Kadett Ludendorff
»Ich kann nichts dafür –!« (Das Kind,
das den Teller hingeworfen hat.)
Der unabhängige Landtagsabgeordnete Dr. Oskar Cohn hat vor einigen Tagen die Vorgänge in der – völlig überflüssigen – lichterfelder Kadettenanstalt besprochen und dabei auf ein Produkt dieser Erziehungsmethode hingewiesen: auf den Reklamegeneral Erich Ludendorff, der auf allen nationalen Seiten abgebildet ist, mit denen die deutsche Reaktion ihre Anhänger einzubalbieren pflegt. Die Rechte stand auf dem Kopf und schrie: »Jüdische Frechheit!« Ganz abgesehen davon, dass ein gewisser Mittelstand in Deutschland heute die liebe Gewohnheit hat, für die Sonnenfinsternis, die Republik, den Durchfall von kleinen Kindern und den schlechten Stand der Mark die Juden verantwortlich zu machen – was hatte der Abgeordnete Dr. Cohn behauptet –?
Er hatte gesagt, die preußische Kadettenerziehung zeitige nicht nur solche Pöbeleien, wie sie sich jetzt in der Anstalt ereignet hätten, sondern bringe auch Typen wie Ludendorff hervor, die auch keine Spur von Bekennermut und Zivilcourage ihr eigen nennen.
Vor mir liegen auf der einen Seite drei dicke Bände: ›Ludendorffs Reklame-Prospekte‹ – und auf der andern Seite ein schmales Heft: ›Ludendorffs Selbstporträt‹ von Hans Delbrück (erschienen im Verlag für Politik und Wirtschaft zu Berlin). Zwei Welten tun sich auf.
Auf der einen Seite ein Mann, der den Krieg verloren hat. Er ist ein mäßiger Feldherr und ein sehr kleiner Mensch dazu. Denn es ist klein, eine Karre in den Dreck zu fahren, sie dann stecken zu lassen, und späterhin alle andern: Kutscher, Stangenreiter, Pferdeputzer und Stallwachen zu beschimpfen. Der geschlagene General macht für seine Niederlage verantwortlich: sämtliche Kriegs-Reichskanzler, seine Offiziere (Band III, S. 319), die eigenen Mannschaften – und zwar sowohl die der Front wie die der Etappe – die Regierung, den Reichstag, das Volk. »Die ganze Kompanie hat falschen Tritt – nur der Herr Leutnant nicht!«
Die Stimme, die in diesen drei Bänden spricht, ist wahrhaft grauenerregend. Leitsatz: »Im übrigen hat die Gesamtpolitik dem Kriege zu dienen.« Das ist ungefähr so, wie wenn ein Feuerwehrmann sagte: »Das Haus hat anständig zu brennen, damit ich meine Spritzen in Betrieb setzen kann.« – Einer, dem Blutvergießen Selbstzweck ist, besitzt natürlich ein groteskes Weltbild – grotesk, weil es sich aus Unbildung, unsorgfältiger Beobachtung, Schnoddrigkeit und minderwertigem Menschentum zusammensetzt. Einer, für den Menschen nur Läuse sind (besinnt ihr euch noch auf den schönen Ausdruck: »Die Industrie ist ausgekämmt«? – ausgekämmt von euch, die ihr waffenfähige Mannschaft wart! Ausgekämmt von Ungeziefer) – ein solches Individuum, nicht nur herzensroh, sondern auch ungebildet hat vier Jahre lang geführt. Die Vorstellungen, die in solchem Gehirn nisten, sind erschreckend. Nach den albernsten Beschimpfungen der Juden zum Beispiel, denen er eine ›Oberleitung‹ andichtet, die dieses im tiefsten zerklüftete Volk niemals gehabt hat, nach den ungeheuerlichsten Beschuldigungen die trockne Feststellung im Tone eines hochnäsigen Bezirksfeldwebels: »Daß Juden auch für Deutschland geblutet haben, sei betont.« Auch ––! Mensch, wenn sich je der liebe Gott mit dir befaßt: möge er dir dieses ›auch‹ in die Seele brennen –! Auch … ! Auch … ! Und die liegen in Flandern und können nichts antworten.
Der General spricht von seiner Fahnenflucht als von seiner ›Entlassung‹. Wie war es denn gewesen? Nachdem Ludendorff sich drei Jahre lang in alle politischen Dinge hineingemengt hatte, die ihn nichts angingen, verlangte er innerhalb vierundzwanzig Stunden den Waffenstillstand. Das wäscht keine Tinte von ihm ab. Der Waffenstillstand kam. Die Panik kam. Und dann ging er.
Er ging? Er floh nach Schweden. Während sich Hunderttausende von deutschen Männern bemühten, Kriegsgerät, Gelder, Pferde und Kameraden zurückzuschaffen, floh Herr Lindström. Und wenn das tausendmal gesetzlich keine Fahnenflucht war: wir rechnen es ihm als solche an. Er war Führer. Er hat uns hineingeritten. Er hatte zu bleiben.
