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Café-Kultur

»Daß das wahrhaft Gute sich immer durchsetzt, dafür liefert einen eklatanten Beweis das … Café, welches sich trotz der Hochflut von Neuerscheinungen dauernd in der Gunst des Publikums auf dem Berliner Westen behauptet. Und dies kann auch bei der Originalität dieses Cafés kaum Wunder nehmen. Man empfindet immer wieder die wohltuende Wirkung abgetönter Beleuchtung, stilvoller Dekorationen und all dessen, was eine gediegene Innenarchitektur anregend und doch maßvoll geschaffen hat. Speisen und Getränke entsprechen der Fashionabilität des Lokals. Über dem ganzen schweben die Harmonien der Musik eines … , eines Meisters fein anregenden Stils, während jeden Nachmittag der aus Rußland engagierte berühmte Geigenkünstler … konzertiert. Inmitten dieses Milieus von nobler Ästhetik und wonnigem Behagen bei einer exakten Bedienung der nach Art der Pariser Boulevard-Cafés gekleideten Kellner seine Melange zu schlürfen, ist ein wahrhaft kultivierter Genuß. Und so hat sich denn auch das … Café zu einem bleibenden Rendezvous der Leute von Geschmack in Berlin W. herausgebildet.«

Das ist eine Annonce, und das sind Phrasen. Gut. Aber ein Lokal, in dem man eigentlich nur etwas zu essen und zu trinken bekommt, wird wirklich von den Leuten von Ungeschmack so echt empfunden, wie es das Reklamegeschwätz unecht ausdrückt. Das Café hat in dieser Stadt eine ganz eigentümliche Entwicklung durchgemacht. Was es in Wien ist, weiß man, und wir Norddeutschen haben wohl von München gehört, dass Schriftsteller oder Schauspieler dieses oder jenes Café bevorzugten. Hier kannten wir dergleichen früher nicht. Es gab wohl eines, dessen Besucher auch nach außen hin nichts unterließen, um ihre inneren Fähigkeiten zu dokumentieren, aber im großen und ganzen hatten wir doch mehr Konditoreien, artige kleine Räume mit roten Samtmöbeln, in denen sich Liebespaare trafen, küßten und einen Apfelkuchen verzehrten.

Heute … ! Heute sind wir so weit gekommen, dass der Berliner, der abends zu Hause bleibt, nächstens noch polizeilich bestraft wird. Man geht aus. Und die Psychologie der Ausgeher ist merkwürdig und unverständlich, wie ihr ganzes Gehaben. Das Café, das immer phantastischere Namen bekommt – wir haben schon ein Luxus-Café –, wird von diesen Menschen wirklich als ein sympathischer Kulturträger der Moderne empfunden. Nicht wahr, da ist ein rauchiger Raum, mehr oder weniger bunt, denn auch das gute Kunstgewerbe hat sich der Cafés angenommen, und meist sind sie hübsch und aufdringlich eingerichtet, dicke Rauchschwaden ziehen durch die Luft, hinten schnarrt und quiekt eine Kapelle, es riecht nach Bier, Kaffee, Speisen und vielen menschlichen Parfums. Ich habe eine Menge Cafés gesehen, solche mit Brillantenschiebern und Kokotten und einem biederen Künstlerpublikum und solche mit ausschweifenden Bourgeois und mit Ladenjünglingen und ihren Verhältnissen … Ich habe nie begreifen können, was die vor Langeweile glotzenden Besucher in diesen Räumlichkeiten wollten. Wahrscheinlich muß man einmal unter Menschen sein und sich den Wind der Großstadt um die Nase wehen lassen, und überhaupt etwas sehen, wofür der Berliner einen ungemein bezeichnenden Ausdruck geprägt hat: den Betrieb. Betrieb ist etwas Undefinierbares, erinnert leicht an das geschäftsmäßige Gebaren in einer Fabrik und faßt das Café wohl nicht zu Unrecht als Amüsier-Werkstatt auf. »Da ist ein mächtiger Betrieb« – das heißt: da gehen viele Leute hinein, kommen viele heraus. Das Ganze ist etwas lärmend, laut, knallig und durchaus nicht sehr wohlfeil. Die Caféhausbesitzer plakatieren geradezu: »Stimmung! Humor! Betrieb!« Es ist verwunderlich, woher sie das vorher so genau wissen. Sie wissens, weil der Berliner, gehorsam, wie er ist, sich sogar seine inneren Gefühle oder das, was er dafür hält, durch ein Reklameschlagwort oktroyieren läßt.

Aber wenn man schon oktroyiert: vielleicht reden wir dem Berliner noch das Heim auf? – Das eigene Heim … wie er seine Mietswohnung zu titulieren beliebt? – »Heut gehn wa nich nach Hause, – heut gehn wa nich zu Bett … !« – Passé, meine Lieben, passé! »Man« bleibt jetzt wieder zu Hause, in der letzten Zeit! – In England, die feinsten Leute, alles zu Hause! – Und ich bin überzeugt, wenn einmal die Mode aufkommt, die dem Berliner auferlegt, zu Hause zu bleiben, weil das schick sei, – er bekommt es fertig, sich um einen fingierten Kamin zu placieren, ein Buch hervorzuholen und gemütlich zu Hause zu bleiben. Das wäre der einzige Weg, ihn daran zu erinnern, dass er auch eine Wohnung besitzt. Und es steht zu hoffen, dass er an ihr so viel Geschmack gewinnen wird, dass er auch noch zu Hause bleibt, wenn es wieder schick ist, auszugehen.

Ignaz Wrobel

März, 07.03.1914, Nr. 10.