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Natürliche Grenzen

Natürliche Grenzen, eine von Frankreich ergangene Losung, um damit den Anspruch auf die Gebiete links des Rheins zu begründen, wurde im Jahre 1813 ein von den deutschen Schriftstellern leidenschaftlich befehdetes Schlagwort. Jahn 2, 479 führt eine reiche Liste von Broschüren und Aufsätzen aus den Jahren 1813—15 an, aus deren Titeln zumeist ein entschiedener Protest gegen die Wendung herausklingt. Allen voran die zündende Trutzschrift E. M. Arndts: Der Rhein, Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Grenze (1813).

Durch Napoleon III. wurde der nie erloschene Kampfesruf aufs neue belebt. Vgl. z. B. Kladd. 1857, 162: „Es ist nicht wahr, dass wir noch immer an die Herstellung der „natürlichen Grenzen Frankreichs“ denken. Deutschland gegenüber kennen wir gar keine Grenzen.

La grrrrrrande Nation.“

Der Ausdruck selbst ist alt, so falsch seine Anwendung auf Flüsse ist, die doch Völkerbrücken bilden. Im Deutschen bringen ihn z. B. bereits Lucians Neueste Reisen (1791) S. 294: „Altes in die natürlichen Grenzen eingeschränkt, die von Gebirgen und großen Flüssen gebildet wurden.“ Nach Büchmann S. 566 soll Sieyès im Jahre 1793 zuerst den Ausdruck in bestimmter politischer Tendenz auf den Rhein angewendet haben. Doch zeigt Lothar Bucher in der Deutschen Revue, 12. Jahrgang, Bd. 2, S. 69 f., wie schon am 1. Januar 1792 Anacharsis Cloots einen älteren Gedanken wieder aufs Tapet bringt, indem er im Jakobinerklub die Rheingrenze mit der Begründung verlangt, dass das Schachbrett Frankreichs zwölf Felder mehr zählen werde, wenn der Rhein und die Alpen den Rahmen bildeten.

Im Januar 1795 habe daraus der preußische Legationssekretär Harnier aus Besprechungen mit Mitgliedern des Wohlfahrtsausschusses das Schlagwort in die amtliche deutsche Sprache übernommen, und so erscheint es denn auch in einem Metternichschen Diktat vom Nov. 1813, das der französische Baron Saint Aignan über die Friedensbedingungen an Kaiser Napoleon übermittelte: „Que les souverains coalisés étaient unaniment d’accord sur la puissance et la prépondérance que la France doit conserver dans son intégrité, et en se renserment dans les limites naturelles qui sont le Rhin, les Alpes et les Pyrénées.“

Vgl. Gombert in der ZfdW. 3, 322 und Arndt 1, 201 (1840): „Wo ist von Chateaubriand bis de la Martine, bis aus den dümmsten Korporal, ein Franzose, der nicht sagte: „Aber der Rhein, das ist Frankreichs natürliche Grenze; was diesseits des Rheins liegt, das ist Frankreich, das muss bei der ersten besten Gelegenheit wiedergewonnen werden?““ Aus dieser Vorstellung, dass das linke Rheinufer den Franzosen von Natur, also von Rechts wegen gehöre, erklärt Bucher auch die bis 1870 und später beliebte Wendung au delà du Rhin für Deutschland, eine Unsitte, die übrigens auch von deutschen Zeitungen nachgeahmt wurde mit dem entsprechenden Ausdruck „jenseits des Rheins“ für Frankreich.