Brief an einen Plakatmaler
Lieber Söderström!
Sie und die Ihrigen sind ja nunmehr am Werke, dem deutschen Kino die Kräfte zu leihen, die ihm noch gefehlt haben. Sie wollen »reformieren«. Das heißt: die Plakate, die bisher irgendein Vorstadtschmierer hergestellt hat, werden Sie jetzt anfertigen, aber die Titel werden dieselben bleiben, nämlich:
»Dreimal entehrt« und »Die Windmühle im Freien« und »Emmy, das Gorillaweibchen«. Sie werden also Ihre manuellen Fertigkeiten in den Dienst einer Sache stellen, die davon lebt, Konzessionen zu machen (und was für welche).
Sie gehören einem neuen Typ an: Sie sind der amerikanisierte Spießer.
Sie argumentieren so: Unser Film ist dreizehnhundertmal verliehen worden, eurer nur achtzigmal – also sind wir besser. Unsre Zeitschrift hat siebenhunderttausend Abonnenten, eure nur zwanzigtausend – also sind wir besser. Schon sind Sie amerikanischer als die Amerikaner, denen es nie einfallen würde, ideellen Wert und Erfolg ineinander zu verweben. Geht drüben eine Sache nicht, so ist sie abgetan – aber nur wegen des mangelnden geschäftlichen Erfolges! Der Wert oder Unwert kommt nicht in Frage.
Sie sind weit gefährlicher. Zu feige, ein Ding nur um des Erfolges willen zu preisen, kleben Sie ihm Werte an, die es nicht hat – und so ergibt sich ein verdammter Mischmasch von Geldmacher und Heuchler.
Früher hätte niemand gewagt, sein Geldverdienen mit der Berufung auf eine Kulturmission zu verkleiden, und tat er es doch, so wandte man sich angewidert ab. Heute gehört es zum guten Ton, vor dem Großkapital auf dem Bauch zu liegen, aber nicht etwa, weil man müßte, sondern weil Sie und Tausende masochistisch die bloße Macht überschätzen.
Erfolg ist nur Argument in wirtschaftlichen Erscheinungen. Bewundern Sie ruhig Ullstein oder Pathé oder Scherl. In wirtschaftlicher Beziehung. Aber lassen Sie die Werte aus dem Spiel!
Sagen Sie nicht: Weil die Illustrierte Zeitung besser geht als die Neue Rundschau, darum … Folgern Sie nichts, was den Wert angeht. Der Erfolg spricht dafür nicht (die Erfolglosigkeit freilich ebensowenig). Auch die Hure genügt der Nachfrage von Hunderten. Aber sie rühmt sich dessen nicht. Es ist keine Schande, aber auch kein Ruhm.
Und jetzt bewundern Sie den Kino und entdecken »Möglichkeiten« und setzen als Schiedsrichter das Sonntagsnachmittagsausgehmädchen ein, dem Sie zu dienen bestrebt sind. Versteht sich, nur in der Öffentlichkeit. Zu Hause lesen Sie weinselig und schlapp den Hermann Hesse (den nur ein elender Zufall auf die ihm gebührende Stelle gerückt hat) und den Willy Speyer …
Draußen handelt es sich um das, was die Leute »brauchen«. Also um das, was sie ohne Anstrengung und Mühen herunterschlucken können.
Unterschätzen Sie den Einfluß dieser kleinen Dinge nicht! Der Film von heute ist verdammenswert, weil er – wie die schlechten Schwänke – »allmählich das Ethos verdirbt«. Was heißt denn das: Die Tugend siegt? Doch wohl dies: nachdem wir uns einen Abend lang gar nicht schlecht über das Laster amüsiert haben und manchen um manches beneidet haben, scheiden wir in dem frohen Bewußtsein, dass es mit dem Laster nichts ist, sondern dass man noch am weitesten kommt, wenn man geruhig lebt, Kinder zeugt und sich auch sonst eines tätigen und strebsamen Lebens befleißigt …
Das trifft zu, ob Sie einen Film mit Moral oder nur zum Gaffen herstellen.
Kunst, Niveau, Anständigkeit, Gesinnung – es ist nicht leicht!
Daß es aber mit Geld allein nicht zu machen ist, darauf können Sie sich verlassen.
Herzlichst Ihr
Ignaz Wrobel
Ignaz Wrobel
Die Schaubühne, 20.03.1913, Nr. 12, S. 338.