Februar 1918
Die Kriegsschreiber nach dem Krieg
Jerome K. Jerome in den »Daily News«:
... Dieser Vorwurf gilt jedoch nicht nur den Zentralmächten. Ich sehe keinen Grund, an der Aufrichtigkeit eines Bekehrten zu zweifeln, der von seiner Verrücktheit bekehrt wurde, weil er während vier Jahren deren verheerende Resultate gesehen hat. Es gibt sogar welche unter ihnen, die von Anfang an ihr Knie nie vor Baal gebeugt haben.
Ich möchte die denkenden Männer und Frauen der alliierten Länder bewegen, sich mit ihnen zu verbinden; sie sollen helfen, in der ganzen Welt eine Lebensauffassung zu bilden, die den Krieg unmöglich macht. Ich glaube, daß wir nach diesem schrecklichen Blutopfer nicht mehr durch eine Flut von dummen Gedichten und Geschichten, die den Krieg verherrlichen, zu leiden haben werden: daß unsere Knaben und Mädchen nicht mehr wie früher mit Büchern und Gedichten aufgezogen werden, die dazu dienen, die natürliche Anlage des Menschen zum Töten noch zu erhöhen. Ich glaube nicht, meinem eigenen Berufe eine erhabene Wichtigkeit beizumessen, wenn ich die Überzeugung ausspreche, daß seit dem Entstehen der Presse die Lust der Welt zur Kriegführung durch die Schriftsteller noch sehr erhöht wurde. Wenn das so fortgehen würde, könnten wir jeden Traum für einen dauernden Frieden aufgeben. Wenn sich die Schriftsteller aller Länder, durch Maler und Musiker unterstützt, nach dem Kriege nicht Selbstverleugnung auferlegen, wird die nächste Generation sicher mit einem Hunger nach Krieg aufwachsen.
(Davor bleibe sie durch einen andern Hunger, mit dem sie aufwachsen wird, bewahrt.)
Man kann die Teufelsmusik nicht immer spielen, ohne zu bewirken, daß die jungen Leute auch nach ihrer Melodie tanzen ... Eine schwere Verantwortung wird auf diejenigen fallen, die aus Gewinnsucht fortfahren, mit ihren tierischen Instinkten zu spielen.
Von einer Fortsetzung des Gewerbes kann keine Rede sein. Eine allseitige Friedensbedingung wird den Tag festsetzen müssen, an welchem gleichzeitig in sämtlichen Staaten auf offenem Markt vor den auf Tribünen sitzenden Invaliden die Kriegslyriker und alle, die mit dem Wort zur Tat geholfen haben, dadurch von ihr befreit waren und ihre schmähliche Rettung nicht allein mit dem Ruin anderer erkauft, sondern noch mit Gewinn belohnt sahen, zusammengetrieben und ausgepeitscht werden. Ich werde, wenn Wilson das nicht verlangt und erreicht, nach Friedensschluß nicht ruhen, für unser eigenes Schuldgebiet diese Prozedur zu befürworten und dahin zu wirken, daß eine Proskriptionsliste angelegt werde, damit, wenn schon die Rücksicht auf unhaltbare Staatsgesetze, welche die leibliche Sicherheit und Ehre von Menschheitsverbrechern schützen, die Initiative lähmen sollte, das immer erneute Gedächtnis dessen, was jene nicht erleben mußten, die es propagiert haben, ihr Gewissen bis zur Selbstvernichtung foltere. Ich denke dabei nicht nur an solche, die sich freiwillig an der Glorifizierung von Minenvolltreffern betätigt haben, sondern vor allem an jene, die sich hinterher auf einen angeblichen Zwang berufen und eben das, was sie am schwersten belastet, als Entschuldigung geltend machen, kurzum an jene, die den Weltsturm unter eigenen Obdächern mitmachen durften, wo sie allerdings zum Dank hiefür seine Schönheit zu rekommandieren genötigt waren. Da aber hier der Zwang nur eine Konsequenz der Wahl ist, indem man wohl von Staats wegen gezwungen werden kann, zu sterben, aber nicht zu schreiben, und nur dann auch zum Schreiben gezwungen werden kann, wenn man dieses dem Sterben vorgezogen und also Protektion die Alternative ermöglicht hat; da es sich ferner in solchen Fällen beileibe nicht um diese Alternative, sondern höchstens um die Vermeidung von Spitalauskehren, Brotschupfen, Kanzleidienst und sonstige gefahrlose Notwendigkeiten handelt und selbst diesen noch die lyrische oder feuilletonistische Verklärung von Gasangriffen vorgezogen wurde; da sie mir gegenüber die Beteuerung parat haben, sie hätten »nicht töten wollen«, wo sie durch ihre Literatur doch weit mehr Tod verbreitet haben als sie je durch ihre Taten vermocht hätten, geschweige denn durch ihren Etappendienst — so werde ich gerade in diesen Fällen auf die unerbittlichen Repressalien des wieder erwachenden Schamgefühles dringen. Um so entschiedener dort, wo vor den Instanzen der Presse und der Glorie die vorgeschriebene Gesinnung und die völlig unverbindliche Uniform, beide mit mehr Anspruch auf Ehre als Gefahr, stolz getragen und gleichzeitig mir gegenüber, vor der weit unerbittlicheren Front meines Gewissens, die Entschuldigung des Zwanges versucht wurde. Die Nichterwiderung des Grußes, welchen Rang sie dann immer treffen mag, wird mir bei weitem nicht Genüge tun. Ich werde dahin wirken, daß jene, die dadurch oder davon gelebt haben, daß andere gestorben sind; die mit ihrer Feder andern zu Unternehmungen Mut machten, vor denen sie sich mit Recht gescheut haben; die durch Begeisterung für Angelegenheiten, von denen sie mit Recht entfernt sein wollten, an vielfacher Blutschuld teilhatten und im sicheren Rückhalt lyrischer Auditoriate dieses Weltgericht überleben durften — kenntlich gemacht werden, damit nicht mehr »die Lust der Welt zur Kriegführung durch die Schriftsteller erhöht« werde, sondern die Unlust der Welt an den Schriftstellern aufwachse zur Rache für unsere erschlagenen Freunde!
Vgl.: Die Fackel, Nr. 474-483, XX. Jahr
Wien, 23. Mai 1918.