Selber –!
Die Sache ist so: Die Welt war in Unordnung, und Mohamed und die Propheten machten sich daran, sie aufzuräumen. Allein konnten sie es nicht. Steil und glühend lohte ein Fanal zum Himmel, leuchtete, züngelte und erlosch. Geblendet blieb die Menschheit zurück und gründete zur Erinnerung an den großen Mann einen Verein. Der Verein verwaltete den Nachlaß, fälschte die Absichten des Verblichenen ein wenig für den Alltagsgebrauch um und arbeitete unter der alten Firma weiter. Soweit Kirche, Partei und Schopenhauer-Gesellschaft.
Es ist nun sehr merkwürdig zu beobachten, wie besonders oppositionelle Kollektivitäten und grade die, die sich zur Aufgabe gemacht haben, den Staat zu reformieren, in ihrem eignen Dienstgetriebe genau dieselben Unarten und Fehler aufweisen wie ihr Feind, der ihnen die Existenz gibt. Sie tadeln die schlechte Kolonialorganisation eines Reiches und sind nicht fähig, ein anständiges Haustelefon in Gang zu bringen. Es gibt da die merkwürdigsten Dinge.
Es gibt bei allen reformatorischen, radikalen, oppositionellen und der Tendenz nach vorwärtsstürmenden Gruppen Kabinettsintriguen, Ministerstürze, hinterhältige Stunks, Ämterkleber, Postenjäger und jenen Konservativismus, dem die Funktion so schnell Selbstzweck wird. Daß eine unorganisierte Menge die Bastille gestürmt hat, ist noch allenfalls verständlich. Aber dass ein Bastillestürmer-Verein bei dem Unternehmen gescheitert wäre, ist klar: denn der zweite Vorsitzende hätte nur mitgemacht, wenn auch er an der Spitze marschiert wäre. Es kann sein, dass sich das Mitglied einer radikalen Organisation herausnimmt, im Parlament Dinge zu sagen, bei denen sich den Konsistorialräten der Rechten die wenigen Haare um die Glatze, wie bei der Tonsur der Konkurrenz, erheblich sträuben – aber dass demselben Himmelsstürmer gelänge, einen alten, untauglichen Schriftführer seiner Innung an die frische Luft zu setzen, das glaube ich nicht. So konservativ ist kein ostpreußischer Kartoffelbauer wie der härteste Anhänger einer Gruppe, wenn es um seinen Verein geht. Das Banner flattert, und Ressortstänkereien werden im Hause angefertigt.
Der angegriffene Staat ist, wie immer, recht ungeschickt. Er sollte, wenn man ihn auf die Füße tritt, dasselbe rufen wie der Schuljunge, dem sein Nebenmann Esel sagt – er sollte sich an die Nase fassen und dem Angreifer zurufen: »Selber!« Er darf das nicht, wenn es sich um den einzelnen Reformer, um das überragende Individuum handelt; denn der einzelne ist wohl befugt, Ideale aufzustellen, die man niemals erreichen kann (ohne dass seine vielleicht inkonsequente Lebensführung ein Einwand wäre). Wenn aber eine Kollektivität sich vermißt, eine andre Kollektivität, die nur größer und mächtiger ist als sie selbst, zu tadeln, dann wäre wohl die erste Voraussetzung dazu, dass sie selbst nicht in alle die Krankheiten verfällt, von denen Menschen gepackt werden, die sich zu irgendeinem Zweck zusammentun.
Christus darf sagen: »Nein.« Sagt es die Gruppe, so wird sie nur sehr schwer um die Lächerlichkeit herumkommen, weil jeder, der in ihre Amtsstuben gerochen hat, fast immer sagen darf: »Selber!«
Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 13.04.1922, Nr. 15, S. 384.