung bezeichnen, niemals konstatierbar sei, daß das erfahrbare Wirkliche daran vielmehr nur die zeitliche Folge zweier Ereignisse sei, schien nachher Kant die Festigkeit unseres Weltbildes durch den Nachweis zu retten, daß die bloße sinnliche Wahrnehmung einer zeitlichen Folge noch gar nicht Erfahrung sei, diese vielmehr auch in dem Sinn des Empiristen eine wirkliche Objektivität und Notwendigkeit des kausalen Erfolgens voraussetzte. Mit anderen Worten, während dort die Erkenntnis auf bloß subjektive und einzelne Eindrücke beschränkt werden sollte, wurde hier die objektive Gültigkeit unseres Wissens nachgewiesen, die sich ganz über den einzelnen Fall und über das einzelne vorstellende Subjekt erhebt - gerade wie sich das Eigentum jenseits der einzelnen Nutznießung stellt. Es handelt sich hier um eine Anwendung eben derselben Kategorie, durch die wir im ersten Kapitel das Wesen des objektiven Wertes festzustellen suchten. Oberhalb der einzelnen Inhalte unseres Bewußtseins: der Vorstellungen, Willensimpulse, Gefühle, steht ein Bezirk von Objekten, mit deren Bewußtsein der Gedanke mitschwebt, sie hätten eine dauernde, sachliche, jenseits aller Singularität und Zufälligkeit ihres Vorgestelltwerdens stehende Gültigkeit. Die beharrende Substanz der Dinge und die gesetzmäßige Ordnung ihrer Schicksale, der beständige Charakter der Menschen und die Normen der Sittlichkeit, die Forderungen des Rechtes und der religiöse Sinn des Weltganzen - alles dies hat eine sozusagen ideelle Existenz und Gültigkeit, die sprachlich nicht anders zu bezeichnen ist als durch die Unabhängigkeit von den einzelnen Vorgängen, in denen jene Substanz und Gesetzlichkeit sich darstellt oder in denen jenen Forderungen und Normen genügt oder nicht genügt wird. Wie wir den beharrenden Charakter einer Person von den einzelnen Handlungen unterscheiden, in denen er sich ausprägt oder die ihm auch widersprechen, so besteht etwa der sittliche Imperativ in ganz ungebrochener Würde, ob ihm im Empirischen gehorcht wird oder nicht; wie der geometrische Satz gilt, unabhängig von den einzelnen Figuren, die ihn genau oder ungenau repräsentieren, so bestehen die Stoffe und Kräfte des Weltganzen, gleichviel welche Teile davon das menschliche Vorstellen abwechselnd für sich herauslöst.