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Die beiden Deutschland

Wir stehen an des Thrones Stufen
und halten stets in Treue fest;
allzeit bereit, Hurra zu rufen,
wenn sich das irgend machen läßt –!

Der große Schnitt, der durch dieses Land geht, läuft nicht durch die Parteien. Die Parteien sind ja nur der Ausdruck von zugrunde liegenden wirtschaftlichen und geistigen Verfassungen. Der Schnitt, die große Trennungslinie läuft vielmehr durch alle: auch durch die Gassen der Unpolitischen, der Mitläufer, derer, die gar keiner Partei angehören, durch die Gassen der Frauen und Kinder, soweit sie denken können – durch alle.

Es gibt zwei Deutschland. Nicht: ein weißes und ein schwarzes – ein rosenrotes und ein tiefdunkeles. Sondern: ein zurückgebliebenes, minderwertiges – und ein entwicklungsfähiges, ein zukunftsreiches.

Und so sehen diese beiden Deutschland aus: Auf der einen Seite steht der größte Teil der herrschenden Klasse und ein erheblicher Teil des Bürgertums und noch mehr des Klein-Bürgertums. Die sittliche Beschaffenheit dieser Kreise ist im heutigen Deutschland geradezu erschreckend. Nicht, als ob sie jene große sittliche Verworfenheit des alten Rom hätten – Gott bewahre. Es sind fast alles Spießer – kleine Naturen, denen das Geld und die Geltung am höchsten stehen – denen die innere Gestaltung nichts und die äußere Form alles ist. Allen gemeinsam ist der unbeirrbare Glaube an die rohe Gewalt. »Die Kerle müßten an die Wand jestellt wern!« – das ist so das Rezept, nach dem die soziale Frage gelöst wird. Sie haben ferner fast alle die Überzeugung, dass der gut gebadete Mensch auch der bessere Mensch überhaupt ist. (Obgleich die Körperpflege des deutschen Durchschnittsbürgers noch sehr zu wünschen übrig läßt.) ›Arm‹ und ›schlecht‹ – das sind für sie dieselben Begriffe.

Denn dies ist das Kennzeichen der Zeit nach dem Kriege: das gesamte Bürgertum beseelt ein Haß gegen das Proletariat, von dem man sich früher keine Vorstellung gemacht hat. Der alte Kastenstolz ist umgeschlagen in eine Weißglut von Haß, Ekel und Verachtung gegen alle, die nicht derselben ökonomischen Schicht angehören. Denn zum ersten Mal in den letzten Jahrzehnten fühlen sich diese Unternehmer in ihrem heiligsten Recht bedroht: in dem der Ausbeutung. Und zwar bedroht nicht nur durch die Forderungen der von der Teuerung gepeitschten Arbeiterschaft – sondern vor allem grundsätzlich bedroht. Das Volk glaubt nicht mehr an die Bibel – und es glaubt nicht mehr an die Gottgewolltheit des Unternehmerprofits. Die Gefühlsroheit dieser Schicht ist gar nicht zu überbieten. Man muß hören, wie heute noch in gutsituierten Bürgergesellschaften über die tote Rosa Luxemburg gesprochen wird – über Eisner – über Liebknecht – die Freude, dass diese Menschen ermordet worden sind, wird gar nicht verhehlt. »Gott sei Dank!«

Und das Allertragischste scheint nur zu sein, dass wir im Bürgertum so gut wie keine oppositionelle Jugend haben. Es ist wohl das erste Mal in der Geschichte, dass der junge Nachwuchs eines ganzen Landes, soweit er in diesen Kreisen aufgewachsen ist, nicht den Himmel stürmen will, sondern für ›Ruhe und Ordnung‹ ist. Ruhe und Ordnung –? Es ist jene Ordnung, die durch schöne schmiedeeiserne Gitter den Hungernden, der auf der Landstraße verreckt, von dem gemütlich Frühstückenden hinter dem Gitter trennt. Und nützt dieses Gitter nicht, sie haben auch noch ein anderes.

Es gibt auch dort Ausnahmen. Das ungeheure Mißtrauen, das die Arbeiterklasse der zu ihr hinstrebenden Intelligenz entgegensetzt, ist verständlich. Aber es gibt doch schon eine ganze Reihe Studenten, Lehrer, Akademiker aller Art, die wirklich aus dem herauswollen, wohinein sie geboren worden sind – und die mit ganzem Herzen drüben stehen. Trotz des Stehkragens. Man sollte sie nicht zurückstoßen.

Auf der anderen Seite steht das Proletariat. Heute nicht geeint, sondern zerklüftet. Mit dem schlimmsten Feind in sich selber; dem Hang, es den Kleinbürgern gleichzutun und grade so zu werden wie sie. (Man braucht auf diesem Gebiete einen Teil der Kleinhändler, mit denen wohl schon jeder klassenbewußte Arbeiter seine Erfahrungen gemacht hat.) Hier ist wirklich eine Gefahr, die zu bekämpfen ist.

Ich habe immer wieder und wieder grade in diesem Deutschland, grade unter diesen erbärmlichen Lebensumständen, in diesen mit Menschen vollgepfropften Stuben, in diesen Tuberkuloselöchern so viel Herzensgüte gefunden, so viel Idealismus, so viel Herzenstakt, dass die Phrase, »die Revolution ist nur eine Lohnbewegung«, doch wohl falsch sein muß. Erstaunlich und aller Achtung wert ist es, dass der Arbeiter nach seinem Achtstundentag, den sie ihm jetzt auch noch entreißen wollen, überhaupt noch Zeit und Kraft aufbringt, sich um geistige Dinge zu kümmern.

Auf der andern Seite steht das harte Monokelgesicht. (Es gibt auch solche ohne die Glasscherbe.) Diese Durchdrungenheit von sich selbst, diese Herzensroheit, dieser Phantasiemangel, sich in die Lage seiner Volksgenossen zu versetzen – das ist beispiellos. Und ganz und gar wilhelminisch.

Mit Sentimentalität und Berufung auf die ›edeln Seiten im Menschen‹ kommen wir dem nicht bei. Das ist vorüber. Nach ehernen Gesetzen rollt das ab – und was hier not tut, das ist: Kampf – Kampf und härteste Energie und unablässige Mühe!

Auf der andern Seite, im andern Deutschland, steht der Unteroffizier, der Major, der viereckige Schädel einer kaschubisch-wendischen Mischrasse, die alle schlechten und keine guten Eigenschaften der Stammväter aufweist.

Unser Deutschland hat in der Hauptsache nur einen Freund, unsere Republik hat fast nur den einen: den Arbeiter.

Ignaz Wrobel
Freiheit, 06.08.1922.