Und so etwas wagt es, sich heute noch auf die deutschen Kriegsartikel zu berufen! So etwas spricht von den 40000 Fahnenflüchtigen, die in Holland gewesen sein sollen (er hat sich übrigens verzählt: es waren vierzigtausend und einer) – so sieht der Abgott einer Nation aus?
Auf der andern Seite Delbrück. Ein konservativer Politiker und Geschichtsschreiber, ein Mann, wie ihn die heutigen Universitäten, die sich eifrig mit der Produktion von Streikbrecher-Organisationen, Verfassungsspielereien, monarchistischer Propaganda und Judenriecherei beschäftigen, wohl nicht mehr hervorbringen. Ein aufrechter Mann, bei dem jedes Wort von lauterster Reinheit zeugt. Ich betone, dass ich in vielen Punkten mit Delbrück nicht übereinstimme – um so mehr habe ich die Pflicht, die absolute Sauberkeit und Unbefangenheit dieses Gelehrten zu konstatieren. Seine Sachkenntnis wurde von niemand bestritten, solange er nicht die Hohlheit Lindström-Ludendorffs aufzeigte – seit Erscheinen seiner Broschüre wissen alle Soldschreiber des politischen Untertanentums ganz genau über Delbrücks Kenntnisse in der geschichtlichen Kriegskunde Bescheid.
Das Heft deckt auf 72 Seiten alles, alles auf: die mangelnden Fähigkeiten des Generals, seine abgrundtiefe Verlogenheit, seine wankende Zappligkeit im Kriege und sein verantwortungsloses Verhalten nachher. Aber er war in der Operationsabteilung des Großen Generalstabs von 1908 bis 1913, wo er den unheilvoll-falschen Kriegsplan hat entwerfen helfen – er und kein Jude. Er hat im Jahre 1918 Fehler auf Fehler gehäuft, hat die Ergebnisse von vier Kriegsjahren nicht zu werten gewußt – er und kein Sozialist; er hat den Zeitpunkt für das Waffenstillstandsangebot, das kam und kommen mußte, bis zur letzten Stunde hinausgeschoben – und er und nur er ist schuld, tausendmal schuldig. Und wälzt heute die Verantwortung auf eine ›bolschewistische Unterwühlung‹, von der am 28. Juni 1918 jene Sitzung der Leiter des vaterländischen Unterrichts noch nichts gewußt hat! Er und kein Pazifist hat den ›Kanzleisekretär‹ Michaelis zum Reichskanzler gemacht, der gegen die Staatsmänner der Entente eine Figur gemacht haben muß wie ein Pikkolo gegen Breitensträter. Und eines geht aus dem Werk Delbrücks, das in Tausenden von Exemplaren verbreitet zu werden verdiente, kristallklar hervor:
Wir hätten im Jahre 1917 den Frieden haben können, wenn dieser Mensch nicht gewesen wäre!
Und alle deutschen Mütter, deren Söhne nach dem Jahre 1917 gefallen sind, mögen sich bei dem bedanken!
»Wir werden von einem wahnsinnig gewordenen Kadetten regiert«, sagte ein Politiker im Jahre 1917 zu Delbrück. Wir setzen hinzu: und von einem Opfer preußischer Kadettenerziehung, von einem, der mit seiner ›Büffelstrategie‹, wie Foch spöttisch dieses Aasen mit Menschenfleisch nannte, sein Land zugrunde gerichtet hat, von einem, der das Schimpflichste getan hat, was man nur tun kann: die eigenen Fehler seinem Volk aufzubürden, das das letzte, das allerwertvollste hergegeben hat: seine besten Jungen.
Wir wollen uns darüber klar sein: die Zeit geht weiter und hält sich nicht bei Ludendorff auf. Die Anilinbegeisterung für ihn in diesen Jahren ist ein Ventil allgemeiner Unzufriedenheit, die geschickte Schreiber des Agrar- und Industriekapitals sowie Sendlinge beschäftigungsloser Militärs für ihre Zwecke nutzbar gemacht haben. Das wird sich geben. Wir haben gewiß andere Sorgen. Geistige: eine Zeit ist aus den Fugen, und die Besseren unter uns ertasten im Dunkel den neuen Weg. Wirtschaftliche: breite Schichten im Lande wissen nicht, wie sie mit der sprunghaften Entwertung der Mark Schritt halten sollen. Wir haben weder Zeit noch Lust, uns mit erledigten Generalen lange aufzuhalten. Wenn sie aber nicht nachlassen, in übeln Broschüren, die zu Hunderten über die Bevölkerung ausgeschüttet werden, uns auch noch zu beschimpfen (kleine Beispiele: die Herren von Zwehl und von Kuhl) – dann muß ihnen eins aufs Dach gegeben werden.
Wir danken dem unabhängigen Abgeordneten, dass er für uns gesprochen hat, was wir alle empfinden.
Die kleinen und die großen Kadetten aber, die die Hausdamen anflegeln, und die, die ein Volk bespeien, wollen wir antreten lassen, fein säuberlich in zwei Gliedern – die dümmsten in der ersten Reihe – und ihnen den Befehl geben: »Weggetreten –!«
Ignaz Wrobel
Welt am Montag, 10.04.1922.