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Nachruf und Aufruf

Der Hauptmann von Köpenick ist tot.

Er starb zu London, in einem Spital. Was ist Ruhm … ?

Sein Tod sei uns eine Mahnung: wo sind die anderen Gewerbe? Warum gibt es noch keinen Schneider von Hanau, keinen Obristen von Ludwigshafen, seines Zeichens Eisenhändler, keinen Polizeipräsidenten von Berlin, der eigentlich Friseur ist –?

Wir Deutschen sind ein gar ernsthaftes Volk. Viele von uns fühlen sich zwar sehr überlegen über uniformierte Schneider – aber es gab nur einen Hauptmann, der wirklich ein Schuster war.

Warum werden bei uns die »maßgebenden Stellen« nicht mehr gehänselt?

Warum sieht man nicht täglich Schutzleute durch die Straßen laufen, schwitzend, wichtig, mit durchweichtem Kragen, weil sich ein Trödler eine alte Maskenuniform anzog und ihnen befahl, den Anarchisten Mordini zu fangen, lebend oder tot?

Warum erleben wir es nicht, dass das Volk in Waffen und mit klingendem Spiel hinauszieht in den Ruhmeskampf. Reden werden geredet, zündende Reden, die Begeisterung kocht bis zum Siedepunkt, ein »Hoch!« mit Extrablättern und Fotografiertwerden – – aber nachher stellt sich heraus, es war eine Mystifikation, es war nur der Münchener Schauspieler Herr v. Possart, der sich als – leitende Persönlichkeit verkleidet hatte … (Allein Herr v. Bethmann ist nicht zu verulken: unsere Komiker sind zu kurz und zu intelligent.)

Wo sind die andern? – Der Hauptmann von Köpenick ist tot …

Vivat sequens!

Kurt
Vorwärts, 13.06.1912, Nr. 135, S. 2.