7.
[Privatleben und Wohnen]
Der Bolschewismus hat das Privatleben abgeschafft. Das Ämterwesen, der politische Betrieb, die Presse sind so mächtig, daß für Interessen, die mit ihnen nicht zusammenfließen, gar keine Zeit bleibt. Es bleibt auch kein Raum. Wohnungen, die früher in ihren fünf bis acht Zimmern eine einzige Familie aufnahmen, beherbergen jetzt oft deren acht. Durch die Flurtür tritt man in eine kleine Stadt, öfter noch in ein Feldlager. Schon im Vorraum kann man auf Betten stoßen. Zwischen vier Wänden wird ja nur kampiert, und meist ist das geringe Inventar nur Restbestand kleinbürgerlicher Habseligkeiten, die noch um vieles niederschlagender wirken, weil das Zimmer so dürftig möbliert ist. Zum kleinbürgerlichen Einrichtungsstil aber gehört das Komplette: Bilder müssen die Wände bedecken, Kissen das Sofa, Decken die Kissen, Nippes die Konsolen, bunte Scheiben die Fenster. (Solche Kleinbürgerzimmer sind Schlachtfelder, über die der Ansturm des Warenkapitals siegreich dahingegangen ist; es kann nichts Menschliches mehr da gedeihen.) Von alledem ist wahllos nur das eine oder andere erhalten. Allwöchentlich werden die Möbel in den kahlen Zimmern umgestellt – das ist der einzige Luxus, den man mit ihnen sich gestattet, zugleich ein radikales Mittel, die »Gemütlichkeit« samt der Melancholie, mit der sie bezahlt wird, aus dem Haus zu vertreiben. Darinnen halten die Menschen das Dasein aus, weil sie durch ihre Lebensweise ihm entfremdet sind. Ihr Aufenthalt ist das Büro, der Klub, die Straße. Von der mobilen Beamtenarmee findet man hier nur den Train vor. Vorhänge und Verschläge, oft nur bis zu halber Zimmerhöhe, haben die Zahl der Räume vervielfachen müssen. Denn jedem Bürger stehen von Rechts wegen nur dreizehn Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Für die Wohnung zahlt er nach seinem Einkommen. Der Staat – aller Hausbesitz ist verstaatlicht – erhebt von Arbeitslosen für dieselben Flächen einen Rubel monatlich, für die Wohlhabendere sechzig oder mehr bezahlen. Wer mehr als diesen vorgeschriebenen Einheitsraum beansprucht, muß, wenn er das beruflich nicht begründen kann, ein Vielfaches entrichten. Seitab vom vorgezeichneten Weg stößt jeder Schritt auf einen unabsehbaren bürokratischen Apparat und auf unerschwingliche Kosten. Das Mitglied der Gewerkschaft, das ein Krankheitszeugnis beibringt, den vorgeschriebenen Instanzenweg durchläuft, kann im modernsten Sanatorium unterkommen, an die Kurorte der Krim verschickt werden, kostspielige Strahlenbehandlung genießen, ohne für all dies einen Pfennig aufzuwenden. Der Außenseiter kann betteln gehen und im Elend verkommen, wenn er nicht in der Lage ist, als Angehöriger der neuen Bourgeoisie für Tausende von Rubeln sich das alles zu erkaufen. Dinge, die sich im kollektiven Rahmen nicht begründen lassen, erfordern einen unverhältnismäßigen Kraftaufwand. Aus diesem Grunde gibt es keine »Häuslichkeit«. Aber es gibt auch keine Cafés. Der freie Handel und die freie Intelligenz sind abgeschafft. Dadurch ist den Cafés ihr Publikum entzogen. Es bleiben also der Erledigung, selbst von privateren Angelegenheiten, nur Büro und Klub. Hier aber handelt man im Bann des neuen »Byt« – der neuen Umwelt, vor der nichts besteht als die Funktion des Schaffenden im Kollektivum. Die neuen Russen nennen das Milieu den einzig zuverlässigen Erzieher.